Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro: "In welcher Welt leben? Ein Versuch über die Angst vor dem Ende"
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Clemens und Ulrich van Loyen
Matthes & Seitz, Berlin 2019
192 Seiten, 25 Euro
Es geht um alles, es geht um das Ende
07:06 Minuten
Das Essay von Eduardo Viveiros de Castro und Deborah Danowski beschäftigt sich mit dem Ende der Erde. Die Autoren erläutern, welche Ideen dazu heute existieren. Und gehen einen weiten Weg, um etwas Optimismus ausfindig zu machen.
Manche scheinen immer noch zu glauben, die Bedrohung durch den Klimawandel sei ein Thema unter vielen, das dank medienwirksamer Auftritte Einzelner besonders intensiv durch die publizistischen Arenen getrieben würde. Da kommt ein Text gerade recht, der den Diskurs klärt, an dem wir derzeit alle, mehr oder weniger bewusst, beteiligt sind. Es geht um alles. Beziehungsweise um nichts. Es geht um das Ende.
Überblick über Ideen zum Ende der Welt
Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro beginnen ihren Essay mit einen Überblick über zeitgenössische Ideen zur drohenden Selbstzerstörung der Zivilisation, sprich: zum Ende der Welt. Die "mythische Dualität von Menschheit und Welt" und die "politische Kollision des Menschen mit der Erde" speisen apokalyptische Diskurse, denen weitgehend gemeinsam ist, dass sie das Ende der Welt mit einem Ende des Denkens gleichsetzen.
Danowski und Viveiros de Castro argumentieren engagiert und sachlich im Rahmen akademischer Diskurse, die den Film und die Literatur immer einbeziehen, die als Science-Fiction das Ende der Welt vielfach durchgespielt haben. Gegen "Katastrophismus" und den sogenannten "Akzelerationismus", einer Art Versöhnung von Niedergangsszenarien und Kapitalismus, verwahren sie sich ebenso wie gegen Alain Badious Rede von der Ökologie als "neue(m) Opium des Volkes".
Der Essay besteht aus zwei unterschiedlichen Hälften, deren erste eher von Denkfiguren der Philosophin Danowski bestimmt ist, während die zweite auf die anthropologisch-ethnologische Arbeit Viveiros de Castros in seiner Heimat Brasilien baut.
Indigene Kosmologien Amerikas
Dieser Gestus vom Abstrakten zum Konkreten wartet mit einer überraschenden Wendung auf: einem Perspektivwechsel im Blick auf die "indigenen Kosmologien der Amerikas".
"Wir befinden uns jetzt auf der Schwelle zu einem Prozess der planetarischen Umgestaltung, der in mancher Hinsicht stark dem ähnelt, was im Amerika des 16. Jahrhunderts geschah: eine überfallene Welt, dem Erdboden gleichgemacht, von fremden Barbaren dezimiert. Der geneigte Leser stelle sich vor, einen jener B-Movies zu sehen (oder in ihm mitzuspielen), in denen die Erde von Außerirdischen erobert wird, die sich als 'Menschen' ausgeben, um den Planeten zu beherrschen und seine Ressourcen zu nutzen, nachdem die ihrer ursprünglichen Welt erschöpft sind. (…) Man stelle sich vor, dass in Wirklichkeit wir diese Außerirdischen sind."
Von der Unfähigkeit, Schmerz und Trauer zu empfinden
Danowski und Viveiros de Castro beklagen "die Unfähigkeit, Schmerz zu empfinden und Trauer zu zeigen über das, was bereits tot ist." Das bedeute jedoch nicht, "dass wir nur hier sind, um festzustellen, dass die Welt untergegangen sei, gerade untergehe oder untergehen werde. Es gibt", so die Pointe, "zahlreiche Welten auf der Welt".
Und das heißt: "Vom Ende der Welt zu sprechen, bedeutet nicht, von der Notwendigkeit zu sprechen, sich eine neue Welt an Stelle der gegenwärtigen vorzustellen, sondern ein neues Volk (…), das an die Welt glaubt, und sie hervorbringen muss mit dem, was wir von der Welt lassen."
Man muss schon weit denken, um derzeit in dieser Welt noch optimistisch nach vorn blicken zu können.