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Schlechte Ausstattung und Mangel an Lehrerfortbildung
Neue Studienergebnisse stellen dem Grundschulunterricht schlechte Noten aus. Seitdem läuft eine Debatte, wie sich der Unterricht verbessern lässt. Didaktikprofessorin Kornelia Möller fordert eine bessere Ausstattung der Schulen und fortlaufende Weiterbildungen der Lehrer.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr - hinter diesem Ausspruch stecken gleichermaßen Angst und Argwohn. Er erklärt auch, warum die gegenwärtige Auseinandersetzung über die Grundschule so viele emotionale Reaktionen hervorruft. So etwa ein Kommentar des Lehrers Michael Felten und ein Gespräch mit der Pädagogin Maresi Lassek, die beide - hier und hier - auf unserer Facebook-Seite energisch diskutiert wurden. Wir wollen die Debatte fortführen und haben daher mit Kornelia Möller gesprochen, die lange Jahre als Professorin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Thema Grundschul-Didaktik geforscht hat.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Ute Welty: Welche Rolle spielt denn die Darreichungsform von Wissen Ihrer Erfahrung nach?
Möller: Das ist ja das Argument, das Herr Felten gebracht hat. Nach meiner Meinung geht es gar nicht so sehr um die Darbietungsform. Wir wissen heute aus wirklich klaren Forschungsergebnissen: Es kommt gar nicht auf die Sicht- oder Oberflächenstruktur von Unterricht an, also darauf, wie der Unterricht organisiert ist, ob wir Gruppenunterricht haben oder Frontalunterricht. Oder ob wir Unterricht mit Arbeitsblättern haben. Sondern es geht um die Tiefenstrukturen des Unterrichts, also um die Lernprozesse, die der Unterricht in den Köpfen der Lernenden auslöst.
Deshalb ist auch diese Diskussion zwischen neuen offenen Unterrichtsformen und Frontalunterricht, wie er es sagt, eigentlich eine sehr oberflächliche Diskussion. Es gibt guten Frontalunterricht, kognitiv aktivierenden Unterricht, und es gibt auch schlechten Frontalunterricht, wenn der Lehrer über die Köpfe der Kinder hinweg unterrichtet. Dasselbe gilt für Arbeitsblätterunterricht. Die können Lernende zum Denken anregen, sie können die Anwendung des Gelernten in neuen Zusammenhängen verlangen.
Der bestmögliche Unterricht
Welty: Wenn Sie von dieser Tiefenstruktur sprechen, was muss die denn ausmachen? Wie definieren Sie eine Tiefenstruktur, die guten um nicht zu sagen bestmöglichen Unterricht ermöglicht?
Möller: Wir wissen darüber heute sehr viel aus der Forschung zur Qualität von Unterricht. Tiefenstruktur meint die Denkprozesse, die Lernprozess der Schüler, die wir untersuchen. Und wir wissen, wenn der Unterricht Unterrichtsmerkmale hat wie eine kognitive Aktivierung der Schüler, das heißt, die Lernenden zum Denken anregt, wenn der Unterricht sowohl organisatorisch als auch inhaltlich gut strukturiert ist, wenn er die Schüler emotional unterstützt, dann können wir sagen, es gibt einen Zusammenhang zwischen den Merkmalen von Unterricht und dem, was Schüler im Unterricht lernen.
Entwicklungsunterschiede von bis zu drei Jahren
Welty: Maresi Lassek, die Vorsitzende des Grundschulverbandes hat hier in Deutschlandfunk Kultur ihrerseits darauf hingewiesen, dass es unter den Schulanfängern Entwicklungsunterschiede von bis zu drei Jahren gibt. Ist es da überhaupt machbar, ein wissenschaftlich fundiertes Lehrangebot zu machen, und zwar für alle 30 Kinder, die in einer solchen Klasse sitzen?
Möller: Das ist die ganz große Herausforderung in der Grundschule, und deshalb haben auch Grundschullehrkräfte wirklich meinen großen Respekt, wie sie dieser Aufgabe begegnen. Ich würde übrigens nicht von Entwicklungsunterschieden sprechen, sondern eher von unterschiedlichen Lernausgangslagen. Die sind an der Grundschule tatsächlich ausgesprochen heterogen.
Und schließlich ist ja die Grundschule die einzige Schulform im Bildungssystem, die wirklich alle Schüler eines Jahrgangs vereint. Was Frau Lassek sagt, Differenzierung, Individualisierung ist wichtig, da gebe ich ihr völlig recht. Wir wissen aber auch aus der Forschung, dass ein Unterricht, der sehr strukturiert ist, eine gute Klassenführung hat und auch inhaltlich strukturiert ist, sowohl die schwachen als auch die starken Schüler fördern kann.
Ich muss ja auch meinen Unterricht für die gesamte Klasse machen. Ich kann ja nicht immer individualisierte Unterrichtsformen anbieten. Da hat wiederum Herr Felten recht, wenn er sagt, Strukturierung ist wichtig - das wissen wir. Aber daraus schließen wir noch lange nicht, dass wir dann Frontalunterricht brauchen oder "direct instructions".
Auch Leistunsstarke brauchen Förderung
Welty: Aber das ist doch genau der Punkt. Wie vermeiden es denn dann Lehrer, dass sie unter der Berücksichtigung des Durchschnitts sowohl die Lernstarken wie die Lernschwachen im Regen stehen lassen?
Möller: Im Regen stehen lassen? Ich würde eher sagen, die Leistungsstarken und die Leistungsschwachen müssen gleichermaßen gefördert werden. Und ein Unterricht, der diese Unterrichtsqualitätsmerkmale hat, fördert sowohl die Leistungsstarken als auch die Leistungsschwachen.
Die Leistungsstarken lernen, mit Strukturierung, ohne Strukturierung in ähnlicher Weise. Das zeigen unsere Befunde zum Beispiel aus unserer BiQua-Schulstudie . Die Leistungsschwachen sind auf diese Strukturierung angewiesen. Deshalb ist dieses Thema, Unterricht gut zu strukturieren, eine gute Lernunterstützung zu bieten, im Unterricht gut kognitiv zu aktivieren, ein wichtiges Thema, das wir auch in der Lehreraus- und -Mikweiterbildung viel stärker berücksichtigen müssten.
Es mangelt an Material
Welty: Wie groß ist der Fortschritt, der sich tatsächlich mit mehr Geld für Bildung erzielen lässt? Oder ist das eine Scheindiskussion?
Möller: Das glaube ich nicht, dass es eine Scheindiskussion ist. Ich denke, dass die Grundschulen heute im Vergleich zur Sekundarstufe wirklich noch wenig ausgestattet sind. Ich sehe das so für meinen Bereich, den naturwissenschaftlichen und technischen Sachunterricht, zu dem ich viel geforscht habe. Da fehlt es an allem. Da fehlt es an Experimentiermaterial, und wenn die Lehrerinnen experimentieren möchten, müssen sie morgens in den Supermarkt gehen und sich die Sachen zusammenholen. Das geht so einfach nicht.
Die Schulen müssen mit Materialien ausgestattet werden, die auch anspruchsvolle, hochwertige Lernprozesse ermöglichen. Wir haben Befunde, dass mit ausgeklügelten, guten Materialien naturwissenschaftliches Lernen sehr erfolgreich durchgeführt werden kann. Aber es fehlt an diesen Materialien. Es gilt immer noch die Einstellung in der Grundschule, das ist ja nur so ein bisschen, da braucht man nichts.
Kontinuierliche Weiterbildung der Lehrkräfte
Welty: Gute Struktur ist also doch eine Frage des Geldes?
Möller: Gute Struktur, das heißt, eine gute Ausstattung ist eine Frage des Geldes. Eine gute Ausbildung und auch eine gute Weiterbildung ist eine Frage des Geldes. Hier sind wir in Deutschland wirklich absolut abgehängt. Wir haben keine verpflichtende Weiterbildung. Lehrkräfte lernen einmal, wie Unterricht gestaltet werden soll und machen es dann 50 Jahre lang – vielleicht etwas übertrieben, vielleicht auch nur 40 Jahre lang. Das ist ein Fehlschluss. Wir brauchen eine kontinuierliche Weiterbildung, in der wir auch neuere Forschungsergebnisse dann zu den Lehrkräften transportieren können.
Welty: In welchen Ländern läuft es besser?
Möller: Zum Beispiel in der Schweiz, wo die Weiterbildung einen ganz anderen Stellenwert hat, wo sie an die Universitäten angebunden ist, wo Forschungsergebnisse mit einfließen, wo Lehrkräfte lernen, ihren Unterricht zu videografieren, zu analysieren, was wir jetzt auch hier machen. Aber dort haben wir ein breiteres System, wo die Weiterbildung auf wirklich ausgefeilten Füßen steht. Das wäre in Deutschland dringend notwendig.
Welty: Was wünschen Sie sich am dringendsten für die deutsche Grundschule?
Möller: Eine gute Lehrerausbildung, das heißt auch Verbesserungen im Lehrerausbildungssystem. Mehr Hochachtung vor der Aufgabe der Grundschullehrkräfte, die mit wirklich so vielen verschiedenen Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind. Eine bessere Weiterbildung und eine bessere Ausstattung der Grundschulen.
Welty: Das ist aber schon eine ziemlich lange Liste.
Möller: Ja, aber die kommt aus einer langjährigen Erfahrung. Und wenn man da etwas dreht an diesen Schrauben, dann können wir auch sagen und auch zeigen, dass Lernerfolge von Grundschulkindern doch in enormer Weise möglich sind.