Debatte

Das Fenster einen Spalt geöffnet

Undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit: Kamerun war einst deutsche Kolonie.
Undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit: Kamerun war einst deutsche Kolonie. © picture-alliance / dpa
Von Thomas Fitzel |
Postkoloniale Gerechtigkeit: Was ist das eigentlich? Damit beschäftigt sich eine Tagung in der Berliner Werkstatt der Kulturen. Und sie will auch Deutschlands Verantwortung wieder in das Bewusstsein rücken.
Für einen Abend verließ man das beschauliche Neue Palais in Potsdam und ging in den multikulturellen Berliner Stadtteil Neukölln in die Werkstatt der Kulturen. Diese ist in der Wissmannstraße zu finden. Dieser Straßennamen, bei dem sich die meisten Berliner gar nichts weiter mehr denken, führt genau zum Thema Deutschland und der Kolonialismus. Denn die Straße erinnert an Hermann von Wissman.
"Jemand der dafür gesorgt, dass deutsche Kolonialinteressen aufs brutalste unter Missachtung aller Menschenrechte dort durchgesetzt werden."
Joshua Kwesi Aikins, Soziologe sowie Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.
"Gleichzeitig finde ich es auch wichtig, die Geschichte, die jenseits dieser Individuen damit zusammenhängt, auch zu erzählen, weil es unsere Gegenwart bis heute prägt. Da ist auch wichtig wahrzunehmen, dass Deutschland, so wird ja immer gern gesagt, wir waren nicht so lange da, wir waren nicht so schlimm."
Rassismus zu legitimieren versucht
Wo Deutschland überall Kolonien besaß, wissen heute nur die wenigsten. Am ehesten kennt man noch Deutsch-Südwestafrika, das heißt Namibia. Zwar hat Deutschland durch den Ersten Weltkrieges sämtliche Kolonien verloren, doch keineswegs war damit Deutschland seine Verantwortung los.
Bilgin Ayata: "Es ist hier vielleicht nochmals besonders wichtig, die Bedeutung von Deutschland hervorzuheben, wie Kwesi schon erwähnt hat, war hier die Zeit relativ kurz, das stimmt, sie war um so intensiver und hatte eben ein ganz wichtiges Element auch. Und zwar das, dass in Deutschland und insbesondere auch hier in den Universitäten in Berlin, explizit Forschung betrieben wurde, um Rassismus zu legitimieren."
Bilgin Ayata ist Dozentin am Berliner Politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut. Auf dieser Tagung ist eine Fülle unterschiedlichster Themen zu finden, die man unmöglich auf einen Nenner bringen könnte. Bilgin Ayata, die von Anfang an dabei ist, fasst die Tagung zusammen.
"Das Überthema war postkoloniale Gerechtigkeit, postcolonial justice, was ist das eigentlich? Und was bedeutet das in Bezug auf Deutschland und Berlin? Paul Gilroy hat in seiner Rede einen sehr interessanten Beitrag gemacht, indem er gezeigt hat, dass wir sehr genau auf die Widerstände schauen müssen, um zu einer Formulierung von postkolonialer Gerechtigkeit zu gelangen. Er hat das sehr erfolgreich gezeigt, in dem er die Geschichte von Widerstand von Black Communities in dem Vereinigten Königreich von 1976 bis heute in Vergleich gesetzt hat."
Der Popstar der Postkolonialforschung
Der Soziologe Paul Gilroy aus Großbritannien ist so etwas wie der Popstar in der Postkolonialforschung. Entsprechend platzte die Werkstatt der Kulturen aus allen Nähten. Man wollte ihn hören. Sein Buch Black "Atlantik" über die Verbindungs- und Verkehrswege der schwarzen Diaspora ist heute 20 Jahre nach seinem Erscheinen längst ein Klassiker, das auch viele Autoren beeinflusst hat. Wie lässt sich die Debatte in England mit der in Deutschland vergleichen?
"Mit dem Unterschied, dass man in England man sehr offen über diese Themen reden kann, während heute zum ersten Mal eine Konferenz dazu stattgefunden hat. Das müssen wir unterstreichen, also eine Konferenz zu postkolonialer Gerechtigkeit an der Universität Potsdam, wie sie seit gestern anhält, ist für die Universität Potsdam etwas ganz Neues, ich weiß, dass an der FU Berlin noch nichts dazu stattgefunden hat, überhaupt große Konferenzen zu Kolonialismus oder postkoloniale Aspekte werden hauptsächlich von NGO's vorbereitet oder in kleinen wissenschaftlichen Arbeitskreisen, aber in so einem Rahmen, wo auch viel Öffentlichkeit von außerhalb der Universität dazu stößt, passiert eigentlich nicht so häufig. Insofern war das doch ein besonderer Moment heute und das große Interesse zeigt auch, wie notwendig diese Debatte ist."
Kein großer Stellenwert in Deutschland
Erstaunlicherweise ist das Thema Postkolonialismus an den deutschen Universitäten wenn überhaupt eher an den fremdsprachlichen, also an den schöngeistigen, Fakultäten angesiedelt und nicht den kultur- oder politikwissenschaftlichen. Dies ist kein Zufall, spiegelt dies doch den Stellenwert wider, den das Thema Rassismus in Deutschland einnimmt.
"Wenn man schaut wie gerade solche großen Skandale wie die NSU einerseits, aber auch ganz viele andere Sachen, wie z.B. die Ermordung von Oury Jalloh in Polizeigewahrsam, als auch ganz andere viele Beispiele, und die relativ gering in den Medien diskutiert werden. Es wird ein Hype gemacht, aber eine wirkliche Auseinandersetzung über Rassismus entsteht daraus nicht. Die NSU-Debatte ist dafür ein ganz wunderbares Beispiel, wo so viel über Versagen, über Pleiten, Pech und Pannen gesprochen wurde, aber überhaupt nicht tiefgründig die Frage gestellt worden ist, wie war das eigentlich überhaupt alles möglich? Und da muss man natürlich sagen: Alles immer nur auf die Behörden schieben, ist natürlich eine ganz einfache Sache, aber warum sollen die Polizei und die Ermittler anders sein wie der Rest der Bevölkerung? Diese Gegenfrage hat man überhaupt nicht gestellt und wieder einmal eine Chance verpasst, etwas in dem öffentlichen Diskurs voranzutreiben und auch zu verändern."
Die Veranstaltung öffnete zumindest für einen Spalt weit das Fenster für die überfällige Diskussion und auch wissenschaftliche Beschäftigung damit.