DDR-Kulturhäuser als Vorbild

Kultur darf nicht spalten

Ein Einwurf von Martin Ahrends |
Mehr und mehr scheint sich die Gesellschaft in Untergruppen und Echokammern zu spalten, die einander nicht mehr verstehen. Es wäre die Aufgabe der Kultur, zu vermitteln, meint Martin Ahrends. Den DDR-Kulturhäusern sei genau das gelungen.
Eher aus Pflicht denn aus Neigung unternahm mein Vater seine alljährlichen Konzertreisen durch die DDR-Provinz, um in den Kulturhäusern der Arbeiter- und Bauernmacht die Violinsonaten von Beethoven, Brahms und César Franck zu spielen. Viel lieber gastierte er mit großem Orchester in Dresden und Leipzig als mit seinem Pianisten in Pritzwalk, Kyritz und Rathenow. Nach dem Studium hatte er sich für die DDR entschieden, weil er es besser machen wollte als die bürgerliche Klasse, aus der er herstammte und die ihm mitschuldig schien am deutschen Zusammenbruch nach dem Dritten Reich. Ein Eliteversagen nannte er die Tatsache, dass die Brücke zwischen den Gebildeten und den Bildungsfernen schon nach dem Ersten Weltkrieg abgerissen war. Man hatte einander nicht mehr getraut und zugehört. Die-da-oben waren so wenig von den Straßenparolen erreichbar gewesen, wie Die-da-unten den Argumenten der Gebildeten zugehört hatten.
Als er Kind war, glaubte man es sich in höheren Kreisen leisten zu können, auf den „braunen Pöbel“ nur verächtlich herabzublicken. Worauf die „braunen Horden“ über alles herfielen, das nach Bildungsbürgertum roch. Das durfte seiner Meinung nach nicht noch einmal passieren. Deshalb bequemte er sich, mit seiner gut verpackten Guadagnini-Geige in der Wartburg-Limousine winters über die Dörfer zu juckeln: zur „Stunde der Musik“ und dem „Konzertwinter auf dem Lande“. Danach dann berichtete er überrascht, wie man ihm auf dem flachen Lande so viel dankbarer zugehört habe als das verwöhnte städtische Konzertpublikum.

Hohes Ideal, enges politisches Korsett

In den mehr als 2000 Kulturhäusern der DDR gab es diverse Zirkel schreibender, malender, musizierender Arbeiter und Bauern unter sachkundiger Anleitung, es gab Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Volkskunst und Hochkultur, Hochzeiten und Gedenkstunden, Jugendweihen, Frauentagsfeiern, die Ensembles der Betriebe, die Singeklubs der FDJ. Der jazzende Manne Krug, die rockende Vroni Fischer hatten hier ihre Bühne. Günter de Bruyn, Erwin Strittmatter und Christa Wolf lasen vor großem Publikum. Der Hafenarbeitersohn Wolf Biermann und der Bergarbeitersohn Stephan Krawczyk gewannen in den Kulturhäusern der Arbeiterklasse erste Lorbeeren und wurden alsbald wieder aus ihnen ausgesperrt.
Hier debütierten Künstler, die später mit einem politisch bedingten Arbeitsverbot in die Kirchen oder den Westen umziehen mussten. Diese Häuser mit ihren Bibliotheken und Bildungsreihen hatten ein hohes Ideal und ein enges politisches Korsett, dennoch haben sie auch Brücken gebaut zwischen denen, die mehr wissen wollten und denen, die mehr wussten. Das war ein anderes Konzept, als die sogenannten „einfachen Leute“ mit bunter Werbung und Bildzeitungen aller Art abzufüttern.

Iglus der Echokammern auftauen

Viele Künstler, Wissenschaftler in Ost- und Westdeutschland – sogar ein paar Unternehmer – hatten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Volksbildungs-Ambition, um nie wieder die Verbindung abreißen zu lassen zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“. So auch der junge Anwalt Gerd Bucerius, als er vor 77 Jahren "Die Zeit" gründete. Auch er wollte seine persönliche Konsequenz ziehen aus den katastrophalen Folgen der eingefrorenen Kommunikation zwischen den Klassen und Schichten in Deutschland. Spaltung der Gesellschaft bedeutet, dass die einen den anderen nicht mehr zuhören.
Die amerikanischen Gerichte und Zeitungen können gegen einen Herrn Trump so viele kluge Sätze vorbringen, wie sie wollen: Dessen Anhänger werden sie nicht erreichen. "Die Zeit" kann einen der mächtigsten Medienmänner des Landes als sehr kleines Licht entlarven: Die "Bild"-Leser wird das kaum beeindrucken. Doch wozu gibt es einen öffentlichen Raum, wenn nicht, um die Iglus der Echokammern aufzutauen? 

Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ und seit 1996 freier Autor und Publizist.

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