Pose der Anständigen gegen die "Musik der Unterschicht"?
Für Campino war "die Grenze erreicht" mit der Echo-Würdigung von Kollegah und Farid Bang. Es gab eine Gala und danach sehr viele Fronten und Definitionen - was Rap darf oder nicht. Azadê Peşmen und Axel Rahmlow blicken auf acht Tage Rap-Debatte zurück.
"Die Grenze ist erreicht" sagte Campino bei der Echo-Gala, jedenfalls für ihn. Er meinte die Grenze dessen, was man an Rap-Texten auszuhalten bereit ist, ohne dagegen aufzustehen. Menschenverachtung und Auschwitzinsassen-Analogien - Empörung gab es wegen des Songs "0815" von Kollegah und Farid Bang, die für ihr Album "Jung brutal gutaussehend 3" in der Kategorie Hip Hop / Urban National mit dem Echo 2018 ausgezeichnet worden waren. Künstler wie der Dirigent Enoch zu Guttenberg und der Pianist Igor Levit gaben ihre Echo-Auszeichnungen daraufhin zurück, schließlich sogar auch Marius Müller-Westernhagen.
Die Tage der Abrechnungen und Mahnungen
Die Tage nach der Verleihung am 12. April 2018 waren eine Zeit der Abrechnungen und Mahnungen. So stellte etwa die Bundesprüfstelle klar, dass es für eine Indizierung von Texten oder Musik in Deutschland sehr hohe Hürden gibt, ganz einfach wegen des hier gültigen Zensurverbots, wie Martina Hannak, Leiterin der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sagte.
Und die Musikerin Bernadette La Hengst machte darauf aufmerksam, dass es sich bei dieser Echo-Debatte um eine fast ausschließlich männlich dominierte Auseinandersetzung handelt. "Den Echo bekommen natürlich nicht so viele Frauen. Die Frage ist aber auch, warum sich Haiyti nicht geäußert hat oder Jennifer Rostock, sondern eher die älteren Herren des Deutschrock."
Mit reichlich Verspätung kam dann der Kulturrat und erklärte, er ziehe Konsequenzen aus der "Fehleinschätzung" und zieht sich aus dem Beirat des Echo-Musikpreises zurück.
Label reagierte nur "symbolisch, fast schon zynisch"
Mindestens ebenso holprig findet Deutschlandfunk-Kultur-Redakteur und Hip-Hop-Liebhaber Axel Rahmlow das Statement des Labels BMG, das "die Aktivitäten" jetzt ruhen lasse, um "die Aktivitäten weiter zu besprechen". "Das ist nun im Nachhinein höchstens noch symbolisch, fast schon zynisch." Denn natürlich kenne das Label die Texte und die Songs, und es wusste alles auch bereits vorher - ohne einzugreifen. "Die wussten aber auch: Wir verdienen damit ein Heidengeld, denn dieses Album wird 'Gold' gehen, wird 'Platin' gehen, wird Millionen Streams haben. Jetzt ist das Geld gemacht. Sich jetzt aber dafür zu entschuldigen und zu sagen: 'Tut uns leid!' - Das ist drei Monate zu spät."
Sich jetzt zu äußern sei für viele vor allem ein Akt der Publicity und weniger der echten Auseinandersetzung mit der Musik selbst, kritisiert Deutschlandfunk-Kultur-Redakteurin und Hip-Hop-Liebhaberin Azadê Peşmen: "Im Moment melden sich vor allem Menschen, die nun mit ihren Äußerungen eine ziemlich breite Aufmerksamkeit und Reichweite bekommen: von Heiko Maas über Helene Fischer bis zum Bischof von Limburg."
"Ich finde diese Stille sehr beeindruckend"
Interessant aber sei, so Axel Rahmlow, dass sehr viele und sehr prominente Musiker aus der deutschen Rap- und Hip-Hop-Szene sich nicht geäußert hätten, viel eher noch Campino und seinen Auftritt kritisierten: "Kritik kam von den Erwartbaren, also von Sookie, einer feministischen Rapperin aus Berlin, oder der Antilopen Gang, einer sehr linken Crew aus Düsseldorf." Materia oder Kespah dagegen hätten sich nicht geäußert. "Ich finde diese Stille sehr beeindruckend." Und Azadê Peşmen ergänzt: "Ich glaube, hier geht es auch darum, dass man nicht als Nestbeschmutzer dastehen will."
Steckt vielleicht ein Ressentiment hinter dem einen oder anderen Echo-Zurückgeber-Befürworter, das da lautet: Die Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen sollten mit ihrer Musik da bleiben, wo sie herkommen? Wie weit trägt dieser Kunstvorbehalt? Und wie weit trägt der Vorwurf von Hetze und Pogromstimmung, die in den Texten von Kollegah zum Ausdruck kommt?
Für die Deutschlandfunk-Kultur-Redakteurin und Hip-Hop-Liebhaberin Azadê Peşmen ist die Debatte zu eng und zu reduziert auf Kollegah und Farid Bang, bei denen eben plötzlich sehr viele mitreden und Forderungen aufstellen, die sich kaum mit dem Hip-Hop oder Rap allgemein und der Musik eben Farid Bangs und Kollegahs auseinandersetzen: "Wenn es Antisemitismus in einer Gesellschaft gibt, dann wird es ihn auch im Rap geben, aber man kann nicht anhand einer Textzeile auf ein ganzes Genre schließen, zumal Farid Bang und Kollegah auch nicht für die ganze Rap-Szene stehen." Und Azadê Peşmen warnt vor einer Hetzjagd: "Es gibt auch im Rap eine große Bandbreite und die meisten Rapper und Rapperinnen kommen ohne antisemitische Textzeilen aus."
(sru)