Wer Flüchtlingskindern Bildung verweigert, schadet uns allen
Für Jugendliche, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, wird viel getan. Das sei ein guter Anfang, so Konzeptkünstler Peter Kees. Denn wer Flüchtlingskindern die Bildung verwehre, der wiederhole die fehlerhafte Integrationspolitik der Gastarbeiterjahre.
Im Garten eines Hauses der Gemeinde Steinhöring im oberbayrischen Landkreis Ebersberg ist ein Grill aufgebaut. Die Bewohner dort sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, derzeit zehn. Entspannt grillen sie mit dem Landrat, der gemeinsam mit dem örtlichen Bürgermeister die jungen Flüchtlinge besucht. Die Gesichter sind offen und freundlich. Die Stimmung könnte angenehmer nicht sein.
Vorher hatte der zuständige Mitarbeiter des Jugendamts schon neugierige Journalisten durch das Siedlungshaus geführt und die Unterkünfte gezeigt. Saubere, einfach ausgestattete Räume mit jeweils zwei oder drei Betten. Die Bewohner stammen aus Afghanistan, Ghana, Pakistan, Eritrea und dem Irak. Diese Minderjährigen sind ohne Eltern aus ihren Heimatländern geflohen, oder wurden auf der Flucht getrennt. Etwa 2500 dieser Jugendlichen sind derzeit in Münchner Hallen untergebracht. Von dort werden sie auf die Landkreise verteilt. In Steinhöring finden einige von ihnen für etwa sechs bis acht Wochen ein erstes ordentliches Zuhause, ehe sie auf kleine Wohngemeinschaften im Landkreis verteilt werden. Fast rund um die Uhr werden sie betreut, auch nachts, nur am Morgen nicht, denn da gehen die Jugendlichen zur Schule und lernen Deutsch. Probleme? Probleme gäbe es hier nicht, sagt der Mann vom Jugendamt.
Hier sitzen also Lokalpolitiker mit Flüchtlingen, mit Nachbarn gemeinsam im Garten um einen Grill. Ein harmonisches Bild. Hier scheint etwas zu funktionieren.
Warum? Weil die Gruppe klein ist? Weil die Menschen rings herum keine Angst haben? Weil man die jugendlichen Flüchtlinge in den örtlichen Fußballverein aufgenommen hat? In erster Linie wohl, weil man gut vorbereitet war und die jugendlichen Flüchtlinge fördert. Der Schulbesuch ist eine Selbstverständlichkeit. Bildung ist schließlich nicht nur für Menschen, die hier leben wichtig, sondern auch für die, die hierherkommen.
Ein Fehler, der bis heute Schwierigkeiten verursacht
Erinnern wir uns: In den 50-er bis 70-er Jahren hatte Deutschland Menschen eingeladen und sie Gastarbeiter genannt. Damals meinte man, irgendwann werden sie wieder weg sein. Man ließ sie arbeiten, bildete aber ihre Kinder nicht aus. Das war ein Fehler, der bis heute Schwierigkeiten verursacht. Und es ist gut, dass Deutschland anscheinend daraus gelernt hat.
Die jugendlichen Flüchtlinge nicht nur hier im Landkreis Ebersberg sind hoch motiviert, bekomme ich erzählt. Sie gehen gerne zur Schule und lernen auch in ihren Ferien Deutsch. 13 von ihnen sind über die Sommerferien sogar als Praktikanten in heimischen Handwerksbetrieben untergekommen – und einige Betriebe der Region nähmen Flüchtlinge tatsächlich lieber als andere, denn auf die jungen Flüchtlinge könne man sich verlassen.
Hier scheint ein Anfang gemacht. Auch anderen Orts gibt es solche Geschichten. Was passiert, wenn immer mehr Flüchtlinge kommen, kann keiner wirklich vorhersehen, auch nicht im Landkreis Ebersberg. Das Beispiel zeigt aber, wie wichtig es ist, frühzeitig Strukturen zu schaffen und für Bildung und Förderung zu sorgen.
Das, was hier so wunderbar begonnen wurde, muss sich allerdings erst in dauerhaft tragfähigen Strukturen bewähren, sonst wiederholt sich die Geschichte der nicht geförderten Gastarbeiterkinder. Niemand solle sich einbilden, all die Neuangekommenen würden das Land bald wieder verlassen. Wer hier lebt, soll Teil der Gesellschaft werden. Und das geht nicht ohne Förderung und Bildung. Ähnlich ist es mit gut ausgebildeten erwachsenen Flüchtlingen. Sie brauchen zügig eine Arbeitserlaubnis, um sich gut integrieren zu können.
Man kann nicht deutlich genug darauf hinweisen, dass Gegner solcher Lösungsansätze nicht nur den Flüchtlingen, sondern langfristig unserem Land und damit auch sich selbst schaden. Mangelnde Bildung führt einfach zu Problemen. Das kennen wir schon.
Peter Kees, geboren 1965, befasst sich als Künstler und Publizist mit Sehnsüchten, Idealen und Visionen. Seit der Biennale von Havanna 2006 hat er mehrfach einzelne Quadratmeter in europäischen Ländern annektiert und zu arkadischem Staatsgebiet erklärt. Als Arkadischer Botschafter vergibt er Visa und gewährt Asyl. Zu sehen waren seine Arbeiten u.a. auf der Mediations Biennale in Posen, im Museum of Contemporary Art Skopje, in La Capella Barcelona, im PAN Palazzo delle Arti Napoli, in der Neue Nationalgalerie Berlin, im Berliner Martin-Gropius-Bau, am Kunsthaus Bregenz, an der Kunsthalle Rostock und am ACC Weimar. In dem Dokumentarfilm "Vaterlandschaften" (2015) erzählt er als Vater seine eigene Geschichte vom Ausgegrenztsein und vom Kampf ums eigene Kind.