„Für die war das Training, ein Test. Und dann haben wir auch gelacht. Natürlich, sagten sie, haben wir ein anderes Temperament. Und wir waren nicht lalala. Viele von uns hatten in Mosambik in der ersten Liga gespielt.“
Vertragsarbeiter in der DDR
Mehr als 90.000 Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter arbeiteten in der DDR. Viele von ihnen kamen aus Mosambik oder Angola. © IMAGO / Rolf Zöllner / IMAGO / Rolf Zöllner
Sport als willkommene Ablenkung
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Mehr als 90.000 Vertragsarbeiter arbeiteten in der DDR. Sie kamen aus Mosambik, Angola oder Vietnam und mussten oft gesundheitsgefährdende Aufgaben verrichten. Ihr Alltag war mitunter von Isolation und Rassismus geprägt. Ablenkung bot der Sport.
Ibraimo Alberto überlebt mit Glück den Bürgerkrieg in Mosambik, doch er sehnt sich nach einem sicheren Leben. 1981 kommt er als Vertragsarbeiter in die DDR. Er träumt davon, in Ostberlin Sport zu studieren, doch er wird als Arbeiter einem „Volkseigenen Betrieb“ zugewiesen, dem Fleischkombinat. Alberto arbeitet hart und teilt sich mit Kollegen eine enge Unterkunft. Es ist der Sport, der ihm Ablenkung bietet und Kontakte ermöglicht.
"Von Anfang an haben wir immer Fußball gespielt. Das war unser Highlight", sagt Alberto. Er hatte in Mosambik, im Südosten Afrikas, Fußballspiele organisiert. Daran knüpft er in Berlin an. Er geht auf Vertragsarbeiter in anderen Betrieben zu. Sie treffen sich für Training und Turniere. Sie gründen eine eigene Liga, weil sie im Spielbetrieb der DDR nicht willkommen sind.
Während seiner Arbeitspausen stellt sich Ibraimo Alberto bei Betriebsleitungen und Sparkassen vor. Sein Anliegen? "Ich möchte gerne Geld. Warum? Damit wir T-Shirts kaufen können. Und darin präsentieren wir dann unser Fleischkombinat. Weil Solidarität war angesehen. Und dann sind wir auch in der Zeitung gewesen, mit dem Fleischkombinat."
Testspiel gegen den Serienmeister
Das Engagement von Ibraimo Alberto spricht sich herum. Mit einer Auswahl mosambikanischer Arbeiter bestreitet er Trainingsspiele gegen Vereinsmannschaften der DDR. Sie reisen nach Leipzig, Dresden oder Wismar. 1984 spielen sie in Berlin gegen den Serienmeister BFC Dynamo. Ibraimo Alberto erinnert sich:
Spiele wie diese sind seltene Höhepunkte für die Vertragsarbeiter der DDR. Im Alltag müssen sie oft gesundheitsgefährdende Aufgaben verrichten. Sie müssen ihre Pässe abgeben und Anteile ihres Lohnes an die heimischen Regierungen abführen.
In der Regel werden sie in engen Wohnheimen untergebracht, berichtet der Historiker Patrice Poutrus: "Es ist ihnen nur so viel Deutsch beigebracht worden, wie es nötig war. Es war nicht vorgesehen, dass es so etwas gibt wie partnerschaftliche Beziehungen zu Deutschen. Und im Extremfall: Wenn Frauen, die es auch gab unter den Vertragsarbeiter:innen, schwanger wurden, gab es so eine Art Abschiebepraxis. Also Schwangere sollten entweder abtreiben, was in der DDR ja legal war, oder in ihre Heimat zurückkehren.“
Der alltägliche Rassismus wurde verdrängt
In der DDR-Propaganda gilt die Vertragsarbeit als solidarische Hilfe für die "Bruderstaaten". Tatsächlich aber sollen Kontrollen in den Wohnheimen und die Staatssicherheit einen intensiven Kontakt zwischen Vertragsarbeitern und DDR-Bürgern erschweren. Ibraimo Alberto hält sich an die Regeln, denn er möchte nicht zurück ins kriegsgeplagte Mosambik. Er sagt: "Wenn einer zu viel Theater gemacht hat, dann haben sie ihn zurückgeschickt. Dann kam er gleich in die Armee. Da sind dann viele gestorben."
Ibraimo Alberto spielt Fußball und ist auch ein erfolgreicher Boxer. In der DDR erlebt er eher selten offenen Rassismus. Bei einem Fußballspiel in Dresden zum Beispiel bezeichnet ihn ein Gegenspieler mit dem N-Wort. Der Schiedsrichter reagiert sofort, sagt Alberto: "Er wurde suspendiert, suspendiert aus dem Spiel. Natürlich hatten wir auch Gegner, die gegen schwarze Menschen waren. Aber das war nicht öffentlich. Weil auch die Stasi war da, und hielt alles unter Kontrolle. Und die Leute hatten auch Angst."
Sozialarbeit mit Geflüchteten
Nach dem Mauerfall verlieren zehntausende Vertragsarbeiter ihre Anstellungen und Unterkünfte. Viele gehen zurück in ihre Herkunftsländer. Die vietnamesische Regierung etwa sträubt sich gegen die Rücknahme und hofft weiterhin auf Geldüberweisungen aus Deutschland. Viele ehemalige Vertragsarbeiter werden Opfer von Angriffen und Rassismus, erinnert der in Ostberlin aufgewachsene Historiker Patrice Poutrus: „Wo es Jahre gedauert hat, bis interessierte Initiativen sich dafür eingesetzt haben, dass deren Status stabilisiert wird. Die permanent unter Abschiebungsdruck standen. Die ihre Existenz ebenfalls neu aufbauen mussten wie alle Ostdeutschen. Und gleichzeitig sich nicht sicher sein konnten, dass ihre ostdeutschen Partner:innen nicht eventuell auch ihre rassistischen Feinde sind.“
In den Neunziger Jahren ist Ibraimo Alberto ein erfolgreicher Boxer, und er spielt Fußball. Im brandenburgischen Schwedt absolviert er eine Ausbildung zum Sozialarbeiter. Für einige Jahre lebt er auch in Karlsruhe. Doch inzwischen, mit Anfang 60, ist er wieder in Berlin. Alberto arbeitet mit geflüchteten Menschen. Er erzählt ihnen auch davon, wie wichtig der Sport für seinen Alltag war und ist.