Tanzen unter der Glasglocke
Anne Teresa de Keersmaeker vertanzt Bachs Cello-Suiten. Ihre zunächst stimmige Beiläufigkeit kippt in etwas Falsches, Prätentiöses. Der Tanz lebt nicht mehr, sondern wird zum geschlossenen System, wie unter einer Glasglocke, findet unsere Kritikerin Wiebke Hüster.
In der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck hat die belgische Starchoreographin Anne Teresa de Keersmaeker ihren Tanzabend zu den sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach als Kammerspiel auf leerer großer Fläche präsentiert - bei weit in die Natur geöffneten Fenstern und Türen. In der einbrechenden Dämmerung des Sommerabends spielt Musiker Jean-Guihen Queyras sein Cello unmittelbar neben den vier Tänzern, die sich mit der Choreografin die Bühne zu diesen strengen Bewegungs-Exerzitien teilen.
Benannt nach einem Ausschnitt aus einer mittelalterlichen Hymne - "Mitten wir im Leben sind / Mit dem Tod umfangen" lautet die Zeile vollständig – lässt die berühmte Minimalistin in den ersten drei Suiten jeweils einen anderen Tänzer in den Dialog mit der Musik eintreten. Sie selbst gibt mit geheimnisvollen Gesten und dem Anzeigen der Nummer des Musikstücks mit den Fingern den Auftakt zu den Soli ihrer Tänzer. Zu jedem von ihnen gesellt sie sich für ein kurzes Duett mit der selben Sequenz von Schritten und Gesten.
Mit Schlichtheit und gewollter Beiläufigkeit
Alle sind in Schwarz und Dunkelblau gekleidet und tragen Turnschuhe, schlichte T-Shirts, kurze Hosen die Männer, die Choreografin ein fliessendes geschlitztes Kleid mit tiefem Rückenausschnitt.
Auf Bachs zu Herzen gehende Musik, die von der Einsamkeit des Menschen und seinem Zugehen auf den Tod spricht, antworten die Tänzer Keersmaekers mit ernsten, verschlossenen Gesichtern und bis zur Auflösung der Formen in die Alltagsbanalität heruntergebrochener Bewegung. Ausbrüche werden wie absichtsvoll ungekonnt gesprungen, sonst wird viel auf ganzer Sohle gedreht, gelaufen, gegangen, gekniet und über den Boden gerollt.
Tanzen in einem geschlossenen System
Scheint diese Schlichtheit zunächst musikalisch sehr genau gearbeitet und eine stimmige Reaktion auf die Konfrontation mit Bach, so kippt diese gewollte Beiläufigkeit über die zwei Stunden hinweg immer mehr und bekommt etwas Falsches, Prätentiöses. Manierismus war schon in vielen Arbeiten de Keersmaekers ein Problem. Ihre tänzerische Einfachheit und Strenge bekommt dann etwas Sektiererisches und Pathetisches. Der Tanz lebt und atmet nicht mehr, sondern stellt sich als ein geschlossenes System dar, wie unter einer Glasglocke.