Live-Stream – eine Bedrohung für das Theater?
Das Theater als Live-Stream, kann das funktionieren? Um diese Fragen anzugehen, lud die Heinrich-Böll-Stiftung Experten aus Netz und Schauspiel zu einem Experiment: Aus dem Schauspielhaus Dortmund wurde eine Aufführung nach Berlin gestreamt. Danach wurde diskutiert.
Das Theater als Ort der Hochkultur soll sich öffnen. Das forderte vor kurzem Berlins Staatssekretär Tim Renner und dann schlug er einen kostenlosen Livestream vor – also die Direktübertragung aus den Zuschauerräumen zu den Endgeräten der User.
Die analoge Feuilletonwelt reagierte aufgebracht und befürchtete Schlimmstes: nämlich eine Verflachung, Ausbeutung bzw. sogar die Abschaffung des Theaters. Aber: welche Chancen, welche Möglichkeiten bietet ein solcher Live-Stream – welche Probleme bringt er mit sich?
Um diese Fragen ernsthaft anzugehen, lud in dieser Woche die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin verschiedene Experten aus Netz und Schauspiel zu einem Experiment: Aus dem Schauspielhaus Dortmund wurde live eine Aufführung gestreamt – Sarah Kanes letztes Stück "4.48 Psychose" – inszeniert vom Dortmunder Intendanten Kay Voges. Kein herkömmliches Stück mit verteilten Rollen, sondern ein Abschiedstext der Autorin. Kurz vor ihrem Selbstmord.
Tim Renner: "Natürlich ersetzt das gar nichts"
In Dortmund sitzen drei Akteure in einem Kubus, der mit Stoff bespannt ist: Die Zuschauer vor Ort sehen Projektionen auf dem Kubus, Nahaufnahmen der Schauspieler, und Biodaten ihrer Körper, die verkabelt sind. Die Zuschauer in Berlin sehen mehr: sie können durch zusätzliche Kameras hinter die Wände des Kubus sehen. Ein Spiel mit Perspektiven und digitalen wie echten Bildern.
Nach eine Stunde Live-Stream in Berlin sind die Reaktionen ziemlich einhellig:
"Also ich wäre lieber grad in Dortmund gewesen als hier – obwohl ich sehr interessante Eindrücke hatte. Ich hätte lieber einen Raum gehabt, in dem ich mit den Menschen atme. Natürlich ersetzt das gar nichts. Das ist eine Diskussion, die völlig absurd ist."
So wie Tim Renner, der Berliner Kulturstaatssekretär - sahen das auch die zur Diskussion geladenen Experten aus Netzwelt und Schauspiel:
Natürlich ersetzt das gar nichts. Live-Stream aus dem Theater muss als Zusatzangebot verstanden werden. Eine Möglichkeit, die hehren Hallen zu öffnen, barrierefreie Teilhabe und darüber hinaus einen Diskurs zu ermöglichen. Brücken zu bauen von der Hochkultur in die Netzgemeinde. Dass dadurch – wie Tim Renner glaubt – die digitale Bohème erstmals ins Theater gelockt wird, daran glaubt Anne Peter, Chefredakteurin des Portals nachtkritik.de, allerdings nicht:
"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man übern Stream für das Theater gewonnen werden kann. Für mich als Kritikerin und die Leser ist das ne reizvolle Idee – zu gucken, wie wird in anderen Städten Theater gemacht, wo ich jetzt nicht fünf Reisen im Monat unternehmen kann."
Wie soll man die Künstler angemessen vergüten?
Eine reizvolle Idee die einige Fragen aufwirft: Das vielleicht schwierigste Problem: Wie soll man die Künstler angemessen vergüten? Wie lässt sich das technisch realisieren? Und wie steht es um die Rechte?
Nils Tabert, vom Rowohlt Verlag, ist in Rechtefragen optimistisch: Er verweist auf britische Bühnen, die längst schon ihre Aufführungen auf Kinoleinwände projizieren mit großem – auch finanziellen – Erfolg:
Nils Tabert, vom Rowohlt Verlag, ist in Rechtefragen optimistisch: Er verweist auf britische Bühnen, die längst schon ihre Aufführungen auf Kinoleinwände projizieren mit großem – auch finanziellen – Erfolg:
Sechsstellige Summen und die Größenordnung der Wiener Burg – damit können sich nicht viele Bühnen messen – auch nicht das Theater Ulm. Dennoch ist die schwäbische Bühne Pionier in Sachen Live-Stream: Dramaturg Daniel Grünauer filmt mit seinen Kollegen einfach selbst die Vorstellungen ab – in den vergangenen zwei Jahren haben sie schon mehr als zehn Inszenierungen gestreamt, 1000 Leute schauten jeweils zu:
Ob einfach abgefilmt oder mit künstlerischem Mehrwert, die Debatte zum Einsatz von Live-Streams im Theater ist eröffnet – und es ist wichtig dass sie geführt wird. Beispiele wie der Erfolg der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker oder Streams von Netzkonferenzen weisen den Weg. Jetzt heißt es, Details und Möglichkeiten auszuloten. So wie es Kay Voges mit seinem Dortmunder Team bereits tut:
"Ich sehe diesen Abend heute als ersten Schritt für unser Haus. Wir haben mehr gesehen als die Zuschauer – toll! Hat anderen Abend draus gemacht, da ist noch ganz viel möglich..."
Der Intendant des Theaters Dortmund, Kay Voges bei einer Diskussion der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Schauspiel im Livestream – Fluch oder Segen"? Eine Chance, der sich die Theater öffnen sollten – so könnte man abschließend diese Frage zusammenfassen.