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Kritik an Gegenwartsliteratur
Die deutsche Gegenwartsliteratur sei realistisch, leicht zugänglich und damit markttauglich, meint der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler. © Christoph Mukherjee
"Kuck mal, ich bin große Kunst!"
11:10 Minuten
"Midcult" ist leicht verdauliche Literatur, die Tiefe nur andeutet: Moritz Baßler hat mit dieser These für Debatten gesorgt. In dem Buch "Populärer Realismus" beschreibt er das Phänomen genauer und kritisiert Romane, die "liegestuhltauglich" seien.
Realistisch, leicht zugänglich und damit markttauglich – das sind drei Attribute, die der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler dem Gros der deutschen Gegenwartsliteratur attestiert. In einem über Strecken sehr polemischen Essay hatte er seine Analyse erstmals veröffentlicht, viel Kritik geerntet und für Debatten gesorgt. Nun ist sein Buch „Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens“ erschienen, in dem er genauer den von ihm genutzten Begriff Midcult erläutert.
Umberto Eco habe diesen Begriff definiert und erstmals mit ihm gearbeitet. Baßler erklärt: „Midcult ist bei Umberto Eco so etwas wie eine strukturale Lüge. Sie besteht darin, dass man glaubt, man würde an hoher Kunst partizipieren, wenn man zum Beispiel einen Roman liest, in Wirklichkeit aber einen verdaulichen Unterhaltungstext liest, der garniert wurde mit Zeichen, die sich schon einmal bewährt haben als Elemente großer Kunst, es inzwischen aber nicht mehr sind, sondern nur noch signalisieren: Kuck mal, ich bin große Kunst.“ Moritz Baßler nutzt als Synonym den Begriff „liegestuhltaugliche Literatur“.
„Das erste, was man fragen muss, wenn Sie beispielsweise einen Sebastian-Fitzek-Krimi nehmen, was keinen besonderen Anspruch hat, ist: Warum lässt sich das so leicht lesen? – Weil auf der sprachlichen Ebene, auf der Ebene der Zeichen, keine Schwierigkeiten entstehen", erklärt Baßler.
"Liegestuhltauglich" als Synonym für Midcult
Liegestuhltauglich sei es, wenn der Leser die „Zeichenebene nicht mehr bemerkt“ und dies sei die Voraussetzung von Realismus und dass es eben „populär“ sei. Der literarische Anspruch sei hier nicht mehr der der alten Avantgarde, „schwierige Sprachkunst“ zu schaffen.
Der fehlende literarische Anspruch solch populärer Werke werde meist mit anderen Komponenten wettgemacht, so Baßler: „Da kommt dann in dem Roman 'Auschwitz' vor, und dann denkt man: Das ist ja einer der heftigsten Diskurse, den wir so haben in Deutschland, da muss dieser Roman ja auch schwierig und relevant und bedeutsam sein.“
Bedeutung schafft man nicht mit Symbolen
Solche Symbole aber reichten einfach nicht aus, um populäre Arbeiten mit Bedeutung zu belegen, betont Baßler: „Denn eine Schaukel, Rassismus, ein Nazi, eine Leiche sind in einem Roman eben etwas anderes als im wirklichen Leben, sie sind Strukturmomente, sie sind Sinnträger in einer Art und Weise, wie sie das im wirklichen Leben eben nicht sind.“ Anzeiger finde man hier ganz einfach beim Lesen, so Baßler: „Wenn man einen populär-realistischen Text langsam und auf spannende Textsignale oder auf Metaphern hin liest, wird man sich fürchterlich langweilen, weil man solche Texte eben schnell lesen muss, dafür sind sie auch da.“
Die Leserschaft wird nicht mehr gefordert
Baßler warnt hier, dass für das Lesen und die Leserschaft auch eine Gefahr darin bestehe, wenn sie mit der Rezeption dieser populär-realistischen Texte nicht mehr gefordert seien, literarische Zeichen und Pfade zu entdecken: „Man kann das verlernen: Sascha Michel sagt, wenn wir diese schwierigen Texte gar nicht mehr kennen, dann merken wir gar nicht mehr, wie wir manipuliert werden.“
Erfolg und Verbreitung dieses populären Realismus sei auch ein Anzeiger für den Wandel des Lesens: „Er sagt, dass die allermeisten von uns, die lesen, dass die nicht mehr Zeit haben, sich professionell einzuarbeiten in die Gesetze der Kunst. Dieser populäre Realismus, der auch diese Midcult-Signale hat, ist ein perfektes Verhältnis von Angebot und Nachfrage.“
Dies habe Folgen für den Diskurs. Die Debatte über Literatur werde dadurch auch breiter und stelle an die früheren Gatekeeper, die bestimmenden Personen literarischer Debatten, Wissenschaftler und andere, neue Herausforderungen, wie sie ihr Wissen und ihre Kenntnis in den literarischen Diskurs einbringen könnten.
Moritz Basler: „Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens“
C.H.Beck, München 2022, 408 Seiten, 24 Euro