Debatte über Islam

Zu viel falsche Toleranz und Untätigkeit

Junge Leute protestieren mit einem Transparent: "Rassismus entgegentreten!" im April 2016 in Jena gegen einen Aufmarsch des islamfeindlichen Pegida-Ableges Thügida.
Junge Leute protestieren mit einem Transparent: "Rassismus entgegentreten!" im April 2016 in Jena gegen einen Aufmarsch des islamfeindlichen Pegida-Ableges Thügida. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Von Güner Yasemin Balci · 17.05.2016
Die Mehrheit in der Gesellschaft empört sich über politische und religiöse Extremisten, meint die Berliner Journalistin Güner Yasemin Balci. Aber diese Mehrheit verstecke ihre Vorurteile hinter Hochmut und ihre Untätigkeit hinter Angst - anstatt Verantwortung für ein Wir-Gefühl zu übernehmen.
Wir wundern uns über den Zuwachs rechter Parteien in Europa und ein Erstarken extremistischer politischer und religiöser Haltungen. Wir haben Angst vor einem Auseinanderbrechen des Kontinents und sind trotzdem noch immer nicht bereit, ein Wir-Gefühl zu entwickeln, das trotz aller Unterschiede eine europäische Idee als Basis hat: nämlich die Freiheit des Einzelnen im Rahmen einer demokratischen Grundordnung.
Die kulturellen und religiösen Unterschiede, die durch die Zuwanderung vor allem aus muslimischen Ländern das europäische Wertesystem seit Jahrzehnten auf die Probe stellen, sind das Futter, das hasserfüllte Faschisten aller Lager für ihre Kriegserklärung an eine freie Bürgergesellschaft brauchen.
Eine weit verbreitete postkoloniale Haltung, ein mit Toleranz getarnter Hochmut, der das vermeintlich Andere unter Artenschutz stellt, macht es gut meinenden Versöhnern unmöglich, Einwanderer als ebenbürtig zu akzeptieren.

Nur der deutsche Rassist erscheint als ein echter

Die Kritik an menschenfeindlichen Ideen wird nur dann laut, wenn weiße Rassisten ohne offensichtliche Zuwanderungsgeschichte, sie in politische Forderungen à la AfD packen. Nur der deutsche Rassist ohne offensichtlichen Migrationshintergrund ist ein echter Rassist.
Dabei haben christliche AfD-Politiker und streng konservativ organisierte Muslime mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein dürfte. Nur wahrnehmen möchte das kaum jemand.
Wer die Gebote der AfD nicht beherzigt und nicht in jedem Moslem einen Staatsfeind sehen will, dem droht die Partei mit der Multi-Kulti-Hölle, in der Deutsch nur noch heimlich hinter verschlossenen Türen gesprochen werde und der Muezzin fünfmal am Tag auf allen öffentlichen Plätzen zum Zwangsgebet rufe. Von den Sanktionen bei Nichteinhaltung der Scharia-Regeln ganz zu schweigen.
Islamische Verbände beschwören seit jeher den Verfall religiöser Sitten durch die Freiheit des Individuums und verbieten anständigen Musliminnen Beziehungen zu anders- oder nicht-gläubigen Männern gleich ganz. Auch sie frönen der Idee des Ein-Herrscher Prinzips, beschwören die eine homogene muslimische Umma, die zwar keine Unterschiede in Sachen Hautfarbe macht, dafür aber eine klare Trennung zu allen Andersdenkenden zieht.

Islamische wie rechte Konservative bevorzugen Ausgrenzung

Abgrenzung und Ausgrenzung, in beidem machen politisch wie religiös Rückswärtsgewandte eine gute Figur. Lassen wir ihr krudes Frauenbild mal beiseite. Reden wir davon, dass sie unsere freie Bürgergesellschaft ablehnen, kein Interesse daran haben, dass wir unsere Differenzen austauschen, uns streiten und zueinander finden. Denn ihr Nährboden ist der Hass, die Ablehnung des Anderen und das funktioniert nur, solange der Andere ein Fremder bleibt.
Mit faschistischer Rhetorik greifen sie nach unserer Jugend und sind überall da erfolgreich, wo wir die Zukunft dieses Landes längst abgeschrieben haben, in den Milieus, in denen soziale Aufstiegschancen selten sind und Menschen nach Anerkennung lechzen.

Gesellschaftliche Mehrheit übernimmt keine Verantwortung

Und was macht die Mehrheit? Was machen wir, um dagegen zu wirken?
Bisher erschöpft sich unser Protest in periodischen Aufschrei-Phasen, immer dann, wenn ein neues AfD-Papier kursiert, ein Nazi um die Ecke kommt oder ein Islamist sich in die Luft sprengt. Doch die Ursachen für all das sind uns scheinbar zu komplex, zu groß die Herausforderung, den jungen Menschen in Europa mehr zu bieten als nur hohle Phrasen.
Wir pflegen lieber unsere Angst und verpacken unsere mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für diese Gesellschaft zu übernehmen, in das wohlklingende Wort 'Toleranz'.

Güner Yasemin Balci wurde 1975 in Berlin-Neukölln geboren. Bis 2010 war sie Fernsehredakteurin beim ZDF, heute arbeitet sie als freie Autorin und Fernsehjournalistin. Ihre Bücher bauen auf den Erfahrungen ihrer langjährigen Arbeit mit Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien in Neuköllns sozialen Brennpunkten auf: ›Arabboy‹ (2008), ›ArabQueen‹ (2010) und ›Aliyhas Flucht (2012). Im Juni 2016 erscheint Ihr Buch " Das Mädchen und der Gotteskrieger".

Güner Yasemin Balci
© Torben Waleczek / Deutschlandradio
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