Abschied von gestern
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In der kommenden Legislaturperiode soll das Filmfördergesetz novelliert werden. Fachleute wie Filmverleiher Torsten Frehse erhoffen sich Reformen. Was kann die deutsche Film- und Kinobranche von der Politik erwarten?
Es ist paradox: Die deutschen Kinos befinden sich in der größten Krise ihrer Geschichte, während die deutsche Filmproduktion gerade den größten Boom ihrer Geschichte erlebt. Wie stellen sich Filmschaffende die Zukunft des deutschen Films vor? Torsten Frehse, Geschäftsführer des Filmverleihs "Neue Visionen", freut sich, dass die Branche während der Pandemie die Unterstützung der Politik erfahren hat:
"Auf der einen Seite ist es schon so, dass die Hilfen für Kinos – im Wesentlichen für die Arthauskinos und die Einzelkinos auf dem Land – ziemlich umfassend stattgefunden und auch geholfen haben, sodass es keine größeren Kinoschließungen gibt. Auch wir im Verleihbereich haben Unterstützung bekommen, da kann man nicht meckern."
Auf der anderen Seite, meint Frehse, hätte er sich von der Politik gewünscht, stärker öffentlich fürs Kino zu werben – so wie das in Frankreich geschehen ist. Im Hinblick auf eine mögliche, neue Corona-Welle im Herbst erwartet Frehse von der Politik bereits jetzt eine klare Ansage: "Jetzt sollte spätestens der Fokus geändert werden, um zu sagen: Wir lassen die Kinos offen, und wenn es nur für Geimpfte ist."
Stärker ein Kino fördern, das für die Leinwand gemacht ist
Neben der Gefahr erneuter Kinoschließungen bereitet Frehse die Streaming-Konkurrenz die größte Sorge. Er hält die derzeitigen Debatten über die Verkürzung der exklusiven Kinofenster für voreilig: "In der Pandemie, aus Panik heraus, aus irgendwelchen Schnellschüssen heraus, irreparable Regelungen zu schaffen, die dem Kino hinterher noch mehr schaden, lehne ich völlig ab."
Von der Novellierung des Filmfördergesetzes in der nächsten Legislaturperiode erhofft sich Frehse Reformen, die stärker ein Kino fördern, das für die Leinwand gemacht sei. Denn der deutsche Film sehe viel zu sehr nach Fernsehen aus:
"Ein Vorschlag wäre, dass Kinofilm von Fernsehfilm völlig getrennt wird. Im Augenblick müssen die Produzentinnen und Produzenten mindestens 20 Prozent ihrer Kosten für den Film aus Mitteln finanzieren, die nicht Förderung sind. Das geht natürlich immer nur mit dem Sender. Da ist natürlich immer auch ein Blick vom Sender mit dabei."
Novemberhilfen kamen im Juli
Während der Pandemie, sagt der Mitbegründer der Cinemaxx-Kette und Kinobetreiber Hans-Joachim Flebbe, hätten auch die Kinos großzügige Hilfen erhalten. Allerdings hätten die oft auf sich warten lassen:
"Die Novemberhilfe für letztes Jahr November haben wir in einer Firmengruppe erst Mitte Juli bekommen. Auf der anderen Seite sind diese Zahlungen jetzt zum großen Teil angekommen, sodass diese Hilfen, kombiniert mit dem Kurzarbeiterentgelt, dazu geführt haben, dass nur relativ wenig Kinos Insolvenz anmelden mussten."
Aber aufgrund der weiter eingeschränkten Sitzkapazitäten in den Kinosälen und einem zögerlichen Publikum erreichen die Filmtheater, so Flebbe, im Moment nur die Hälfte der Vor-Corona-Zuschauerzahlen. Und wie lange die Hilfen gezahlt werden, ist unklar.
Für die kommerziellen Kinos und Multiplexe sei außerdem problematisch, dass sie - anders als die Arthaus-Kinos - kein Geld von der Kulturstaatsministerin bekommen: "Was für mich eine massive Benachteiligung ist. Von Frau Grütters bin ich in dem Sinne als kommerzieller Kinobetreiber massiv enttäuscht."
Das Kinosterben könnte noch kommen
Zwar haben bisher fast alle deutschen Kinos die Pandemie überlebt, aber das werde sich, befürchtet Flebbe, ändern:
"Ich rechne fest damit, dass die Besucherzahlen in den nächsten Jahren 25 bis 30 Prozent unter dem Jahr vor der Pandemie liegen werden. Das liegt daran, dass unsere Kinobesucher sich in der Pandemiezeit mit Netflix- und Amazon-Abos eingedeckt haben, und da werden viele den Weg ins Kino nicht mehr antreten. Und es kommt auch noch dazu, dass die Streaming-Dienste darauf drängen, dass diese exklusiven Auswertungsfenster, die die Kinobranche hatte, reduziert werden bis zu null."
Unabhängige Produktionsunternehmen könnten es schwer haben
Flebbes Astor-Kinos boykottieren Filme, die gleichzeitig auf der Leinwand und auf Online-Plattformen herausgebracht werden. Flebbe sieht die Zukunft des kommerziellen Kinos düster und glaubt nicht, dass der Staat hier eingreifen kann. Dagegen erlebt die deutsche Filmproduktion ausgerechnet in der Pandemie den größten Boom ihrer Geschichte. Allerdings profitiert nicht die gesamte Branche davon:
"Insofern glaube ich, dass viele unabhängige Produktionsunternehmen in eine nicht so rosige Zukunft gucken. Das geht eben tatsächlich zulasten vieler unabhängiger Unternehmen, die nicht kapitalkräftig genug sind, um zum Beispiel Stoffentwicklung oder Romanrechte zu bezahlen."
Um auch die kleinen Produktionsfirmen zu erhalten, hofft Uli Aselmann von der deutschen Produzentenallianz auf Gegensteuerung bei der Novellierung des Filmfördergesetzes – kurz FFG.
Denn die kleineren Firmen würden oft auch für interessanteres Kino stehen:
"Dadurch, dass die Sender dazu übergehen, kleine Experimente im Kino gar nicht mehr mitzutragen, sehe ich da die allergrößte Gefahr. Und das ist eben genau das, was wir in der nächsten FFG-Novelle zu berücksichtigen haben, dass es kreative Räume gibt, die den Leuten ermöglicht, Geschichten zu erfinden, die einfach durch die besonderen Geschichten Aufmerksamkeit generieren." Und nicht nur auf Erfolg kalkuliert seien.
Die Pandemie macht Veränderungsdrang der Branche sichtbar
Insgesamt, so Aselmann, habe auch die deutsche Filmproduktion großzügige Finanzhilfen bekommen, etwa mit Ausfallfonds für coronabedingte Drehabbrüche. Aber deren Verlängerung steht infrage, weil sich Bund und Länder uneinig sind:
"Das ist zum Beispiel auch im Hinblick auf Kulturpolitik nach der Bundestagswahl dringend korrekturbedürftig, dass diese Abstimmungen zwischen Bund und Ländern, auch was Kulturpolitik angeht, besser werden müssen und nicht immer so schwerfällig sind."
Gerade um die Zuständigkeiten für die Filmproduktionswirtschaft zu bündeln, befürwortet Aselmann den Vorschlag, ein eigenes Bundeskulturministerium zu schaffen. Auf jeden Fall lässt die Pandemie einen Veränderungsdrang im deutschen Film sichtbar werden wie seit Jahrzehnten nicht mehr.