De Ridder: Palliativmedizin muss ausgebaut werden
In Deutschland ist die Sterbehilfe nach wie vor verboten. Sterbewillige fahren daher in die Schweiz, wo Vereine wie Exit oder Dignitas aktive Suizidbegleitung anbieten. Der Mediziner Michael de Ridder lehnt dies ab, fordert aber, dass Ärzte unter bestimmten Bedingungen beim Suizid assistieren können sollten.
Frank Meyer: Ehrenamtliche Sterbehelfer begleiten andere Menschen beim Suizid – so ist das beim Schweizer Sterbehilfeverein EXIT, der in diesem Jahr 30 Jahre alt wird. In der Schweiz in Zürich sprechen in diesem Tagen Vertreter von 55 Sterbehilfe-Organisationen über ihre Erfahrungen. In der Schweiz in Zürich sprechen in diesem Tagen Vertreter von 55 Sterbehilfe-Organisationen über ihre Erfahrungen.
Wir reden über dieses Thema mit Michael de Ridder. Er war Chefarzt der Rettungsstelle eines großen Berliner Krankenhauses, und jetzt ist er Projektleiter für ein Hospiz, also ein Haus für Sterbebegleitung. Seien Sie willkommen, Herr de Ridder!
Michael de Ridder: Guten Tag!
Meyer: 30 Jahre EXIT in der Schweiz – was halten sie denn als Arzt von Sterbehilfevereinen wie EXIT?
De Ridder: Also ich selbst stehe jeder Form von organisierter und erst recht kommerzialisierter Sterbehilfe – beziehungsweise hier ist ja die ärztliche Suizidassistenz gemeint oder Suizidassistenz überhaupt gemeint –, sehr kritisch, um nicht zu sagen ablehnend gegenüber. Denn ich glaube oder bin davon überzeugt, dass die ärztliche Hilfe bei der eigenverantwortlichen Lebensbeendigung eines aussichtslos kranken Menschen ein intimes Verhältnis von Arzt und Patient voraussetzt, das heißt ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen Krankem und Arzt, und dies kann meiner Meinung nach organisierte beziehungsweise kommerzialisierte Sterbehilfe niemals leisten.
Meyer: Bei EXIT ist es ja so, dass dort ehrenamtliche Sterbehelfer die Menschen begleiten, die sterben wollen. Die machen vorher eine zwölfmonatige Ausbildung. Warum sagen Sie, dass dieses Verhältnis zwischen einem ehrenamtlichen Helfer und einem Sterbewilligen, warum soll das das falsche sein für diese Situation?
De Ridder: Ja, es muss ja zunächst einmal festgestellt werden, ob die ärztliche, ob die Suizidassistenz überhaupt angezeigt ist bei einem bestimmten Patienten. Wir wissen ja zum Beispiel aus der Bundesrepublik, dass von den geschätzten 300 bis 400 Menschen, die jährlich in die Schweiz fahren, um sich bei EXIT und/oder Dignitas mit Hilfestellung beim Suizid geben zu lassen, dass davon ein ganz großer Teil hier bei uns weder medizinisch noch juristisch korrekt beraten worden ist und in der Schweiz auch nicht korrekt beraten wird, was die palliativmedizinischen Möglichkeiten angeht, die eigentlich zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten, von diesen vielen Menschen, die von den Hunderten von Menschen, die in die Schweiz gehen aus Deutschland, von Deutschland aus, sind mit Sicherheit meiner Auffassung nach 250 bis 350 dabei, die hier in unserem Land auf ganz legalem Wege mit den Mitteln der Palliativmedizin einschließlich der palliativen Sedierung ganz friedlich und legal sterben könnten. Und dies ist, da habe ich große Zweifel, dass dies in der Schweiz bei EXIT und bei Dignitas sozusagen, dass diese Praxis dem gerecht wird.
Meyer: Sie bauen ja gerade jetzt ein Hospiz auf, also einen Ort für ein würdevolles, möglichst schmerzfreies Sterben, wo eben keine Hilfe für die Selbsttötung gegeben werden soll, Sie sagen aber trotz dieser Arbeit für ein Hospiz, dass Ärzte in Deutschland die Möglichkeit bekommen sollten, beim Suizid ärztlich zu assistieren. Warum sollten die Ärzte bei uns diese Möglichkeit kriegen?
De Ridder: Also da folge ich ganz dem verstorbenen Bundesärztekammerpräsidenten Professor Jörg-Dietrich Hoppe, der ja ganz klar sich in dieser Frage positioniert hat. Zunächst einmal hat er gesagt, das Sterben ist nicht normierbar. Das ist ein weites Feld, wenn etwas nicht normierbar ist, und wenn das Sterben nicht normierbar ist, ist unter Umständen, unter ganz bestimmten Umständen auch ein ärztlich assistiertes Sterben zu verantworten. Hinzu hat Professor Hoppe gesagt, der Arzt, die ärztliche Suizidassistenz ist keine ärztliche Aufgabe, aber – hat er ergänzt – sie sollte möglich sein, wenn der Arzt dies mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Diese Möglichkeit der Gewissensentscheidung, die als immer die letzte, die bei jeder Behandlungsentscheidung, bei jeder ärztlichen Behandlungsentscheidung die letzte und äußerste Instanz der Entscheidungsfindung für den Arzt war, ist nun durch die Musterberufsordnung der Ärzte Paragraf 16 abgeschafft, weil im Juni letzten Jahres der neu gewählte Bundesärztekammerpräsident Montgomery eine Entscheidung durchgesetzt hat, die dahin geht, dass jedem Arzt in Deutschland die ärztliche Suizidassistenz berufsrechtlich verboten ist. Ob das dauerhaft Bestand haben wird vor dem Strafrecht, das ja die Suizidassistenz wie den Suizid selbst von Strafe und Sanktion freistellt, das wird sich erst noch erweisen müssen. Ich persönlich glaube, dass dies kein guter Tag für die deutsche Ärzteschaft war, ich hätte mir ein Moratorium gewünscht, zumal ein Drittel der deutschen Ärzteschaft der ärztlichen Suizidassistenz offen gegenübersteht.
Meyer: Also Sie sagen für sich selbst, Sie wären als Arzt bereit, einem Menschen, der das will, beim Sterben zu helfen?
De Ridder: Unter ganz bestimmten, eng begrenzten Umständen ja. Das heißt, ein Patient, der in aussichtsloser Krankheit über jede palliativmedizinische Möglichkeit informiert worden ist, der darüber hinaus in sozialer Aufgehobenheit lebt, der auch das bekommt, was Zuwendung und Solidarität, menschliche Solidarität bedeutet – und solche Menschen kenne ich, die dennoch sagen, ich kann dieses Leiden nicht ertragen, und ich möchte dieses Leiden beendet wissen –, und in einer solchen Situation, die auch beispielsweise ja der Philosoph Karl Jaspers in sehr schöner weise dargestellt hat, ist für mich ärztlich assistierter Suizid unter Umständen – das kann ich natürlich nur im individuellen Fall entscheiden – nicht nur gerechtfertigt, sondern vielleicht sogar geboten.
Meyer: Und wie viele Ihrer Kollegen denken wie Sie, Ihrer deutschen Ärztekollegen? Was meinen Sie?
De Ridder: Ja, ich denke, wie ich eben schon andeutete: Ein Drittel der deutschen Ärzteschaft ist hier dieser Problematik offen gegenüber, ist auf jeden Fall nicht gewillt, diese Restriktion, die jetzt der Deutsche Ärztetag geschafft hat, die hinzunehmen. Vielleicht darf ich noch etwas sagen, was ich mir vorstelle: Wir brauchen für aussichtslos kranke Menschen in Deutschland die Möglichkeit der Beratung. Es gibt in der ärztlich assistierten Suizidproblematik manche Parallele zur Abtreibung. Zur Abtreibung kann ja auch kein Arzt gezwungen werden, und wir haben Beratungsstellen, pro familia, wo ergebnisoffen beraten werden kann. So etwas wünsche ich mir auch oder könnte ich mir vorstellen, auch für Menschen mit aussichtsloser Erkrankung, die Wege suchen, wie sie mit ihrem Leiden umgehen können. Es sollte in der Hinsicht so beraten werden, dass das ganze Spektrum der Palliativmedizin, ihre Reichweite und ihre Möglichkeiten dem Patienten dargestellt werden, wenn er einen Suizidwunsch tatsächlich hat, und es muss geprüft werden, und es muss mit dem Patienten gesprochen werden darüber, ob er diesen Wunsch angesichts möglichen Unwissens, was er mitbringt in diese Beratungssituation, diesem Wunsch nicht anders begegnet werden kann. Aber prinzipiell sollte auch, weil es diese Fälle gibt, die Möglichkeit, die Option bestehen, dass eine ärztliche Suizidassistenz möglich ist.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit dem Berliner Mediziner Michael de Ridder über Sterbehilfe in Deutschland. Es soll ja auf diesem Feld eine Änderung der Rechtslage geben. Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat einen Entwurf dazu erarbeitet, und in dem Entwurf steht, dass die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung strafbar sein soll. Das ist, glaube ich, unstrittig, wenn jemand damit Geld verdient, das kann man nicht zulassen. Aber in dem Entwurf steht auch, Sterbehilfe ohne Gewinnstreben sollte nicht strafbar sein. Was halten Sie von dieser geplanten Gesetzesänderung?
De Ridder: Das ist eine für mich nachgeordnete Frage. Dass natürlich ein Arzt auch letztlich für die Leistung, die er einem solchen Patienten gegenüber erbringt, irgendwie auf irgendeine Weise Anspruch auf eine Honorierung hat, das finde ich schon. Ich würde aber sagen, die Situation dürfte so selten eintreten, weil ich immer wieder darauf hinweisen möchte, der Ausbau der Palliativmedizin in Deutschland ist vordringlich, und die Information der Menschen in unserem Land, die schwerstkrank sind und die nicht wissen, welche Optionen sie haben, und das wissen sie oftmals nicht, das ist vordringlich, und deswegen sage ich, wir könnten den, ich sage mal den "Berg" in Anführungszeichen der suizidwilligen Kranken erheblich zum Einschmelzen bringen, wenn wir eben diese Informationen gäben. Und hier hat die Öffentlichkeit, hier hat die Medizin noch viel zu leisten, dann würde dieses Problem auch zumindest von der quantitativen Seite her viel geringer werden.
Meyer: Es wird ja oft eingewandt gegen eine Erleichterung von Sterbehilfe, dass man damit eine Logik erzeugt, dass dann, wer sterben könnte, auch dann sterben sollte, oder dass die Menschen selber denken, ich falle jetzt meinen Angehörigen nur noch zur Last, es wäre besser, wenn ich nicht mehr da wäre. Teilen Sie solche Befürchtungen?
De Ridder: Überhaupt nicht. Also die Logik, wer sterben könnte, sollte auch sterben, das erscheint mir geradezu absurd. Ich möchte dazu sagen, dass es natürlich nicht sein kann, dass jemand, der sagt, ich falle anderen zur Last, dass das von vornherein so interpretiert wird, dass ein gesellschaftlicher Druck sich aufbaut, um hier alte Menschen, schwerstkranke Menschen sozusagen, ich sage mal in Anführungszeichen, kostengünstig letztendlich "zu entsorgen". So etwas kann es nicht geben, das kann ich mir auch nicht vorstellen, und die Ärzte oder andere, die so etwas sagen, halte ich für Demagogen, weil hier ein berechtigtes Anliegen sozusagen völlig verdreht wird. Ich möchte sagen, dass die Möglichkeiten auch des – nichts in der Welt ist ohne Risiko und ohne Missbrauchsmöglichkeit, natürlich kann man alles missbrauchen. Und auch dieses ist auch die ärztliche Suizidassistenz, oder die Sterbehilfe ist missbrauchbar, aber ich will sagen, wenn ich darüber nachdenke, dann muss ich sagen, Missbrauch hat die Ärzteschaft in der Vergangenheit ja viel mehr begangen, viel, viel häufiger dadurch gezeigt, dass sie beispielsweise den Patientenwillen übergangen hat, nicht? Die Missbrauchsmöglichkeiten stecken ja auch zum Beispiel viel mehr in der passiven Sterbehilfe oder auch in der indirekten Sterbehilfe drin, als in der natürlich sehr transparent zu machenden Praxis der ärztlich assistierten Suizidassistenz. Also ich …
Meyer: Also …
De Ridder: Darüber hinaus noch vielleicht ein Letztes: Diejenigen, die ärztliche Suizidassistenz fordern, das sind ja durchweg Menschen in gehobenen gesellschaftlichen Positionen, das sind Akademiker, das sind ja gerade nicht die sogenannt schwächsten oder am Rande unserer Gesellschaft stehenden.
Meyer: Also Ärzte sollten beim Selbstmord assistieren dürfen, fordert der Berliner Mediziner Michael de Ridder, der übrigens auch ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat: "Wie wollen wir sterben?" erschien beim Verlag DVA. Herr de Ridder, vielen Dank für das Gespräch!
De Ridder: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir reden über dieses Thema mit Michael de Ridder. Er war Chefarzt der Rettungsstelle eines großen Berliner Krankenhauses, und jetzt ist er Projektleiter für ein Hospiz, also ein Haus für Sterbebegleitung. Seien Sie willkommen, Herr de Ridder!
Michael de Ridder: Guten Tag!
Meyer: 30 Jahre EXIT in der Schweiz – was halten sie denn als Arzt von Sterbehilfevereinen wie EXIT?
De Ridder: Also ich selbst stehe jeder Form von organisierter und erst recht kommerzialisierter Sterbehilfe – beziehungsweise hier ist ja die ärztliche Suizidassistenz gemeint oder Suizidassistenz überhaupt gemeint –, sehr kritisch, um nicht zu sagen ablehnend gegenüber. Denn ich glaube oder bin davon überzeugt, dass die ärztliche Hilfe bei der eigenverantwortlichen Lebensbeendigung eines aussichtslos kranken Menschen ein intimes Verhältnis von Arzt und Patient voraussetzt, das heißt ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen Krankem und Arzt, und dies kann meiner Meinung nach organisierte beziehungsweise kommerzialisierte Sterbehilfe niemals leisten.
Meyer: Bei EXIT ist es ja so, dass dort ehrenamtliche Sterbehelfer die Menschen begleiten, die sterben wollen. Die machen vorher eine zwölfmonatige Ausbildung. Warum sagen Sie, dass dieses Verhältnis zwischen einem ehrenamtlichen Helfer und einem Sterbewilligen, warum soll das das falsche sein für diese Situation?
De Ridder: Ja, es muss ja zunächst einmal festgestellt werden, ob die ärztliche, ob die Suizidassistenz überhaupt angezeigt ist bei einem bestimmten Patienten. Wir wissen ja zum Beispiel aus der Bundesrepublik, dass von den geschätzten 300 bis 400 Menschen, die jährlich in die Schweiz fahren, um sich bei EXIT und/oder Dignitas mit Hilfestellung beim Suizid geben zu lassen, dass davon ein ganz großer Teil hier bei uns weder medizinisch noch juristisch korrekt beraten worden ist und in der Schweiz auch nicht korrekt beraten wird, was die palliativmedizinischen Möglichkeiten angeht, die eigentlich zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten, von diesen vielen Menschen, die von den Hunderten von Menschen, die in die Schweiz gehen aus Deutschland, von Deutschland aus, sind mit Sicherheit meiner Auffassung nach 250 bis 350 dabei, die hier in unserem Land auf ganz legalem Wege mit den Mitteln der Palliativmedizin einschließlich der palliativen Sedierung ganz friedlich und legal sterben könnten. Und dies ist, da habe ich große Zweifel, dass dies in der Schweiz bei EXIT und bei Dignitas sozusagen, dass diese Praxis dem gerecht wird.
Meyer: Sie bauen ja gerade jetzt ein Hospiz auf, also einen Ort für ein würdevolles, möglichst schmerzfreies Sterben, wo eben keine Hilfe für die Selbsttötung gegeben werden soll, Sie sagen aber trotz dieser Arbeit für ein Hospiz, dass Ärzte in Deutschland die Möglichkeit bekommen sollten, beim Suizid ärztlich zu assistieren. Warum sollten die Ärzte bei uns diese Möglichkeit kriegen?
De Ridder: Also da folge ich ganz dem verstorbenen Bundesärztekammerpräsidenten Professor Jörg-Dietrich Hoppe, der ja ganz klar sich in dieser Frage positioniert hat. Zunächst einmal hat er gesagt, das Sterben ist nicht normierbar. Das ist ein weites Feld, wenn etwas nicht normierbar ist, und wenn das Sterben nicht normierbar ist, ist unter Umständen, unter ganz bestimmten Umständen auch ein ärztlich assistiertes Sterben zu verantworten. Hinzu hat Professor Hoppe gesagt, der Arzt, die ärztliche Suizidassistenz ist keine ärztliche Aufgabe, aber – hat er ergänzt – sie sollte möglich sein, wenn der Arzt dies mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Diese Möglichkeit der Gewissensentscheidung, die als immer die letzte, die bei jeder Behandlungsentscheidung, bei jeder ärztlichen Behandlungsentscheidung die letzte und äußerste Instanz der Entscheidungsfindung für den Arzt war, ist nun durch die Musterberufsordnung der Ärzte Paragraf 16 abgeschafft, weil im Juni letzten Jahres der neu gewählte Bundesärztekammerpräsident Montgomery eine Entscheidung durchgesetzt hat, die dahin geht, dass jedem Arzt in Deutschland die ärztliche Suizidassistenz berufsrechtlich verboten ist. Ob das dauerhaft Bestand haben wird vor dem Strafrecht, das ja die Suizidassistenz wie den Suizid selbst von Strafe und Sanktion freistellt, das wird sich erst noch erweisen müssen. Ich persönlich glaube, dass dies kein guter Tag für die deutsche Ärzteschaft war, ich hätte mir ein Moratorium gewünscht, zumal ein Drittel der deutschen Ärzteschaft der ärztlichen Suizidassistenz offen gegenübersteht.
Meyer: Also Sie sagen für sich selbst, Sie wären als Arzt bereit, einem Menschen, der das will, beim Sterben zu helfen?
De Ridder: Unter ganz bestimmten, eng begrenzten Umständen ja. Das heißt, ein Patient, der in aussichtsloser Krankheit über jede palliativmedizinische Möglichkeit informiert worden ist, der darüber hinaus in sozialer Aufgehobenheit lebt, der auch das bekommt, was Zuwendung und Solidarität, menschliche Solidarität bedeutet – und solche Menschen kenne ich, die dennoch sagen, ich kann dieses Leiden nicht ertragen, und ich möchte dieses Leiden beendet wissen –, und in einer solchen Situation, die auch beispielsweise ja der Philosoph Karl Jaspers in sehr schöner weise dargestellt hat, ist für mich ärztlich assistierter Suizid unter Umständen – das kann ich natürlich nur im individuellen Fall entscheiden – nicht nur gerechtfertigt, sondern vielleicht sogar geboten.
Meyer: Und wie viele Ihrer Kollegen denken wie Sie, Ihrer deutschen Ärztekollegen? Was meinen Sie?
De Ridder: Ja, ich denke, wie ich eben schon andeutete: Ein Drittel der deutschen Ärzteschaft ist hier dieser Problematik offen gegenüber, ist auf jeden Fall nicht gewillt, diese Restriktion, die jetzt der Deutsche Ärztetag geschafft hat, die hinzunehmen. Vielleicht darf ich noch etwas sagen, was ich mir vorstelle: Wir brauchen für aussichtslos kranke Menschen in Deutschland die Möglichkeit der Beratung. Es gibt in der ärztlich assistierten Suizidproblematik manche Parallele zur Abtreibung. Zur Abtreibung kann ja auch kein Arzt gezwungen werden, und wir haben Beratungsstellen, pro familia, wo ergebnisoffen beraten werden kann. So etwas wünsche ich mir auch oder könnte ich mir vorstellen, auch für Menschen mit aussichtsloser Erkrankung, die Wege suchen, wie sie mit ihrem Leiden umgehen können. Es sollte in der Hinsicht so beraten werden, dass das ganze Spektrum der Palliativmedizin, ihre Reichweite und ihre Möglichkeiten dem Patienten dargestellt werden, wenn er einen Suizidwunsch tatsächlich hat, und es muss geprüft werden, und es muss mit dem Patienten gesprochen werden darüber, ob er diesen Wunsch angesichts möglichen Unwissens, was er mitbringt in diese Beratungssituation, diesem Wunsch nicht anders begegnet werden kann. Aber prinzipiell sollte auch, weil es diese Fälle gibt, die Möglichkeit, die Option bestehen, dass eine ärztliche Suizidassistenz möglich ist.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit dem Berliner Mediziner Michael de Ridder über Sterbehilfe in Deutschland. Es soll ja auf diesem Feld eine Änderung der Rechtslage geben. Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat einen Entwurf dazu erarbeitet, und in dem Entwurf steht, dass die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung strafbar sein soll. Das ist, glaube ich, unstrittig, wenn jemand damit Geld verdient, das kann man nicht zulassen. Aber in dem Entwurf steht auch, Sterbehilfe ohne Gewinnstreben sollte nicht strafbar sein. Was halten Sie von dieser geplanten Gesetzesänderung?
De Ridder: Das ist eine für mich nachgeordnete Frage. Dass natürlich ein Arzt auch letztlich für die Leistung, die er einem solchen Patienten gegenüber erbringt, irgendwie auf irgendeine Weise Anspruch auf eine Honorierung hat, das finde ich schon. Ich würde aber sagen, die Situation dürfte so selten eintreten, weil ich immer wieder darauf hinweisen möchte, der Ausbau der Palliativmedizin in Deutschland ist vordringlich, und die Information der Menschen in unserem Land, die schwerstkrank sind und die nicht wissen, welche Optionen sie haben, und das wissen sie oftmals nicht, das ist vordringlich, und deswegen sage ich, wir könnten den, ich sage mal den "Berg" in Anführungszeichen der suizidwilligen Kranken erheblich zum Einschmelzen bringen, wenn wir eben diese Informationen gäben. Und hier hat die Öffentlichkeit, hier hat die Medizin noch viel zu leisten, dann würde dieses Problem auch zumindest von der quantitativen Seite her viel geringer werden.
Meyer: Es wird ja oft eingewandt gegen eine Erleichterung von Sterbehilfe, dass man damit eine Logik erzeugt, dass dann, wer sterben könnte, auch dann sterben sollte, oder dass die Menschen selber denken, ich falle jetzt meinen Angehörigen nur noch zur Last, es wäre besser, wenn ich nicht mehr da wäre. Teilen Sie solche Befürchtungen?
De Ridder: Überhaupt nicht. Also die Logik, wer sterben könnte, sollte auch sterben, das erscheint mir geradezu absurd. Ich möchte dazu sagen, dass es natürlich nicht sein kann, dass jemand, der sagt, ich falle anderen zur Last, dass das von vornherein so interpretiert wird, dass ein gesellschaftlicher Druck sich aufbaut, um hier alte Menschen, schwerstkranke Menschen sozusagen, ich sage mal in Anführungszeichen, kostengünstig letztendlich "zu entsorgen". So etwas kann es nicht geben, das kann ich mir auch nicht vorstellen, und die Ärzte oder andere, die so etwas sagen, halte ich für Demagogen, weil hier ein berechtigtes Anliegen sozusagen völlig verdreht wird. Ich möchte sagen, dass die Möglichkeiten auch des – nichts in der Welt ist ohne Risiko und ohne Missbrauchsmöglichkeit, natürlich kann man alles missbrauchen. Und auch dieses ist auch die ärztliche Suizidassistenz, oder die Sterbehilfe ist missbrauchbar, aber ich will sagen, wenn ich darüber nachdenke, dann muss ich sagen, Missbrauch hat die Ärzteschaft in der Vergangenheit ja viel mehr begangen, viel, viel häufiger dadurch gezeigt, dass sie beispielsweise den Patientenwillen übergangen hat, nicht? Die Missbrauchsmöglichkeiten stecken ja auch zum Beispiel viel mehr in der passiven Sterbehilfe oder auch in der indirekten Sterbehilfe drin, als in der natürlich sehr transparent zu machenden Praxis der ärztlich assistierten Suizidassistenz. Also ich …
Meyer: Also …
De Ridder: Darüber hinaus noch vielleicht ein Letztes: Diejenigen, die ärztliche Suizidassistenz fordern, das sind ja durchweg Menschen in gehobenen gesellschaftlichen Positionen, das sind Akademiker, das sind ja gerade nicht die sogenannt schwächsten oder am Rande unserer Gesellschaft stehenden.
Meyer: Also Ärzte sollten beim Selbstmord assistieren dürfen, fordert der Berliner Mediziner Michael de Ridder, der übrigens auch ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat: "Wie wollen wir sterben?" erschien beim Verlag DVA. Herr de Ridder, vielen Dank für das Gespräch!
De Ridder: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.