Doping-Opfer in Mecklenburg-Vorpommern fordern Aufklärung
Dass im DDR-Sport staatliche gelenktes Doping stattfand, ist kein Geheimnis mehr. Doch wer genau hat was gewusst und getan? Mecklenburg-Vorpommern könnte zum Vorreiter werden, indem es DDR-Doping-Strukturen in seiner Region untersucht. Ob es dazu kommt?
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass es in der DDR von 1974 bis zu ihrem Ende 1989 ein staatlich gelenktes Doping-System im Hochleistungssport gegeben hat. Um so viele Olympiasiege und Weltmeisterschaftsmedaillen zu gewinnen wie möglich, hatte man eine zentrale Anwendungskonzeption für insgesamt 12.000 Athleten der höchsten Förderstufe entwickelt.
Dass in einigen Bereichen sogar Kinder und Pubertierende mit Hormonen vollgestopft wurden, bestreitet auch niemand mehr.
Doch kritisch wird es auch 25 Jahre nach dem Ende der DDR, wenn man wissen möchte, wer genau wann was gewusst und getan hat - auch in den Klubs und Kinder- und Jugendsportschulen der Nordbezirke Schwerin, Rostock und Neubrandenburg. Weder die Nachfolgeclubs noch der Landessportbund haben sich bisher um eine systematische Aufarbeitung der Doping-Geschichte gekümmert.
Umso mehr hofft die sportpolitische Sprecherin der Grünenfraktion, Silke Gajek, dass eine Mehrheit des Landtages ihren Antrag unterstützt.
"Es ist ja doch von der Mehrheit der Sachverständigen gesagt worden, so eine Forschung für die drei Nordbezirke, also das heutige Mecklenburg-Vorpommern, ist dringend geboten, weil wir die strukturellen Zusammenhänge eben nicht kennen. Und es ist ja auch nochmal gesagt worden, dass es zwar den Staatsplan gab, aber dass dann doch Trainer, vielleicht auch Ärzte, individuell gehandelt haben, um den einzelnen Sportler noch mehr zu Höchstleistungen zu bringen."
Der als Sachverständiger geladene NDR-Journalist André Keil überraschte tatsächlich viele Ausschussmitglieder mit seiner Einschätzung, es gäbe vermutlich viel weniger DDR-Dopingopfer, wenn sich in den 70er- und 80er-Jahren alle Beteiligten an die zentrale Vergabekonzeption gehalten hätten. Denn die Sportärzte sollten die verbotenen Mittel nach einem passgenauen Plan an die einzelnen Athleten verteilen und deren gesundheitliche Entwicklung beobachten.
Trainer haben ihre Schutzbefohlenen aufgepumpt
Doch mit der Zeit hätten es viele Ärzte den Trainern überlassen, die Mittel zu dosieren und zu verteilen. Besonders ehrgeizige Trainer hätten ihre Schutzbefohlenen skrupellos aufgepumpt, ohne sich um gesundheitliche Spätfolgen zu kümmern.
Würden sich nun unabhängige Wissenschaftler durch vorhandene Akten, Vernehmungsprotokolle, Vergabepläne wühlen, könnte dies vielen ehemaligen Leistungssportlern helfen, die Ursache für ihre teils schweren Krankheiten und Schädigungen zu finden, erklärte die einstige Eiskunstläuferin Marie Katrin Kanitz.
Sie zum Beispiel wisse nicht, was genau sie geschluckt hatte, als ihre Trainerin ihr mit zwölf Jahren die ersten "Vitaminpillen" gab. Sicher sei nur, dass sie 1986 - da war sie 16 - mit Oral-Turinabol gedopt worden war, und dass sie seit 2001 schwer krank ist.
"Ich weiß zwar, in welchen Monaten ich 1986 Oral-Turinabol bekommen habe. Aber ich habe keine Vergabepläne. Also ich weiß nicht, wie sie das begründet haben, dass ich das bekommen habe. Also wenn man einmal den Schritt gegangen ist, über die Schamgrenze hinweg zu gehen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, das an sich heranzulassen, dann will man das wissen."
Marie Katrin Kanitz erhält keine Dopingopfer-Rente, weil sie angeblich nicht hinreichend nachweisen kann, dass die Dopingmittel für ihre Krankheit verantwortlich sind. So gehe es vielen anderen Ex-Leistungssportlern, berichtet sie.
Dennoch meint der sportpolitische Sprecher der regierenden SPD-Landtagsfraktion unverändert, das Erforschen der regional durchaus unterschiedlich gehandhabten Dopingpraxis sei überflüssig. Die Linken tauchten ganz ab. Die mitregierende CDU signalisierte Unterstützung für den Forschungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen.
Akutfonds für Doping-Opfer
Sympathie gab es für eine Forderung des Berliner Dopingopfer-Hilfevereins, der bundesweit rund 700 Ex-Athleten betreut, darunter 79 aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Schweriner Politiker mögen sich für einen Akutfonds einsetzen, der Doping-Opfern schnell und praktisch helfen soll, erklärte der ehemalige Hammerwerfer und heutige Vereinsvizechef Thomas Götze. Seit einem halben Jahr renne man mit dieser Idee allen Entscheidern die Türen ein, vor allem im zuständigen Bundesinnenministerium.
"Von uns ist quasi gefordert worden, schlagt mal was vor, wie sowas laufen könnte. Daraufhin ist von uns einen Entwurf eines Akutfonds ---, da steht alles drin: Ein unabhängiges Expertengremium, ein Beirat. Über all diese Dinge herrscht Einigkeit. Aber einen kleinen Makel hat dieser Entwurf. Es fehlt an Geld."
Bleiben vor allem diese zwei Fragen: Wird Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich zum Vorreiter, wenn es um die Erforschung regionaler Dopingstrukturen geht? Und: Wie groß ist die Neigung der Politik, einen Akutfonds auszustatten, übrigens für Doping-Opfer in Ost und West?