Debatte über Integration

Deutschlands Zerreißprobe?

 Ahmad Mansour, Maike Albath, Max Czollek und Petra Köpping sitzen auf der Frankfurter Buchmesse 2018 im Kreis und sprechen miteinander.
Ahmad Mansour, Moderatorin Maike Albath, Max Czollek und Petra Köpping diskutieren auf der Frankfurter Buchmesse 2018 © David Kohlruss
Moderation: Maike Albath |
Die Integrationsfrage bestimmt die Debatten der letzten Wochen und Monate. Wir diskutieren mit drei Autoren, die sich in ihren Büchern aus ganz unterschiedlichen Perspektiven damit befasst haben.
"Lesart: Das politische Buch" sendet diesmal mit einer Podiumsdiskussion live von der Frankfurter Buchmesse. Zu Gast sind die SPD-Politikerin Petra Köpping, der Lyriker Max Czollek und der Publizist Ahmad Mansour. Alle drei Gäste eint, dass sie sich zuletzt mit Büchern zum Thema Integration sehr unterschiedlich zu Wort gemeldet haben.

Was die Menschen in Sachsen bewegt

Petra Köpping sitzt seit 2009 für die SPD im Sächsischen Landtag und ist seit vier Jahren Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Ihr Buch "Integriert doch erst mal uns!" trägt den Untertitel "Eine Streitschrift für den Osten". Dazu sagte sie im Eingangs-Statement:
"Bis ich im Jahr 2014 im Bundesland Sachsen als Ministerin das Thema Integration begleiten durfte, hatten wir die Integration von geflüchteten Menschen, ehrlich gesagt, gar nicht thematisiert. Es gab den Bereich im Grunde genommen gar nicht. Ich habe dann angefangen, Programme aufzulegen, Möglichkeiten zu suchen, wie man das machen könnte. Und ich betone: Das war im November 2014, also vor den vielen geflüchteten Menschen, die im Jahr 2015 gekommen sind."

Petra Köpping sitzt auf einem Stuhl und diskutiert
"Integriert doch erst mal uns": Die sächsische SPD-Politikerin Petra Köpping© Die Politikerin Petra Köpping zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse 2018
"2015, als die Geflüchteten gekommen sind, habe ich die Programme vorgestellt und da haben mich die Menschen immer ein bisschen schräg angeguckt und gesagt: ‚Naja, ist ja alles ganz lieb und nett, was sie da mit ihren Flüchtlingen machen‘ – das waren dann alles ‚meine‘ Flüchtlinge –, aber integrieren sie doch erst mal uns!‘ Das war der Auslöser, mal ein Stückchen tiefer zu schauen. Ein Stückchen dahinter zu schauen, was die Menschen tatsächlich bewegt. Und nochmal: Es ist ja bekannt, seit Herbst 2014 war Pegida in Dresden auf der Straße , also auch schon vor dem Jahr 2015. Als dann die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen mit 27 Prozent als stärkste Partei abschnitt, stellten wir uns alle die großen Fragen: ‚Wieso gerade in Sachsen? Wieso gerade im Osten?‘"

Kritik am "neo-völkischen Denken"

Max Czollek ist Lyriker und Politikwissenschaftler. Er promovierte 2016 am Zentrum für Antisemitismusforschung. Sein Buch heißt "Desintegriert Euch". Er sagt dazu:
"Eine der zentralen Schwierigkeiten bei der Ursachenforschung zum Rechtsruck der letzten Jahre ist es, zu erklären, warum Konzepte, wie sie in der AfD gerade wiederaufgelegt werden, für 20 Prozent der deutschen Bevölkerung wählbar sind. Man kommt nicht besonders weit, wenn man sich die AfD als das Andere zu uns vorstellt. Man muss verstehen, was aus uns heraus das Potenzial – auch das Denkpotenzial – entfalten kann, das sowas wie die AfD möglich macht.
Max Czollek diskutiert in einer Gesprächsrunde
Der Politikwissenschaftler Max Czollek kritisiert ein Integrationsdenken, das auf "ganz alten Konzepten" fußt© David Kohlruss
"Ich würde sagen, eines dieser Konzepte ist die ganz spezifische Vorstellung, die hinter Integration steckt. In der #MeTwo-Debatte um Mesut Özil ist diese Vorstellung diesen Sommer nochmal deutlich geworden: Menschen, die bereits in der zweiten oder dritten Generation leben, aber immer noch eine Bringschuld, eine Art Integrations-Schuld zu leisten haben. Da wird sehr gut sichtbar, dass Integration nicht nur die Aufnahme und einen Sprachkurs bedeutet, sondern dass dahinter eine Form von Zugehörigkeitsdenken liegt, die noch mit ganz alten Konzepten von ethnischer Zugehörigkeit, und 'deutschem Blut' und ähnlichem operiert. Also eigentlich neo-völkisches Denken – deshalb eine Kritik am Integrationskonzept."

Wir-Gefühl, das aus dem Grundgesetz resultiert

Der Psychologe Ahmad Mansour ist ursprünglich arabischer Israeli, lebt aber seit geraumer Zeit in Deutschland und hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Er ist in der Extremismusprävention aktiv. Mit seinem Buch "Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache" meldet er sich in der Integrationsdebatte zu Wort. Er sagt:
"In der Politik gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen von Integration. In meiner Arbeit mit Politikern habe ich immer wieder das Gefühl, Integration bedeutet für sie: ‚Sprache plus Arbeit minus Kriminalität, dann ist alles getan und dann sind die Menschen Teil dieser Gesellschaft.'"
Ahmad Mansour diskutiert
Plädiert für ein Wir-Gefühl, das sich am Grundgesetz orientiert: Publizist Ahmad Mansour.© David Kohlruss
"Ich meine, dazu gehört noch etwas anderes. Dazu gehört natürlich nicht die Homogenität, nicht, dass wir alle ‚deutsch‘ aussehen sollen. Sondern es gehört ein Wir-Gefühl dazu, das für mich aus dem Grundgesetz resultiert. Das heißt, dass Menschen – egal woher sie kommen, egal welche Hautfarbe sie haben, egal, welche Religionszugehörigkeit sie mitbringen – einfach Teil eines Wirs sind, das darauf aufbaut, gleichberechtigt zu leben, die historische Verantwortung Deutschlands zu verinnerlichen, Meinungsfreiheit als einen Schatz zu begreifen. Und die Religionsfreiheit nicht als eine Einbahnstraße zu sehen: Denn dazu gehört auch die Freiheit von Religion und die Fähigkeit, Religion zu kritisieren. Wenn wir die Menschen dazu bewegen können, Teil von diesem Wir zu sein, dann werden wir wahrscheinlich viel weniger über Desintegration reden, sondern viel mehr über gelungene Integration."

Literaturhinweise:

Petra Köpping "Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten"
Ch. Links Verlag, Berlin 2018
208 Seiten, 18 Euro

Max Czollek "Desintegriert euch!"
Carl Hanser Verlag, München 2018
208 Seiten, 18 Euro

Ahmad Mansour: "Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache"
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2018
304 Seiten, 20 Euro

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