Subversive Filmkritik mit dem Geist von Oberhausen
Auf den diesjährigen Kurzfilmtagen in Oberhausen hat eine Gruppe von Filmkritikern mit einem Flugblatt für Aufsehen gesorgt: Ihre Vorstellungen von einer subversiven Filmkritik erinnern an alte Zeiten - und werden nun in der Berliner Volksbühne diskutiert.
"Aktivistische Kritik ist subversiv. Sie unterwandert das auf den Lügen des Pragmatismus errichtete Gebäude. Sie setzt die Automatismen von Gefälligkeiten und Gefälligem außer Kraft." Was im Wortlaut geradewegs aus einem Revoluzzer-Pamphlet der 60er stammen könnte, ist durchaus aktuell. Der Verband der deutschen Filmkritik bringt alte Agitationen gegen ökonomische Zwänge auf den Tisch und beweist deren andauernde Aktualität. Dazu gehört auch, dass man Flugblätter verteilt, so Geschäftsführer Frédéric Jaeger:
"Wir standen vor dem Kino, haben Flugblätter verteilt und auch direkt angefangen, mit den Leuten zu diskutieren, die dort waren. Da gab es dann natürlich auch sehr unterschiedliche Reaktionen. Gerade von Kinobetreibern, die sich angegriffen fühlten, weil sie der Ansicht waren, dass sie sowieso schon tun, was sie können. Aber darum geht's ja, dass man ein bisschen Abstand davon nimmt, was man für das Mögliche hält."
In ihrer Streitschrift, die sie anlässlich der diesjährigen Kurzfilmtage in Oberhausen publizierten, richten sich die Kritiker gegen die Monsieur Claudes und Madame Mallorys, die gegenwärtig die Kino-Charts dominieren. Vor allem aber blicken die über 80 Unterzeichner kritisch auf die Arbeitsbedingungen ihrer eigenen Zunft.
Die Redakteure bei Zeitungen, Fernsehen und Radio stünden immer mehr unter Produktionszwang. Diesen Druck müssten sie zwangsläufig weitergeben, weshalb die Filmkritik oft zur Dienstleistung verkomme. Für Frédéric Jaeger heißt das, dass man immer mehr auf den kurzfristigen Erfolg drängt.
"Das heißt, dass alles, was längerfristig ist, was ein bisschen Recherche erfordert und tatsächlich eine ausführlichere journalistische Arbeit bedeutet, viel kürzer kommt."
Dem Oberhausener Geist verfallen
Dabei ist Jaeger keiner, der die Stirn in Falten legt und in großes Klagen verfällt. Vielmehr will er dem risikolosen Pragmatismus entgegen gehen, der in der gesamten deutschen Filmlandschaft zu finden sei - bei Kritikern ebenso wie bei Verleihern und Kinobetreibern. Mit einem Funken Schwärmerei spricht er vom Oberhausener Geist, dem die Gruppe verfallen sei, als sie spontan ihr eigenes Manifest verfasste.
"Es ist schon so, dass wir uns in Oberhausen getroffen haben und tatsächlich vom Geist von Oberhausen angesteckt wurden."
War es vor über 50 Jahren noch "Papas Kino", das Alexander Kluge, Edgar Reitz und andere Regisseure in ihrem Manifest verdammten, so ist es heute das Etikett "Arthouse", das die Gemüter erregt - oder gerade nicht. Denn mit dem Arthouse habe sich - unter dem Vorzeichen des angeblich guten Geschmacks - ein konventionelles und formelhaftes Kino durchgesetzt.
Die Betreiber der Kinos, die diese Filme zeigen, sind nicht erfreut über solche Vorwürfe. Oftmals sind es genau sie, die das Spannungsfeld zwischen Kritikerlieblingen, Verleiherwunsch und Publikumsgeschmack am eigenen Leibe spüren. Oder besser gesagt: in der eigenen Kinokasse. Denn wer anspruchsvolles Kino machen will, muss sich finanziell auf einen permanenten Balanceakt einstellen.
Das Geld ist knapp, darin sind sich Kritik und Kinos einig. In ihrem Flugblatt hält sich der Kritikerverband deshalb an die Oberhausener Urväter von 1962. "Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen", hieß es damals. Auch heute gilt dieses Credo noch, findet es sich doch in ähnlichem Wortlaut im Flugblatt der Filmkritiker wieder.
"Dieser Satz aus dem Oberhausener Manifest, den wir zitiert haben, ist natürlich auch ein bisschen ein Trick. Das war es damals und ist es sicherlich noch heute. Es geht darum, dass es nur mit wirtschaftlichen Risiken möglich ist, sich für die Filmkultur zu engagieren. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass jemand Geld geben müsste."
Mal gucken, ob ich unterzeichnen werde oder nicht"
Aus welcher Quelle das Geld für anspruchsvolle Filmkritik kommen soll, das weiß man beim Verband der deutschen Filmkritik noch nicht. Eine Maßnahme, die sowohl zur Lösungsfindung als auch zum offenen Diskurs dienen soll, ist eine Diskussionsrunde der Filmzeitschrift Revolver. In der Berliner Volksbühne widmen sich deshalb Christoph Hochhäusler und Nicolas Wackerbarth dem Flugblatt. Voreingenommen sind die Gastgeber jedoch nicht, wie Wackerbarth erklärt:
"Ich selber finde, dass da einige Positionen noch sehr allgemein formuliert sind und bin jetzt erstmal neugierig. Aber da kann ich jetzt nicht für die anderen sprechen."
Als Regisseur sieht sich Wackerbarth eher in einer Betrachterrolle. Als Mitherausgeber der Revolver allerdings erkennt er die Wunde im deutschen Filmjournalismus, in die Frédéric Jaeger seine Finger legt. Zwar gäbe es mehr Beschäftigung mit dem Medium Film, die Qualität jedoch vermisst der Filmemacher häufig. Dabei versteht Wackerbarth eine gelungene Kritik durchaus als Chance.
"Also wenn ich eine Kritik lese und etwas über meinen Film lerne, dann ist das natürlich toll. Dadurch werden dann auch die Filme besser."
Das Flugblatt zur aktivistischen Filmkritik hat Nicolas Wackerbarth nicht unterschrieben. Eine intensive Diskussion könnte den Regisseur allerdings umstimmen.
"Dann kann ich danach ja mal gucken, ob ich unterzeichnen werde oder nicht und wohin sich das überhaupt bewegt."