Debatte um Denkdrogen
Mit bestimmten Medikamenten lassen sich Wachheit, Konzentration oder Merkfähigkeit positiv beeinflussen. In Belastungssituationen erfreuen sie sich auch bei Gesunden zunehmender Beliebtheit. Die Frage sei, wie wir die positiven Aspekte aus der Entwicklung dieser neuen Mittel gewinnen und den Preis minimieren, den wir dafür zahlen, meint der Philosoph Thomas Metzinger.
Matthias Hanselmann: Denkdrogen, wie eben gehört, Cognitive-Enhancing Drugs, nennt man diejenigen Medikamente, die Konzentration, Erinnerungsvermögen und Wachsamkeit steigern. Thomas Metzinger ist Professor für Philosophie an der Universität Mainz und arbeitet dort unter anderem an einem Projekt, das die ethischen soziokulturellen und neuro-psychiatrischen Aspekte von Cognitive Enhancement untersucht. Guten Tag, Herr Metzinger!
Thomas Metzinger: Guten Tag!
Hanselmann: Die "Nature"-Autoren sind nicht irgendwelche, sondern sie zählen zu den weltweit führenden Hirnforschern. Hat Sie deren Forderung nach Freigabe der Denkdrogen eigentlich überrascht?
Metzinger: Mich hat das schon vor zwei Jahren auf einer Konferenz mit Experten in London überrascht, dass viele Leute eher den Nutzen dieser neuen Technologien hervorheben als die Gefahren, wie es vielleicht in Deutschland auch reflexhaft immer passiert. Also wir haben immer das Gefühl, wenn was Neues kommt, dann ist es auf jeden Fall etwas Böses, das verhindert werden muss. In dem angelsächsischen Bereich ist ja auch zum Beispiel, was kosmetische Chirurgie angeht – Tätowierungen, Piercing – die Hemmschwelle für Körpermodifikationen wesentlich geringer, und deswegen hat sich diese kosmetische Psychopharmakologie in ihren ersten Anfängen auch in Amerika zum Beispiel am stärksten bis jetzt entwickelt.
Hanselmann: Nun gut, die "Nature"-Autoren argumentieren natürlich mit der sogenannten oder angeblichen Chancengleichheit, die dadurch entsteht, wenn jeder nehmen darf, was er will, um zum Beispiel seine Prüfung besser zu bestehen.
Metzinger: Ja, also man muss das, denke ich, ganz nüchtern sehen, es ist wichtig, dass man das nicht aus irgendeiner weltanschaulichen Perspektive heraus betrachtet, sondern einfach sehen, dass neue Technologien auf uns zukommen, es sind die allerersten Anfänge von etwas, was in den nächsten 20 bis 50 Jahren dann stärker unsere Lebenswelt verändern wird. Und diese Technologien erlauben uns jetzt, geistige Fähigkeiten genauer zu kontrollieren: Wachheit, Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit und so was. Und die Frage ist einfach, wie holen wir da die meisten positiven Aspekte für uns als Gesellschaft als Ganze heraus aus dieser Entwicklung, und wie minimieren wir den Preis, den wir dafür zahlen?
Hanselmann: Was macht Sie denn überhaupt so misstrauisch diesen Medikamenten gegenüber und wenn gesunde Menschen sie einnehmen? Wir trinken ja auch Kaffee, wir trinken teilweise Guarana-Tee, um wach zu bleiben, wenn es sein muss. Das sind ja auch Drogen.
Metzinger: Ja, sicher. Ich bin da auch nicht prinzipiell misstrauisch, es sind nur einfach viele Sachen unklar, ich nenne mal zwei, jetzt speziell bei Modafenil: Die Frage ist, welche Aspekte von Kognition, von Denken, werden denn da überhaupt verstärkt? Ist es einfach nur Wachheit oder ist es Antrieb? Ist es vielleicht eine reine Selbstüberschätzung, die zu einem Placeboeffekt führt durch eine Stimmungsanhebung, oder sind es ganz bestimmte Formen des Kurzzeitgedächtnisses, der Konzentrationsfähigkeit, die da optimiert werden? Das wissen wir alles noch nicht. Wir wissen nicht, wie dieses Medikament im Detail wirkt. Eine andere Sache, die wir nicht wissen, ist, was passieren würde, wenn gewissermaßen im Massenversuch breite Teile der Bevölkerung über lange Zeiträume so etwas ohne medizinische Indikation einnehmen würden.
Hanselmann: Also Sie finden, die Nebenwirkungen müssten erst noch genauer erforscht werden bei denen, die dieses Medikament nicht gegen eine Krankheit nehmen?
Metzinger: Ja, und vor allem die Langzeitwirkung. Im Moment sieht es so aus, als ob gerade Modafenil relativ gutartig ist, aber man weiß ja nicht, wie es bei Menschen mit einer bestimmten genetischen Vorbelastung ist, bei Leuten, die zum Beispiel vielleicht noch andere illegale Drogen nehmen, die damit kombinieren, die legale Drogen wie Alkohol regelmäßig konsumieren. Wir wissen nicht, was da in 20 Jahren dann mal passieren könnte.
Hanselmann: Die Autoren in "Nature" schreiben unter anderem, dass kognitive Verbesserungen durch solche Medikamente, über die wir gerade sprechen, dem Einzelnen und der Gesellschaft viel zu bieten hätten, und dass eine Freigabe bei gleichzeitigem angemessenen Risikomanagement zu befürworten sei. Wenn dieses Risikomanagement gegeben wäre, wenn also die Langzeitwirkungen feststünden und auch die anderen Nebenwirkungen, wären Sie dann auch für eine Freigabe?
Metzinger: Nein, eine völlig unkontrollierte Freigabe bestimmt nicht, aber im Prinzip, finde ich, sollte es schon in einer liberalen, offenen Gesellschaft das Grundprinzip geben, dass ich mit meinem Geist und mit meinem Gehirn machen kann, was ich will, und dass es zu meinem Lebensentwurf gehört, wie und in welche Richtung ich mich optimiere. Ob ich das durch Sauna, Sport und Meditation tue oder durch Privatfernsehen und Alkohol in eine bestimmte Richtung gehe, das sollte im Ende dem Bürger selbst überlassen bleiben, wenn er für die Risiken aufkommt und nicht die Interessen anderer Bürger irgendwie ganz massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Risiko kann man im Moment halt schlecht managen, weil man es im Moment noch schlecht abschätzen kann.
Hanselmann: Das führt zu der Frage, ob aus Ihrer Sicht bei uns in Deutschland überhaupt angemessen mit diesem Thema Psychopharmaka umgegangen wird. Man hat ja manchmal den Eindruck, es gäbe bei uns nur ein Hauptproblem, nämlich das des Alkoholkonsums.
Metzinger: Es gibt viel mehr Menschen, die auch von anderen Medikamenten abhängig sind und damit Probleme haben, mit Beruhigungsmitteln. Ich kann Ihnen die aktuellen Zahlen da nicht nennen. Allgemein ist der kulturelle Standard, den wir entwickelt haben, mit psychoaktiven Substanzen umzugehen, legalen und illegalen, sehr niedrig. Wir haben da keine eigenen Rituale, kein kulturelles tiefes Wissen entwickelt, außer vielleicht bei Alkohol ein bisschen. Andere Kulturen haben ein viel stärkeres Wissen und setzen häufig in religiösen Zusammenhängen psychoaktive Substanzen schon seit Jahrtausenden ein. Das Merkwürdige an der aktuellen Situation ist, dass wir, die wir mit unserer wissenschaftlichen Kultur jetzt wirklich die wirksamsten dieser Instrumente zu entwickeln beginnen, im kulturellen lebensweltlichen Umgang mit diesen Instrumenten eigentlich eher Analphabeten und Barbaren sind. Also es könnte durchaus wichtig sein, sich da auch mal ein paar tiefer gehende Gedanken drüber zu machen, was wir eigentlich wollen mit unserem eigenen Geist und mit unserem eigenen Bewusstsein.
Hanselmann: Herr Metzinger, gäbe es ein Medikament, das uns alle zu mitfühlenden und fairen Menschen machte, müssten wir es dann alle einnehmen?
Metzinger: Das ist eine interessante Frage. Wenn wir jetzt schon bei Science-Fiction sind, es könnte ja mal nicht Cognitive Enhancement, sondern Moral Enhancement geben. Und ich bringe ein ganz einfaches Beispiel: Angenommen, zu Ihren ethischen Werten gehört es, dass Freundlichsein eine gute Sache ist. Sie wissen auch, dass Sie nicht immer freundlich sind. Dann entsteht fast automatisch die Verpflichtung, auch an sich selbst zu arbeiten, seine eigenen ethischen Werte maximal zu realisieren, immer besser zu werden, zum Beispiel freundlicher zu werden, wenn man das aus moralischen Gründen gut findet. Was würden wir jetzt machen, wenn Hilfsmittel am Horizont auftauchen würden, die uns zuverlässig zu altruistischeren, prosozialeren, freundlicheren Menschen machen würden? Könnte dann nicht vielleicht sogar eine Verpflichtung entstehen, sich in dieser Hinsicht zu optimieren? Das sind so in der Ferne, nicht jetzt, es besteht auch kein Anlass für Alarmismus oder so was, aber das sind natürlich neue Fragestellungen, die dann auch in der Ferne auftauchen werden.
Hanselmann: Dinge, die im Moment denkbar sind und vielleicht bald konkret werden. Vielen Dank! Über Denkdrogen, Cognitive Enhancing Drugs und Hirndoping haben wir gesprochen mit Thomas Metzinger. Er ist Professor für Philosophie mit unter anderem Schwerpunkt Neurophilosophie und Neuroethik an der Universität Mainz. Vielen Dank nach Mainz!
Metzinger: Einen schönen Tag noch!
Hanselmann: Danke schön, Ihnen auch!
Thomas Metzinger: Guten Tag!
Hanselmann: Die "Nature"-Autoren sind nicht irgendwelche, sondern sie zählen zu den weltweit führenden Hirnforschern. Hat Sie deren Forderung nach Freigabe der Denkdrogen eigentlich überrascht?
Metzinger: Mich hat das schon vor zwei Jahren auf einer Konferenz mit Experten in London überrascht, dass viele Leute eher den Nutzen dieser neuen Technologien hervorheben als die Gefahren, wie es vielleicht in Deutschland auch reflexhaft immer passiert. Also wir haben immer das Gefühl, wenn was Neues kommt, dann ist es auf jeden Fall etwas Böses, das verhindert werden muss. In dem angelsächsischen Bereich ist ja auch zum Beispiel, was kosmetische Chirurgie angeht – Tätowierungen, Piercing – die Hemmschwelle für Körpermodifikationen wesentlich geringer, und deswegen hat sich diese kosmetische Psychopharmakologie in ihren ersten Anfängen auch in Amerika zum Beispiel am stärksten bis jetzt entwickelt.
Hanselmann: Nun gut, die "Nature"-Autoren argumentieren natürlich mit der sogenannten oder angeblichen Chancengleichheit, die dadurch entsteht, wenn jeder nehmen darf, was er will, um zum Beispiel seine Prüfung besser zu bestehen.
Metzinger: Ja, also man muss das, denke ich, ganz nüchtern sehen, es ist wichtig, dass man das nicht aus irgendeiner weltanschaulichen Perspektive heraus betrachtet, sondern einfach sehen, dass neue Technologien auf uns zukommen, es sind die allerersten Anfänge von etwas, was in den nächsten 20 bis 50 Jahren dann stärker unsere Lebenswelt verändern wird. Und diese Technologien erlauben uns jetzt, geistige Fähigkeiten genauer zu kontrollieren: Wachheit, Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit und so was. Und die Frage ist einfach, wie holen wir da die meisten positiven Aspekte für uns als Gesellschaft als Ganze heraus aus dieser Entwicklung, und wie minimieren wir den Preis, den wir dafür zahlen?
Hanselmann: Was macht Sie denn überhaupt so misstrauisch diesen Medikamenten gegenüber und wenn gesunde Menschen sie einnehmen? Wir trinken ja auch Kaffee, wir trinken teilweise Guarana-Tee, um wach zu bleiben, wenn es sein muss. Das sind ja auch Drogen.
Metzinger: Ja, sicher. Ich bin da auch nicht prinzipiell misstrauisch, es sind nur einfach viele Sachen unklar, ich nenne mal zwei, jetzt speziell bei Modafenil: Die Frage ist, welche Aspekte von Kognition, von Denken, werden denn da überhaupt verstärkt? Ist es einfach nur Wachheit oder ist es Antrieb? Ist es vielleicht eine reine Selbstüberschätzung, die zu einem Placeboeffekt führt durch eine Stimmungsanhebung, oder sind es ganz bestimmte Formen des Kurzzeitgedächtnisses, der Konzentrationsfähigkeit, die da optimiert werden? Das wissen wir alles noch nicht. Wir wissen nicht, wie dieses Medikament im Detail wirkt. Eine andere Sache, die wir nicht wissen, ist, was passieren würde, wenn gewissermaßen im Massenversuch breite Teile der Bevölkerung über lange Zeiträume so etwas ohne medizinische Indikation einnehmen würden.
Hanselmann: Also Sie finden, die Nebenwirkungen müssten erst noch genauer erforscht werden bei denen, die dieses Medikament nicht gegen eine Krankheit nehmen?
Metzinger: Ja, und vor allem die Langzeitwirkung. Im Moment sieht es so aus, als ob gerade Modafenil relativ gutartig ist, aber man weiß ja nicht, wie es bei Menschen mit einer bestimmten genetischen Vorbelastung ist, bei Leuten, die zum Beispiel vielleicht noch andere illegale Drogen nehmen, die damit kombinieren, die legale Drogen wie Alkohol regelmäßig konsumieren. Wir wissen nicht, was da in 20 Jahren dann mal passieren könnte.
Hanselmann: Die Autoren in "Nature" schreiben unter anderem, dass kognitive Verbesserungen durch solche Medikamente, über die wir gerade sprechen, dem Einzelnen und der Gesellschaft viel zu bieten hätten, und dass eine Freigabe bei gleichzeitigem angemessenen Risikomanagement zu befürworten sei. Wenn dieses Risikomanagement gegeben wäre, wenn also die Langzeitwirkungen feststünden und auch die anderen Nebenwirkungen, wären Sie dann auch für eine Freigabe?
Metzinger: Nein, eine völlig unkontrollierte Freigabe bestimmt nicht, aber im Prinzip, finde ich, sollte es schon in einer liberalen, offenen Gesellschaft das Grundprinzip geben, dass ich mit meinem Geist und mit meinem Gehirn machen kann, was ich will, und dass es zu meinem Lebensentwurf gehört, wie und in welche Richtung ich mich optimiere. Ob ich das durch Sauna, Sport und Meditation tue oder durch Privatfernsehen und Alkohol in eine bestimmte Richtung gehe, das sollte im Ende dem Bürger selbst überlassen bleiben, wenn er für die Risiken aufkommt und nicht die Interessen anderer Bürger irgendwie ganz massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Risiko kann man im Moment halt schlecht managen, weil man es im Moment noch schlecht abschätzen kann.
Hanselmann: Das führt zu der Frage, ob aus Ihrer Sicht bei uns in Deutschland überhaupt angemessen mit diesem Thema Psychopharmaka umgegangen wird. Man hat ja manchmal den Eindruck, es gäbe bei uns nur ein Hauptproblem, nämlich das des Alkoholkonsums.
Metzinger: Es gibt viel mehr Menschen, die auch von anderen Medikamenten abhängig sind und damit Probleme haben, mit Beruhigungsmitteln. Ich kann Ihnen die aktuellen Zahlen da nicht nennen. Allgemein ist der kulturelle Standard, den wir entwickelt haben, mit psychoaktiven Substanzen umzugehen, legalen und illegalen, sehr niedrig. Wir haben da keine eigenen Rituale, kein kulturelles tiefes Wissen entwickelt, außer vielleicht bei Alkohol ein bisschen. Andere Kulturen haben ein viel stärkeres Wissen und setzen häufig in religiösen Zusammenhängen psychoaktive Substanzen schon seit Jahrtausenden ein. Das Merkwürdige an der aktuellen Situation ist, dass wir, die wir mit unserer wissenschaftlichen Kultur jetzt wirklich die wirksamsten dieser Instrumente zu entwickeln beginnen, im kulturellen lebensweltlichen Umgang mit diesen Instrumenten eigentlich eher Analphabeten und Barbaren sind. Also es könnte durchaus wichtig sein, sich da auch mal ein paar tiefer gehende Gedanken drüber zu machen, was wir eigentlich wollen mit unserem eigenen Geist und mit unserem eigenen Bewusstsein.
Hanselmann: Herr Metzinger, gäbe es ein Medikament, das uns alle zu mitfühlenden und fairen Menschen machte, müssten wir es dann alle einnehmen?
Metzinger: Das ist eine interessante Frage. Wenn wir jetzt schon bei Science-Fiction sind, es könnte ja mal nicht Cognitive Enhancement, sondern Moral Enhancement geben. Und ich bringe ein ganz einfaches Beispiel: Angenommen, zu Ihren ethischen Werten gehört es, dass Freundlichsein eine gute Sache ist. Sie wissen auch, dass Sie nicht immer freundlich sind. Dann entsteht fast automatisch die Verpflichtung, auch an sich selbst zu arbeiten, seine eigenen ethischen Werte maximal zu realisieren, immer besser zu werden, zum Beispiel freundlicher zu werden, wenn man das aus moralischen Gründen gut findet. Was würden wir jetzt machen, wenn Hilfsmittel am Horizont auftauchen würden, die uns zuverlässig zu altruistischeren, prosozialeren, freundlicheren Menschen machen würden? Könnte dann nicht vielleicht sogar eine Verpflichtung entstehen, sich in dieser Hinsicht zu optimieren? Das sind so in der Ferne, nicht jetzt, es besteht auch kein Anlass für Alarmismus oder so was, aber das sind natürlich neue Fragestellungen, die dann auch in der Ferne auftauchen werden.
Hanselmann: Dinge, die im Moment denkbar sind und vielleicht bald konkret werden. Vielen Dank! Über Denkdrogen, Cognitive Enhancing Drugs und Hirndoping haben wir gesprochen mit Thomas Metzinger. Er ist Professor für Philosophie mit unter anderem Schwerpunkt Neurophilosophie und Neuroethik an der Universität Mainz. Vielen Dank nach Mainz!
Metzinger: Einen schönen Tag noch!
Hanselmann: Danke schön, Ihnen auch!