Weitere Infos zur Wende in der DDR finden Sie auf unserer Themenseite "Vor 25 Jahren".
"Wir haben nicht nur die D-Mark gewählt"
Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière hat die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 als wichtiges Plebiszit gewürdigt. Mit Bundeskanzler Helmut Kohl habe er einige Konflikte ausgestanden.
"Diese Wahl war nicht nur eine Wahl, sondern sie war nach meiner Auffassung ein Plebiszit für vier Themen", sagte der CDU-Politiker im Deutschlandradio Kultur. Es sei dabei um die Einheit Deutschlands gegangen, den Rechtsstaat, Demokratieaufbau und Föderalismus sowie die soziale Marktwirtschaft. "„Es wurde damals etwas bösartig verkürzt gesagt, wir hätten nur die D-Mark gewählt, das stimmt nicht." Seinen Wahlkampf auf den Marktplätzen habe er als „Gräuel" empfunden, erinnerte sich de Maizière. "Auf der Straße zu stehen, die Leute anzuquatschen und sonst so etwas", habe ihm nicht gelegen. Wichtig sei vor allem als Politiker schon den Wahlkampf so zu organisieren, dass man danach auch noch Koalitionsverhandlungen führen könne. "Wir haben damals, weil es für uns alle neu war, so furchtbar aufeinander eingedroschen, dass dann die Koalitionsverhandlungen umso schwieriger waren."
Schwieriger Verhältnis zu Helmut Kohl
Der frühere DDR-Ministerpräsident betonte seine eigenständige Rolle damals gegenüber Bundeskanzler Helmut Kohl: "Helmut Kohl und ich hatten ein schwieriges Verhältnis zueinander." Er habe Kohl wiederholt darauf hinweisen müssen, dass die Innenpolitik in der DDR immer noch in Berlin gemacht werde. "Das ging bis dahin, dass wir uns darüber gestritten hatten, wo der Einigungsvertrag unterschrieben wird", sagte de Maizière. "Er war der Meinung in Bonn und ich habe gesagt: Nein, dass der Vertrag, zu dessen Bedingungen wir beitreten, wird in Berlin unterschrieben." Dann habe Kohl die Zeremonie im Reichstag abhalten wollen, aber de Maizière habe auf Ost-Berlin bestanden. „Daraufhin ist er zur Unterzeichnung des Vertrages nicht gekommen." Kohl sei es gewöhnt gewesen, dass die Leute um ihn herum getan hätten, was er wollte. "Das war für ihn relativ neu, dass da einer so tut, als ob er sich nicht danach richten müsste." Kohl habe aber die DDR nicht ausreichend gekannt.
Das Interview im Wortlaut:
((O-Ton Brandt)) Mein Ziel bleibt die Einheit unserer Nation.
((O-Ton)) Nazis raus, Nazis raus ...
((O-Ton)) Am 18. März entscheiden Sie über das Schicksal unseres Landes. Unterstützen Sie unseren Aufbruch in die Demokratie.
Sprecherin: Vor 25 Jahren. Auf dem Weg zur Deutschen Einheit
((O-Ton)) Diese Wahl ist nicht langweilig, diese Wahlnacht wird spannend, ich kann es Ihnen – drei, zwei, eins – jetzt sagen. Danach gewinnt die CDU diese Wahl mit 40 Prozent der abgegebenen Stimmen.
((O-Ton)) Die erste Frage, die wir angehen müssen, ist, dass die Menschen unser Land nicht mehr verlassen. Das heißt also, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
((O-Ton)) Die Menschen haben sicherlich den Eindruck gewonnen, wenn wir Kohl wählen, fließt das Geld. Und dieses Argument ist ein sehr gravierendes Argument.
((O-Ton Helmut Kohl)) Der oberste Souverän der DDR hat gesprochen, und zum ersten Mal seit 58 Jahren hat ein beachtlicher Teil der Deutschen, unserer Landsleute, in freier Wahl entschieden. Wir haben dieses Ergebnis zu respektieren.
((O-Ton Egon Bahr)) Der Wahlkampf ist ja nicht von der CDU hier gemacht worden, sondern der ist in Bonn gemacht und geplant und auch durchgeführt und bezahlt worden. Das waren professionelle Kolonnen, das war der unfairste Wahlkampf, den ich jedenfalls erlebt habe.
((O-Ton Joachim Gauck)) Wir wollen am Abend dieses Tages nicht vergessen, dass dies hier heute ein Festtag der Demokratie ist und dass es nicht darum geht, dass diese oder jene Partei oder Bewegung oder Gruppierung nun unbedingt besonders gut abschneidet, sondern dass die Demokratie in diesem Teil des Landes endlich eingekehrt ist.
Dieter Kassel: Töne und Stimmen vom 18. März 1990, dem Tag der ersten und letzten freien Volkskammerwahl der DDR. Und der Mann, der die Wahl damals gewonnen hat, wir haben es gerade ungefähr gehört, 40 Prozent, 40,8 Prozent waren es genau für die CDU, der Mann, der die Wahl damals gewonnen hat, der ist jetzt bei mir im Studio, der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière. Herzlich willkommen, Herr de Maizière!
Lothar de Maizière: Danke schön!
Kassel: Haben Sie damals an diesem Wahlabend das Gefühl gehabt, ich hab gewonnen? Haben Sie das Gefühl gehabt, die CDU hat gewonnen? Oder haben Sie es so empfunden wie Joachim Gauck das am Schluss gerade selber formuliert hat, die Demokratie hat gewonnen.
de Maizière: Ja, ich glaube, das letzte war so – diese Wahl war ja nicht nur eine Wahl, sondern sie war nach meiner Auffassung ein Plebiszit für vier Themen. Erstens für die Einheit Deutschlands, zweitens für einen Rechtsstaat, für Demokratieaufbau, Föderalismus und letztendlich für die soziale Marktwirtschaft. Es wurde ja damals ein bisschen bösartig verkürzt gesagt, wir hätten nur die D-Mark gewählt. Das stimmt nicht.
Wer hatte in der DDR schon ein Telefon?
Kassel: Waren Sie damals selber überrascht über dieses Ergebnis, diese 40,8 Prozent. Ich glaube, wenn ich mich richtig erinnere, noch ungefähr eine Woche vor dieser Wahl haben die Wahlforscher einen Sieg der SPD vorhergesagt, sahen die SPD bei über 50 Prozent. Sie landete am Ende bei knapp 22. Waren Sie selbst überrascht?
de Maizière: Mich hat das damals gar nicht beeindruckt, weil diese Umfrage war eine Telefonumfrage. Und wer hatte in der DDR schon Telefon? Und außerdem sagte die Umfrage auch, es hätten sich überhaupt erst 40 Prozent entschieden, die übrigen 60 Prozent, das wären das flache Land, die Bauern und Industriearbeiter in Sachsen, hätten sich noch nicht entschieden. Und da war mir klar, das ist die Klientel, die wir gewinnen müssen. Aber richtig war, dass wir ja um diese Demokratie gestritten haben. Und angefangen vom Runden Tisch am 7. Dezember bis zu der Wahl. Und letztendlich habe ich ja auch deswegen eine große Koalition gebildet, um auch die Kräfte mitzunehmen, mit denen ich zuvor auf Synodalbänken gesessen hatte.
Kassel: Sie haben, ich darf das mal verraten, weil man es im Radio nicht sieht, an einer Stelle, als wir diese Stimmen aus der Zeit vor 25 Jahren gehört haben, den Kopf geschüttelt. Das war, als wir Egon Bahr gehört haben, der sinngemäß ja vorhin gesagt hat – also er hat es damals gesagt, aber wir haben es vorhin noch einmal gehört, das sei der unfairste Wahlkampf gewesen, den er je erlebt habe, der sei komplett von der West-CDU in Bonn geplant und auch durchgeführt worden und auch bezahlt. Das ist ja sachlich nicht völlig falsch. Haben Sie das damals nicht so empfunden?
de Maizière: Das ist also – da haben sich die Parteien, auch die SPD, mit uns nicht so furchtbar viel genommen. Ich meine, ich weiß, dass Willy Brandt ja durch die ganze DDR getourt ist und eigentlich bei der DDR-Bevölkerung beliebter war als Helmut Kohl. Und die SPD hatte schon sehr früh, noch als sie SDP war, gute Beziehungen zu ihrer westlichen Schwesterpartei, während sich ja die Bundes-CDU mit uns als Blockflöten ziemlich schwer tat. Das war ja ein ziemlich langes Ringen, bis die überhaupt bereit waren, mit uns gemeinsam Wahlkampf zu machen. Es war dann der Versuch, die Ost-CDU unter dem Namen Allianz für Deutschland verschwinden zu lassen. Es ging sogar so weit, dass Herr Rühe meinte, wir sollten uns umbenennen in DUD, und ich sage, ich bin nicht bald 40 Jahre in der CDU, um jetzt, wo es geht, das C wegzuschmeißen. Und wir haben gesagt, wir müssen unseren Neuanfang eben über das C glaubhaft machen, und das ist, glaube ich, ganz gut gelungen.
Ungeliebter Wahlkampf
Kassel: Wie haben Sie denn selber, Sie haben es ja gerade gesagt, Mitglied der Ost-CDU waren Sie zwar lange, aber Sie waren ja kein Berufspolitiker bis kurz vor dieser Wahl dann. Wie haben Sie denn selber den Wahlkampf empfunden, wirklich die Mühen der Ebene, wie man so schön sagt, also auf den Marktplätzen.
de Maizière: Also, Wahlkampf auf dem Marktplatz ist für mich ein Gräuel. Auch auf der Straße zu stehen, die Leute anzuquatschen oder sonst so etwas. Und das Merkwürdige, was man sich merken muss, Wahlkampf sollte man so führen, dass man danach auch noch Koalitionsverhandlungen führen kann. Und wir haben damals, weil es für uns alle neu war, so furchtbar aufeinander eingedroschen, dass dann die Koalitionsverhandlungen umso schwieriger waren.
Kassel: Hatten Sie denn auf den Marktplätzen oder auch anderen Orten im Wahlkampf das Gefühl, die Leute nehmen wirklich Sie wahr als Mann der Ost-CDU, oder hatten Sie da schon das Gefühl, okay, die Leute wählen eigentlich die CDU, die wollen eigentlich Kohl?
de Maizière: Das war natürlich unterschiedlich. Wenn ich in Leipzig auf dem Augustusplatz mit Helmut Kohl war, dann haben sie Helmut-Kohl-Wahl. Aber der hat fünf Veranstaltungen mit uns gemacht, die übrigen mussten wir schon allein bestreiten. Und das Entscheidende war damals, dass die Leute wirklich wissen wollten, was habt ihr denn vor, wenn ihr gewählt werdet? Also, mit diesen plakativen Sätzen waren sie eigentlich nicht zufrieden, sondern die wollten wissen, was macht ihr in der Sozialpolitik, wie stellt ihr euch, wenn die Einheit kommen sollte, vor, dass das außenpolitisch geht? Bleiben die Russen bei uns? Und solche Fragen kamen. Und da waren eben auch eine ganze Menge von Fragen, die nur ein Ostdeutscher eben beantworten konnte. Wie wird sich das auf unseren Betrieb auswirken?
Kassel: Wie sah dann anschließend wirklich Ihre Arbeit aus in dieser – und das sage ich mit einer gewissen Ironie, weil es ja strenggenommen keine war – an dieser Legislaturperiode dann von 199 Tagen, die diese Volkskammer wirklich erwartete?
de Maizière: Wir haben vor der Wahl das noch mal zusammengestellt: In meinem Kabinett haben wir 759 Kabinettsvorlagen bearbeitet. Und ich habe 143 Verordnungen unterschrieben, und 96 Gesetze sind über meinen Tisch gegangen und drei große Staatsverträge. Wir haben im Grunde genommen fünf Dinge geleistet: Wir haben erstens die kommunale Selbstverwaltung wieder eingeführt und haben eine Kommunalverfassung geschaffen. Wir haben die Bildung der Länder wieder vorbereitet, damit wir eine grundgesetzkompatible Struktur hatten, damit unsere Länder sich im Bundesrat selber vertreten können.
Wir haben einen Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion abgeschlossen und damit letztendlich die Transformation vom Plan zum Markt eingeleitet. Wir haben versucht, die deutsche Rechtsordnung wieder zu vereinheitlichen, die ja durch 45 Jahre DDR-Arbeit sehr weit auseinander gedriftet war, Stichwort Einigungsvertrag. Und wir waren nicht ganz unmaßgeblich am Zwei-plus-vier-Prozess beteiligt. Ohne unsere Unterschrift wäre es nicht gegangen. Und letztendlich konnte den Beschluss gemäß Artikel 23 auch nur die Volkskammer treffen, kein anderer.
Abgewatscht in der TV-Sendung "Hurra Deutschland"
Kassel: Sie sind damals, Herr de Maizière, in dieser kurzen Zeit, diesen 199 Tagen, auch zu einer – auf eine gewisse Art und Weise, ich will auf was Bestimmtes hinaus gerade – Figur der Populärkultur geworden. Es gab damals eine satirische Fernsehsendung im deutschen Fernsehen, die hieß "Hurra Deutschland!" nach dem britischen Vorbild "Spitting Image" –
de Maizière: Wo ich immer abgewatscht wurde, ja.
Kassel: Ja, wo alle ja schlecht weg – war ja die Idee der Sendung, also Politiker und andere Personen der Zeitgeschichte, es erinnert sich ja nicht mehr jeder, es ist so lange her, waren da eben Plastikfiguren und wurden nachgemacht. Und Sie wurden immer abgewatscht von Helmut Kohl. Und durch diese Sendung ist natürlich der Eindruck entstanden, der hat Ihnen immer gesagt, was Sie tun sollen – wenn Sie es nicht getan haben, gab es Ärger. War das ein bisschen so?
de Maizière: Ich bin ja nicht nur allein abgewatscht worden. Norbi Blüm wurde auch regelmäßig abgewatscht. Na ja, andersrum ist es vielmehr der Fall. Helmut Kohl und ich hatten ein schwieriges Verhältnis zueinander. Und ich musste ihm auch mehrfach sagen, dass Innenpolitik der DDR noch in Berlin gemacht wird. Das ging bis dahin, dass wir uns darüber gestritten hatten, wo der Einigungsvertrag unterschrieben wurde. Er war der Meinung, in Bonn. Ich hab gesagt, nein, das ist der Vertrag, zu dessen Bedingungen wir beitreten, der wird in Berlin unterschrieben. Dann wollte er das im Reichstag machen, da habe ich gesagt, auch dort nicht, sondern wir machen es in Ostberlin. Doch dann ist er zur Unterzeichnung des Vertrages nicht gekommen. Nur Herr Schäuble war da.
Kohl war es gewohnt, dass die Leute, die um ihn herum waren, das taten, was er von ihnen verlangte. Und das war für ihn relativ neu, dass da einer tut, so als ob er sich nicht danach richten müsste. Und ich bin der Meinung, das lag aber auch daran, dass er zwar die Sachkompetenz hatte, wusste, wo er hin wollte, aber nicht die Feldkompetenz hatte. Er wusste nicht, wie die DDR aussah. Und Sie können bestimmte Dinge nicht übers Knie brechen, zum Beispiel ging es darum, dass die ostdeutschen Ausbildungsabschlüsse und akademischen Grade, wollte man im Einigungsvertrag nicht anerkennen, weil man sagte, das muss die Kultusministerkonferenz machen. Wir hatten aber noch keine Länder und damit auch keine Stimme bei der Kultusministerkonferenz.
Und ich weiß, dass ich damals wütend gesagt habe, ich komme doch nicht mit einem Volk von Analphabeten. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Wir hätten den Menschen ihre Biografie, ihre Lebensleistungen genommen, wenn wir ihnen nicht die Berufsabschlüsse anerkannt hätten und so weiter. Und es gab natürlich strittige Fragen, wo wir sehr überquer waren, beispielsweise Eigentumsproblematik. Da haben wir uns nicht durchgesetzt, aber die westliche Seite hat sich auch nicht voll durchgesetzt, sondern wir haben doch einen Kompromiss gefunden, der in den Jahren nach der Einigung zwar schwierig zu handhaben war, aber im Ergebnis doch zu relativ befriedigenden Ergebnissen geführt hat.
Kassel: Lothar de Maizière, Wahlgewinner des 18. März 1990 und in Folge letzter Ministerpräsident der DDR. Herr de Maizière, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
de Maizière: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.