Das schwierige Erbe der Hafenstädte Hamburg und Lissabon
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Zahlreiche Projekte in Hamburg widmen sich der Aufarbeitung europäischer Kolonialgeschichte. Nun hat das Goethe-Institut in Lissabon Parallelen gezogen und bei einer Konferenz diskutiert, wie Städte in Europa dekolonialisiert werden könnten.
Selten genug überlassen Politiker und verantwortliche Minister die Themen ihres Ressorts lieber anderen. Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit sei aber genau das zwingend nötig, sagte Carsten Brosda, Hamburgs Senator für Kultur und Medien, in seiner Eröffnungsrede zur Videokonferenz "Wie dekolonisieren wir unsere Städte?".
Zur Debatte eingeladen hatte das Goethe-Institut in Lissabon unter der Leitung der Politologin Susanne Sporrer. Schon seit zwei Jahren läuft dort ein Projekt zum kolonialen Erbe der portugiesischen Hafenstadt.
Mapping-Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte
"Wir fanden, dass Hamburg ein sehr gutes Gegenüber ist", sagt Sporrer. "Beides sind Hafenstädte. Beide sind im Grunde seit dem 16. Jahrhundert im Kolonialismus sehr engagiert und haben davon sehr profitiert. Und wir haben angefangen zu recherchieren und zu arbeiten. Und im Zentrum unseres Projekts steht im Grunde ein Mapping-Projekt."
Darin sollen nicht nur koloniale Orte, also Denkmäler, Straßen und Gebäude verzeichnet werden, sondern auch die Punkte, die für antikoloniale Proteste standen und stehen.
"Es gab in Lissabon ein Studentenhaus, wo vor allem Studierende aus den damaligen Kolonien zusammengefasst waren. Das war in der Zeit des portugiesischen Faschismus. Dort wurden junge Menschen aus diesen Ländern ausgebildet. Das waren dann die führenden Köpfe des antikolonialen Widerstands", sagt Sporrer.
Am Ende soll eine Smartphone-App entstehen, mit der Stadtrundgänge in die koloniale Vergangenheit und Gegenwart von Hamburg und Lissabon möglich sind. Die Debatte machte klar, dass auf diesem Weg schon viel erreicht wurde. Längst durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, dass die Dekolonisierung nicht allein durch die Nachkommen der Kolonialgesellschaften geleistet werden kann, sondern immer auch diejenigen mit am Tisch sitzen müssen, deren Vorfahren unter der Ausbeutung gelitten haben.
Kolonialismus und Rassismus sind verflochten
Auch nach dem Ende des Kolonialismus sei dessen Erbe heute noch spürbar und oft tief verankert, so Tahir Della von der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" auf der Videokonferenz:
"Wir brauchen ein Verständnis dafür, was Kolonialität bedeutet, dass es eben keine abgeschlossene Epoche ist, sondern bis zum heutigen Tag fortwirkt und auch unsere Gesellschaft maßgeblich prägt. Wenn wir von rassistischen Verhältnissen sprechen, müssen wir eben gerade die Kolonialzeit mit in den Blick nehmen. Diese beiden Themen sind eng miteinander verflochten."
Wie kompliziert Dekolonisierung im Alltag sein kann, erklärte Gisela Ewe vom Hamburgischen Staatsarchiv. Ewe hat sich die 8500 Straßennamen der Hansestadt genauer angesehen und 130 gefunden, die einst zu Ehren von Unterstützern oder Profiteuren des Kolonialismus installiert wurden. Und erst einmal müsse es einen Konsens über das Wirken der Namensgeber geben.
Wie schwer das ist, zeigt die Debatte um das Hamburger Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark, die in der Hansestadt gerade leidenschaftlich geführt wird. Die einen wollen das mit 34 Metern weltgrößte Denkmal für den einstigen Reichskanzler mit zusätzlichen Informationen zu seiner Rolle in der deutschen Kolonialpolitik ergänzen, andere fordern seinen Sturz.
Ein Denkmal zur Würdigung von Sklaven in Lissabon
2014 hatte die Stadt beschlossen, die Dekolonisierung voranzutreiben. Entstanden sind der Forschungsbereich Hamburgs (post)-koloniales Erbe von Jürgen Zimmerer, ein Runder Tisch und der Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte. Sporrer vom Goethe-Institut Lissabon sieht Hamburg auf dem richtigen Weg:
"Aber ich muss gestehen, dass wir sehr viel auch in Portugal, in Lissabon gelernt haben und dass es Projekte gibt, die wir als exemplarisch bezeichnen würden: Das Denkmal zur Würdigung der Sklaven, das im Moment in Lissabon entsteht, ist aus einem rein partizipativen Prozess entstanden. Und das ist ein Beispiel, von dem wir in Deutschland extrem viel lernen können."
Und das funktioniere am besten durch eine Vernetzung derjenigen, die die Dekolonisierung vorantreiben wollen. Ein schneller Abschluss dieser Bemühungen ist nicht zu erwarten, so das Fazit der Konferenz des Goethe-Instituts. Bis 500 Jahre Kolonialgeschichte aufgearbeitet sind und auch im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein ein Umdenken stattgefunden hat, wird es noch dauern.