Dieter Mann: "Schöne Vorstellung"
aufbau-Verlag, 2016
332 Seiten, gebunden 19,95 Euro
Der unangepasste Vater des Deutschen Theaters
Dieter Mann gehörte zu den Spitzenschauspielern der DDR. Ohne ihn ist das Deutsche Theater in Berlin nicht zu denken. Zu seinem 75. Geburtstag ist Manns Autobiografie "Schöne Vorstellung" erschienen - ein kluges Buch, dringend zu empfehlen.
Konnte man in den 80er-Jahren das wichtigste Staatstheater der DDR leiten, ohne "verbogen und angepasst" zu sein? Dieter Mann konnte. Mit der ihm eigenen preußisch anmutenden Selbstdisziplin, außergewöhnlichen Gradlinigkeit und Berliner Schlagfertigkeit ließen sich die Anfeindungen dieser Zeit durchaus unbeschadet überstehen. Da kann Interviewer Hans-Dieter Schütt (zu DDR-Zeiten Leiter des FDJ-Organs "Junge Welt") noch so oft nachhaken: Dieter Mann ist mit sich
"im Reinen, was den Charakter der Selbstprüfungen betrifft."
Zusammenarbeit mit der Stasi verweigert
Schließlich habe er den Posten aus Pflichtgefühl und eher "ehrgeizlos" übernommen.
"Ich habe still und ernsthaft im Spielplan gelebt, im Maschinenraum des eigenen Hauses."
Viele solcher Sätze sagt Dieter Mann in den Gesprächen über sein Leben. Von 1984 bis 1991 führt er das Deutsche Theater durch die Wende-Zeit, verweigert der Stasi die Zusammenarbeit, lässt subversive Texte spielen, protestiert gegen die Entlassung von Mitarbeitern, holt "kühn und kompromisslos" Heiner Müller wie Frank Castorf an das Haus, an dem es Gegenwartsstoffe immer schwer haben. Und öffnet die Räume für Lesungen, Matineen und Diskussionen, die letztlich mit zum Mauerfall führten.
Von Herzen solidarisch
Auf die Frage, warum er in der DDR geblieben sei, sagt Mann:
"Weil Solidarität für die DDR zwar oft ein leeres Portemonnaie, aber dennoch nie ein leeres Wort war und weil mich der Gedanke überzeugte, im Sozialismus würde die Chancenlosigkeit für viele abgeschafft, vor allem für Arbeiter."
Dieter Mann geht es immer um die Sache, er weiß:
"Man wird als Intendant nicht geliebt."
Lobhudelei ist ihm suspekt. Fast sachlich reflektiert er die Herausforderungen, Verstörungen und Beglückungen einer Zeit zwischen Agonie und Aufbruch, bis in die Jahre der Nachwendezeit, in der das Theater plötzlich bedrohlich leer blieb, weil es sein "Provokations- und Sehnsuchtspotential" völlig verloren hatte und Freiheit eben auch Konkurrenz bedeutete.
Vom Dreher zum Schauspieler
Dieter Mann, in der DDR ein großer Schauspielstar, auf der Bühne wie im Film, blickt zurück auf die Jahre als Dreher im Dreischichtsystem, die ersten Begegnungen mit Kultur. Beim Schallplattenhören raucht er nicht. Aus Ehrfurcht. Elegant und beiläufig streifen die Gespräche den Weg von der Arbeiter- und Bauernfakultät, über die Zeit als Statist am Berliner Ensemble, die Schauspielschule und das direkt folgende Engagement am Deutschen Theater in Berlin.
Immer wieder gibt es Verweise auf wichtige Menschen, die ihren Charakter nicht im politischen Eifer ertränken, die nicht auch in jede Privatsphäre "hineinagitieren". Von Friedo Solter lernt er Bescheidenheit:
"Nie eine neue Arbeit beginnen, als habe man bereits Erfolg gehabt."
Auffällig ist, wie streng, beinahe unerbittlich, Dieter Mann mit sich selbst ist. Er zitiert aus einer Kritik:
"Wir sehen den Mann und wir vermissen den Urschrei" und merkt grüblerisch an:
"Es schien, dass bei mir der Transport von Emotionen nicht so funktionierte, wie der Transport von Gedanken. Hier lagen die Grenzen meines Talents."
Gegen Arroganz und Unanständigkeit
Über Friedo Solters "Tasso"-Inszenierung – in der er die Hauptrolle spielte – schreibt er:
"Sie war wie ein Wein, den man ruhen lässt. Sie wurde immer eleganter und selbstverständlicher, dabei blieb sie ganz unsensationell."
Außerhalb des Deutschen Theaters bleibt Dieter Mann "ein Einzelkämpfer auf Zeit". Immer allergisch gegen Arroganz und Unanständigkeit: gegen das Bescheidwissertum eines Wolf Biermann oder gegen "Eitelkeitstyrannen" wie Dieter Wedel. Seine TV-Karriere in der Nachwendezeit, mit Serien wie "Der letzte Zeuge" kommentiert er kühl:
"Eine Weile saß ich nur in dieser Chefetagenscheiße und drehte einzig in dunkelblauen Nadelstreifen."
Privates bleibt privat
Er beklagt Erfolgs- und Zeitdruck und den daraus folgenden Qualitätsverlust im Fernsehen genauso wie im Theater. Hans-Dieter Schütt fragt kenntnisreich, selten drängend. Privates bleibt privat. "Schöne Vorstellung" ist ein kluges und dringend zu empfehlendes Buch. Denn Dieter Mann ist weit entfernt von vielen selbstverliebten Kollegen, die ihre eigene Bedeutsamkeit in Theateranekdoten-Plauderbändchen feiern.
Dieter Mann schenkt uns ein reflektiertes Panorama einer blass gewordenen Zeit. Voller Gedanken, die man gern wieder und wieder liest. Hier begegnet man einem Menschen, der Freude am Denken hat. Uns Leser lässt er daran großzügig teilhaben.