Debatte um das Gendern in der Sprache

Ein kleiner Stern gegen Jahrhunderte der Ungleichheit

11:00 Minuten
In einem gedruckten Grußwort zur Berlinale sind mehrmals Gendersternchen zu sehen. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Gendersternchen in einem Grußwort zur Berlinale: eigentlich kein Problem. Oder doch? © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Anatol Stefanowitsch und Erich Spiekermann im Gespräch mit Joachim Scholl |
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Das Gendersternchen erhitzt die Gemüter. Die einen können sich damit einfach nicht anfreunden und sehen darin einen Anschlag auf die deutsche Sprache. Für andere ist es ein Gerechtigkeit stiftendes Instrument und beeinflusst Denken und Handeln.
Kleines Zeichen – große Aufregung: Wie viel Genderstern oder Binnen-"I" darf es sein? Und wie viel davon verträgt die geschriebene Sprache, vor allem die Literatur? Diese Debatte wird auch in Deutschlandfunk Kultur geführt. Während der Typograf und Buchgestalter Friedrich Forssman kürzlich seinem Unverständnis und Ärger gegenüber dem Gendersternchen Luft machte und betonte, er werde sich dem verweigern, sehen der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und der Typograf Erik Spiekermann die Sache eher gelassen.
"Natürlich darf jeder Typograf, jede Typografin und Typograf*in eine Meinung dazu haben", sagt Stefanowitsch, der ein Buch zum Thema verfasst hat. Die Äußerungen von Forssman sieht er allerdings kritisch: "Da wurde sehr viel fantasiert von einem Abschneiden sprachlicher Traditionen. Da wurde davon fantasiert, dass literarische Texte umgeschrieben werden sollen. Da wird von Identitätspolitik geredet. Da waren die ganzen typischen Triggerwörter, die mit Typografie nun wirklich überhaupt nichts zu tun haben und die wenig faktentreu sind."

Niemand soll Rilke und Goethe umschreiben

Seiner Wahrnehmung nach wolle niemand literarische Texte rückwirkend umschreiben, auch wenn sie aus heutiger Sicht mit der alleinigen Verwendung der männlichen Form nicht mehr zeitgemäß seien. Und auch er halte nichts davon, Rilke- oder Goethe-Texte nachträglich mit dem Gendersternchen zu versehen.
"Das ist ja gerade der Witz: Die sind ungerecht", sagt Stefanowitsch. "Sie stammen aus einer Zeit, wo es selbstverständlich war, dass das Männliche der Normalfall war."
Die Diskussion um die Verwendung von Sternchen und Binnen-"I" sei dennoch wichtig, weil damit auf jahrhundertelange Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufmerksam gemacht werde. Hinter Sprache stehe eben auch Handeln, betont Stefanowitsch. Und was man selbst für sich nicht akzeptieren würde, solle man auch anderen nicht zumuten. Es sei erwiesen, dass das generische Maskulinum "dominant männliche Vorstellungen hervorruft".

Aufstand gegen das generische Femininum

In diesem Zusammenhang sei es interessant, sich den umgekehrten Fall vorzustellen - wenn etwa das Justizministerium eine Gesetzesvorlage präsentiere, die ausschließlich das generische Femininum verwende. "Da gibt es einen Aufstand! Da greift der Innenminister persönlich ein – in ein anderes Ressort – und sagt: Das darf auf keinen Fall sein, das unterzeichnet er nicht!"
Die deutsche Grammatik habe sich über tausend Jahre stetig entwickelt, sagt der Typograf Erik Spiekermann. Und es sei nicht gut, wenn noch immer nur männliche Formen verwendet würden. Dies manifestiere sich äußerlich auch an Gesetzen:
"Männer machen immer noch Gesetze, in denen sie über Frauenkörper bestimmen. Was ein absoluter Skandal ist, wie jüngst gerade in Polen. Und die katholische Kirche hat nach wie vor Frauen nicht als vollständige Wesen anerkannt. Was auch ein Skandal ist. Und mitunter muss man sich gegen solche Sachen über die Sprache wehren, die ein wichtiges Instrument ist."
Sprache werde gerade von Politikern häufig missbraucht. "Als Typograf sehe ich mich im Dienste der Sprache. Und ich stelle sie dar, wie es nötig ist", betont Spiekermann.
(mkn)

Anatol Stefanowitsch: "Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen"
Dudenverlag, Berlin 2018
64 Seiten, 8 Euro

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