Gedenken ist nicht gleich Erinnern
Holocaust? Nie gehört? Und was ist Auschwitz? Umfragen zeigen, wie erschreckend wenig Jugendliche heute über die Zeit des Nationalsozialismus wissen. Zeit für eine neue Form der Erinnerung, heißt es von verschiedenen Historikern.
Der Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, hat sich für eine Trennung zwischen Gedenken und Erinnern ausgesprochen.
Beim Gedenken stünden die Opfer im Mittelpunkt und deren Würdigung, sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Die Gedenkkultur in Deutschland sei nicht zu kritisieren.
Die deutsche Erinnerungskultur des Nationalsozialismus allerdings schon. Sie beschäftige sich zu sehr und zu undifferenziert mit den Opfern und setze sich zu wenig mit den Tätern und Zuschauern auseinander. Außerdem sei der Begriff des Erinnerns problematisch.
Erinnern ist ein problematischer Begriff
Erinnern im engeren Sinne könne man nur das, was man selbst erlebt habe. Die jungen Menschen, die in Gedenkstätten über die Verbrechen der Nationalsozialisten etwas lernen sollen, seien aber bereits die Urenkel oder Ururenkel der Täter und Opfer.
"Wenn wir denen mit Erinnern kommen, dann hat das eine sehr stark appellative Funktion, die zusätzlich auch noch moralisch aufgeladen ist, und damit locken wir keinen Jugendlichen hinter seinem Smartphone hervor", sagte der Historiker. Als Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten ist er auch für die Gedenkstätte Bergen-Belsen zuständig.
Verbrechen in neuen Zusammenhang bringen
Wagner schlägt vor, die Verbrechen in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Dazu müsse man sich wissenschaftlich mit verschiedenen Phänomenen der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen: Dem Mitläufertum, dem emotionalen Angebot dazuzugehören und andere Menschen auszuschließen, und dem Gruppendruck. Dann würden diese Phänomene auch für heutige Jugendliche interessant und aktuell. (rit)