Lehrern fehlt "wichtiges Grundwissen"
Es gebe Lehrer und Lehrerinnen in West und Ost, die die DDR verklären, sagt Jens Hüttman, Leiter des Arbeitsbereichs schulische Bildungsarbeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Nötig seien Fortbildungen, auf denen Lehrkräfte sicherer im Thema würden und sich austauschen könnten.
Nana Brink: Ende des Jahres, da jährt sich zum 25. Mal der Fall der Mauer. Und bestimmt schon vor dem 9. November werden wir uns die Frage stellen, wie wir alle übrigens, egal, wo wir geboren oder wie wir geprägt worden sind, mit dem Teil deutscher Geschichte umgehen, die sich DDR nennt, und was wir unseren Kindern erzählen. Um gleich die gängigen Klischees vorwegzunehmen: Ihr macht die DDR ja nur schlecht, schallt es da manchmal aus den östlichen Breitengraden, oder: Ihr verniedlicht eine Diktatur, kommt es dann aus dem Westen zurück. Der Schriftsteller Roman Grafe liest seit elf Jahren deutschen Schülern zwischen Hamburg und Dresden, Greifswald und München aus seinen Büchern zur DDR-Geschichte vor und hat beklagt, dass die DDR im schulunterricht oft verklärt wird. Jens Hüttmann leitet die Abteilung schulische Bildungsarbeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, schönen guten Morgen, herr Hüttmann!
Jens Hüttmann: Guten Morgen!
Brink: Sind die Erfahrungen des Schriftstellers Grafe exemplarisch?
Hüttmann: Na ja, also, ich würde sagen, in negativer Hinsicht muss man erst mal feststellen, das ist schon ein ganz schöner Knaller, die Geschichte, die er erzählt. Ich würde aber in der Tat sagen, dass man sich davor hüten sollte, das so zu pauschalisieren, wie Grafe es denn macht, schon alleine, weil ja in dem artikel ausschließlich von Ostdeutschland die Rede ist. Und DDR-Geschichte wird auch von Kiel bis zum Chiemsee von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, also auch in Westdeutschland, und zwar in gesamtdeutscher Perspektive. Damit meine ich, dass es eigentlich mittlerweile in den Lehrplänen etwa ganz klar drin steht, dass es immer um eine integrierte Perspektive geht, also die Geschichte der Bundesrepublik auf der einen Seite und die Geschichte der DDR, des SED-Staats auf der anderen Seite. Und das ist dann erst mal ein starker Kontrast natürlich, auf der einen Seite eine parlamentarische Demokratie und auf der anderen Seite eine Parteidiktatur der SED. Und …
Brink: Nun muss man vielleicht dazu sagen, dass er ja seine Erlebnisse schildert in einem Artikel in der "Zeit" vom letzten Donnerstag, da schreibt er sehr deutlich, in einer Schule in Stendal war er und ist sozusagen eigentlich ja fast schon beschimpft worden dadurch, dass er etwas erzählt aus der DDR und auch deutlich macht, was da passiert ist. Und er hat diesen Vorwurf, das muss man vielleicht hier auch noch anfügen, genannt:Na ja, das sind ja die alten Lehrer von damals, das wundert einen ja nicht.
"Wichtig, dass man aber nicht mit dem Holzhammer kommt"
Hüttmann: Ja. Also, ich denke, dass das Bild ein bisschen komplexer ist. Ich würde sagen, es gibt zum Teil Verklärung, übrigens nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland, aber ich frage mich zum Beispiel, ob das nicht in anderen Berufsgruppen ähnlich ist, wenn man Umfragen zum Beispiel machen würde, ich sage jetzt mal, Polizei oder so was, ob es nicht dort auch ähnliche Tendenzen gibt. Und ich finde, das Bild muss deshalb komplexer sein, weil ich viel feststelle in Lehrerfortbildungen, die ich für die Bundesstiftung durchführe in ganz Deutschland, dass auch bei den Lehrerinnen und Lehrern häufig so etwas da ist, wie man auch bei den schülern beklagt, nämlich dass eigentlich wichtiges Grundwissen fehlt. Und wenn Lehrerinnen und Lehrer das Gefühl haben, vielleicht nicht so sicher zu sein in einem Thema, eben wirklich noch ein bisschen die Basics nacharbeiten zu müssen, dann existiert auch eine Scheu, das Thema im Unterricht tatsächlich aufzugreifen und den Schülerinnen und Schülern das näherzubringen. Also, das ist eine etwas andere Perspektive.
Brink: Das ist die eine Sache, man muss also Grundwissen vermitteln. Was sind denn Ihre Erlebnisse ganz konkret, wenn Sie da rausgehen: Gibt es Widerstände oder werden Sie mit offenen Armen empfangen, so nach dem Motto: Hilf uns doch ein bisschen?
Hüttmann: Ja, also, ich würde sagen, das kann man ganz gut differenzieren für Ost- und Westdeutschland. Es gibt allgemein ein großes Interesse zum Beispiel an unseren Bildungsangeboten, aber auch den Lehrerfortbildungen insgesamt. In Westdeutschland ist es häufig ein eher unbekanntes Thema und ist deswegen Gegenstand von Neugier bei vielen Kollegen. Und da geht es aber häufig dann darum, tatsächlich Grundwissen zur DDR-Geschichte zu vermitteln und den Lehrerinnen und Lehrern zu zeigen, wo ganz besonders interessante Punkte sind, wie sich etwa eine Diktatur durchsetzt, wie sie sich erhält, vielleicht stabil wird, wie sie zusammenbricht in der Revolution von 1989 etwa. Das sind schon spannende Themen. In Ostdeutschland gibt es häufig auch eine biografisch begründete Scheu bei Lehrerinnen und Lehrern.
Andererseits ist es auch so, dass auch dort längst eine neue Lehrer- und Lehrerinnengeneration nachgewachsen ist. Und insofern sind eigentlich die Konflikte, die es so um DDR-Geschichte gibt, dann zum Teil in einem Schulkollegium in Ostdeutschland auch ablesbar. Und das ist dann auch eine Kontroverse, die durchaus auch bei Lehrerfortbildungen ausgetragen wird. Zum Beispiel in Dresden habe ich da eine Veranstaltung in Erinnerung, als eine Teilnehmerin sich meldete und sagte, na ja, also ich war 1989 noch SED-Mitglied und ich war nicht für diese friedliche Revolution. Heute allerdings muss ich sagen, in der Rückschau, 20 Jahre danach, ich stand auf der falschen Seite. Also, es gibt auch solche Erlebnisse, wo man merkt, Aufklärung wirkt tatsächlich und die Leute können auch ihr eigenes Handeln 20 Jahre später zum Teil auch durchaus selbstkritisch reflektieren. Ich finde es wichtig, dass man aber nicht mit dem Holzhammer kommt und sozusagen mit Wahrheiten über die DDR operiert, so nach dem Motto, wenn ihr das nicht schluckt, dann redet ihr die Unwahrheit, sondern es geht eigentlich darum, auch bei Lehrerinnen und Lehrern die Urteilskraft zu stärken und kritisch miteinander in den Dialog zu treten.
"Widerspruch ist gut geeignet, um Fragen zu stellen"
Brink: Ist das nicht auch ein Generationsproblem? Also, ich erinnere mich zum Beispiel an die Erzählungen meines Vaters. Der hat gesagt, na, als ich damals in den 50er-Jahren in die Schule ging, da gab es ja immer noch die alten Nazi-Lehrer.
Hüttmann: Ja, ich denke bloß, dass das natürlich eigentlich eine Idealsituation auch für historisches Lernen ist, wenn es kontroverse Positionen gibt. Ich will das man an dem Beispiel festmachen, dass, wenn zum Beispiel ein Kind aufwächst in einer Familie, wo beide eltern eigentlich zufrieden waren mit dem Leben in der DDR, und deswegen am Abendbrottisch eher positive Geschichten über die DDR hört, dann kommt dasselbe Kind in die Schule und in den Lehrplänen wird ein sehr kritisches Bild der DDR vermittelt. Und hier gibt es einen Widerspruch und das ist eigentlich gut geeignet, um Fragen zu stellen im Unterricht. Und dann müssen sich natürlich auch Lehrerinnen und Lehrer dazu positionieren. Und ich denke, wenn zum Beispiel so jemand wie Roman Grafe, der tolle Lesungen macht, dann in so eine Schule kommt, kann dadurch auch eine produktive Atmosphäre entstehen, weil dadurch eben wirklich Interesse gestärkt wird, und womöglich überzeugt man Leute auch durch die besseren Argumente.
Brink: Jens Hüttmann leitet die Abteilung Schulische Bildungsarbeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Schönen Dank, Herr Hüttmann, dass Sie mit uns gesprochen haben! Tschüss!
Hüttmann: Ja, danke!
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