Debatte über Organspenden

Psychologe fordert mehr Gesundheitsbildung

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Ein Arzt im Universitätsspital Basel, Schweiz entnimmt einer einer Spenderin eine Niere. Im Hintergrund sind Röntgenbilder des zu entnehmenden Organs zu sehen.
In den Klinken fehlen für viele Patienten die Organe für eine notwendige Transplantation. © laif / Keystone Schweiz
Gerd Gigerenzer im Gespräch mit Ute Welty |
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Organspenden bleiben in Deutschland weiter nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Der Bundestag lehnte die Widerspruchsregelung ab. Für eine informierte Entscheidung sei mehr Wissen nötig, sagt der Psychologe Gerd Gigerenzer.
Auf die Frage, ob sie zur Organspende bereit seien, antworteten die meisten Menschen "sozial erwünscht", sagt der Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sein Forschungsgebiet ist der Umgang mit Entscheidungen, Unsicherheiten und Risiken. Die Erfahrung zeige, dass die meisten Leute bei Befragungen deshalb angeben, sie seien für die Organspende.
So erkläre sich auch der Unterschied zwischen solchen Aussagen und der geringeren Zahl von Personen, die einen Spendenausweis hätten. In den USA habe man deshalb eine Regelung eingeführt, die weder der in Deutschland diskutierten Widerspruchs- oder Zustimmungslösung entspreche. Dort gehe es um eine wirkliche Entscheidung, bei der jeder Bürger angeben müsse, ob Ja oder Nein. Dabei zeige sich, dass nur etwa 50 bis 60 Prozent wirklich zu einer Organspende bereit seien.

Bundestag lehnt Widerspruchslösung ab

Der Bundestag hat eine moderate Reform der Organspenderegeln in Deutschland beschlossen. Die Bürger sollen künftig mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema angesprochen werden. Einem entsprechenden Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock stimmten 432 Abgeordnete zu. Eine Mehrheit lehnte die Widerspruchslösung ab, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen hatte.
Gigerenzer hatte sich vor der Parlamentsentscheidung skeptisch gezeigt, ob eine Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden tatsächlich erhöhen könne und die bisherigen Probleme löse. "Das Problem scheint ganz woanders zu liegen, nämlich in der Organisation der Organspende in guten Transplantationszentren und in der Struktur", so der Psychologe. Außerdem wüssten die meisten Menschen zu wenig, beispielsweise darüber, was ein Hirntod eigentlich ist.
"Es ist unangenehm über den eigenen Tod nachzudenken", sagt Gigerenzer außerdem. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass 90 Prozent der Deutschen nicht wissen wollten, wann sie sterben oder woran. "Das schiebt man doch gerne weg." Deshalb überließen viele die Entscheidung für oder gegen die Organspende der Wissenschaft oder der Politik.

Menschen informieren und vorbereiten

"Meines Erachtens müsste man das Wissen der Bevölkerung viel mehr unterstützen", sagte der Psychologe. Viele könnten die Risiken nicht so richtig einschätzen. Da gebe es ein wirkliches Bildungsproblem. Um das zu verändern, könnten Medien ihren Beitrag leisten, um Menschen genau zu erklären, was da passiert. Dann wäre der Einzelne in der konkreten Lage nicht überrascht, wenn man beispielsweise als Mutter über die Organentnahme des sterbenden Sohnes nach einem Motorradunfall entscheiden müsse. Das "Bauchgefühl" sei nur ein guter Ratgeber, wenn man in einer Situation Erfahrung habe und eine informierte Entscheidung treffe.
(gem)
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