Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule in der Universität Kassel. Zuletzt erschien von ihm "Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft" im transcript Verlag.
Mit Widerspruch leben lernen
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Kann man an deutschen Universitäten noch frei forschen und lehren? Einige sehen die Wissenschaft durch eine wild gewordene Identitätspolitik bedroht. Stimmt nicht, sagt Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff, man muss aber Gegenwind ertragen können.
"Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Wir müssen vermehrt Versuche zur Kenntnis nehmen, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen."
So heißt es in einem Manifest, das rund 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor einigen Wochen veröffentlichten. Zugleich schlossen sie sich zum sogenannten "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" zusammen. Denn die Wissenschaftsfreiheit sehen sie bedroht. Man sei inzwischen "erheblichem Druck ausgesetzt", ja könne gar nicht mehr anders, als sich "moralischen, politischen und ideologischen Beschränkungen und Vorgaben zu unterwerfen." Fatal sei diese Entwicklung, da sie letztlich in die Selbstzensur führe.
Mit dieser Einschätzung stehen die 70 offenbar nicht allein. Fast täglich melden sich Stimmen in diese Richtung. Erst vor wenigen Tagen ließ etwa Wolfgang Thierse wissen: "Menschen werden vom Diskurs ausgeschlossen an den Universitäten oder in den Medien, die unliebsame Ansichten haben, die einem nicht passen, die man ablehnt, und deswegen will man sie ausschließen."
Kein Eindruck der Grundrechteeinschränkung
Mir stellen sich vor diesem Hintergrund einfache Fragen: Habe ich je in meinem Uni-Leben solche Erfahrungen gemacht? Gab es Situationen, in denen ich nicht sagen, lehren und forschen konnte, was ich aus inhaltlichen Erwägungen sagen, lehren und forschen wollte? Wer hat mich wann bei der Ausübung von Forschung und Lehre beschnitten?
Tatsächlich hatte ich überhaupt noch nie den Eindruck, dass meine Grundrechte an Universitäten eingeschränkt worden seien. Seit meinem Studienbeginn im Jahr 2003 gab es nicht einen Versuch, mir gegenüber solche Einschränkungen durchzusetzen. Und das bis heute.
Was ich allerdings erlebte und immer wieder erlebe – das ist Widerspruch. Selbst oft genug mit meinen Themen und Thesen aneckend, wird mitunter herzhaft kritisiert. Ich erinnere mich an ein Kolloquium, in dem ich erste Ansätze eines Habilitationsprojektes vorstellte. Die Reaktion der Teilnehmenden war verheerend – und keineswegs aus Ressentiments oder moralischen Reflexen. Sondern schlicht und einfach, weil ich mich methodisch völlig verrannt hatte.
Der Moment war schmerzhaft – und er hätte dazu beitragen können, mich fortan mit dem Flair des Unterdrückten zu umgeben.
Vieles ist heute begründungspflichtig
Heute ist es nicht anders. Studierende fordern Begründungen ein. Sie wollen wissen, nach welchen Kriterien ich Literatur- und Lektürelisten zusammenstelle; warum sich meine Seminarthemen meist nur auf Kulturen des globalen Nordens konzentrieren; warum ich nicht offener für alternative Unterrichtsformate bin; und warum ich überhaupt zu so abseitigen Themen wie der politischen Ästhetik oder dem Design von Schönheitsoperationen forsche. Gäbe es nicht Wichtigeres, Entscheidenderes zu tun?
Kolleginnen und Kollegen wiederum prüfen bei jedem Drittmittelantrag, bei jedem Vortrag, bei jedem Aufsatz, bei jedem Buch: Sind die Hornuff-Argumente stichhaltig? Lösen sie ein, was sie vorgeben? Gelingen ihnen neue Einsichten – oder reproduzieren sie nur Bekanntes? Die Ergebnisse, das ist kein Geheimnis, sind oft ernüchternd: Anträge werden abgelehnt, Bewerbungen versanden, Bücher werden nicht gelesen, und die Qualität meiner Vorträge wird gerne mal mit vorzeitigem Gehen quittiert.
Wird meine Arbeit damit gecancelt oder gar unterdrückt? Nein. Würde ich das ernsthaft behaupten, wäre das ein höhnischer Kommentar gegenüber all jenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die unter tatsächlichen Repressalien leiden; die ihre Jobs verlieren, weil sie Forschungsgebiete vertreten, die einem autoritären Regime nicht passen; die im Gefängnis sitzen, weil sie zur falschen Zeit das Falsche veröffentlicht oder gesagt haben.
Ja, Thesen sind begründungspflichtig, und es kann mächtigen Gegenwind geben. Aber wer nicht bereit ist, dies auszuhalten, überschätzt seine Bedeutsamkeit. Denn niemand hat Anspruch auf mangelnden Widerspruch. Auch nicht an der Uni.