"Centropy" - Fotografien von Deana Lawson, bis zum 11. Oktober 2020 in der Kunsthalle Basel, Schweiz.
Ikonen des schwarzen Alltags
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Deana Lawsons Fotografien zeigen Menschen, die trotz prekärer Umstände eine fast heilige Würde ausstrahlen. Lawson spart die Armut nicht aus, begegnet aber den Porträtierten voller Respekt. Und füllt so "Black Life Matters" mit Leben.
"George Floyds Tod ist nur der jüngste in einer Reihe von Todesfällen schwarzer Frauen und Männer, die durch die Polizei und das System, das sie eigentlich schützen sollte, verursacht wurden", sagt Elena Filipovic, die US-amerikanische Direktorin der Basler Kunsthalle.
"Deana ist damit aufgewachsen, hat es gesehen und darunter gelitten. Und ihre Fotografien sind in gewisser Weise die Antwort. Sie gibt schwarzem Leben die Intelligenz, die Schönheit und den Glanz zurück, den es verdient."
Die Bilder des schwarzen Alltags, die Deana Lawson präsentiert, sind "hard stuff". Schönheit, Glanz, Intelligenz – zweifellos. Aber das alles umgeben von Armut, Verwahrlosung, Chaos, mühsam improvisierter Ordnung. Also keine sentimentale Verzuckerung der Lebensumstände, sondern ein eindringlicher Blick.
Aber ein Blick voller Zärtlichkeit und mit großem Respekt auf provozierende, selbstbewusste Nacktheit, kraftvoll bizarre Posen. Zum Beispiel die schwangere Brasilianerin, die sich auf der Steintreppe ihrer Wohnung hingestreckt präsentiert: lässig, aber auch hellwach und irgendwie argwöhnisch. Von ihrer majestätischen Ausstrahlung fasziniert, bemerkt man erst nach einiger Zeit den schwarzen Gegenstand, der die Fessel ihres linken Beins umschließt.
"Alles sieht so aus, als ginge es da um eine Referenz an eine lange historische Tradition", erläutert Filipovic. "Man denkt an Manets 'Olympia'. Und dann sieht man an ihrem Knöchel dieses Ding, diese Fußfessel. Sie steht also unter Hausarrest."
Türen in eine selten repräsentierte Welt
Manets "Olympia" ist keine zufällige Assoziation. Eines der wenigen Bilder der Kunstgeschichte, in der eine Schwarze zur Hauptperson wurde. Vielleicht haben Lawsons Fotografien deshalb Gemäldeformat: um den blinden Fleck, der die Kunstgeschichte durchzieht, zu korrigieren.
Mindestens ein Meter breit, öffnen sich da Türen in eine selten repräsentierte Welt. Fast schreckt man zurück – denn ob man dort willkommen wäre, ist fraglich. Die prekären Lebensumstände jedenfalls sind unübersehbar, betont Filipovic.
"Vieles in Deana Lawsons Werk betont das Positive im Leben der Schwarzen. Aber ganz sacht legt sie auch den Finger auf die Situation, in der diese Menschen leben. Trotz ihrer Würde und Anmut leben sie in prekären Verhältnissen, egal ob in Jamaika, Brasilien oder in den Vereinigten Staaten. Und das hat mit einem kaputten System zu tun, das sie zu Verlierern macht."
Besonderes Augenmerk auf Frauen
Deana Lawsons Empathie gilt zweifellos den Frauen. Ob da ein Trio in akrobatischer Formation auf einem Teppich liegend posiert oder eine junge Frau nackt und auf den Knien auf dem Bett ihres toten Partners balanciert, auf einer Tagesdecke mit überdimensionalen Tulpenblüten – sie werden uns als Göttinnen präsentiert. Das ist kein Kitsch, keine verblendete Idolatrie. Deana Lawson schlägt uns diesen Blick, dieses Gedankenspiel lediglich vor.
"Sie behandelt diese Frau wie eine Heilige. Wie eine Göttin, der Anbetung und Verehrung gebührt. Und das ist wunderbar, denn sie lebt in ärmlichen Verhältnissen, Schrank und Fußboden sind kaputt. Trotzdem könnte sie eine Heilige sein."
Jedes Bild eine Stellungnahme
Und es ist die genau kalkulierte Mischung aus Intimität, inszenierter Künstlichkeit und schonungslosem Realismus, die diese Fotografien so spannend macht.
Selbstverständlich geht es darum, eine bislang unterdrückte oder nicht beachtete Ikonographie schwarzen Alltags zu etablieren. Doch dazu muss Deana Lawson nicht explizit politisch werden, muss keine Demonstrationen oder Gewalttaten fotografieren. Denn jedes dieser Bilder ist eine Stellungnahme gegen Rassismus. Jedes ist zärtlich, empathisch, parteilich.
Die Kunsthalle Basel bietet jetzt Gelegenheit, mit diesen Bildern zusammen zu sein und sie zu betrachten. Und sich in den Spiegelrändern, die diese Fotografien umgeben, zu reflektieren.