Ausländer prägten mein Leben
Unser Essayist Dieter Bub hat in seinem Leben Menschen vieler Nationen kennen und als großes Glück begreifen gelernt. Deswegen sieht er den derzeitigen Zuzug Tausender Flüchtlinge als Chance für Deutschland. Er will andere mit seinen Erlebnissen ermutigen.
Mir sind die Flüchtlinge, die vor dem Krieg geflohen sind, willkommen. Nicht nur weil es eine humanitäre Pflicht ist, ihnen Asyl zu bieten, sondern weil sie für Deutschland in Zukunft eine Bereicherung sein können.
Deshalb erzähle ich meine Geschichte, die Geschichte von spannenden Begegnungen mit vielen Fremden, Flüchtlingen und Zuwanderern in sieben Jahrzehnten. Vielleicht ermutigt sie auch andere.
Russen und Amerikanern begegnete ich nach 1945
Nach der Flucht meiner Eltern aus Thorn an der Weichsel kamen mit dem Ende des Krieges die ersten Ausländer nach Halle. Erst die Amis, mit denen die Oma Schmuck gegen Bohnenkaffee tauschte, nach ihnen die Russen, von denen ein junger Offizier mit seiner Matka in unserem Speisezimmer einzog, die Großeltern zu Rehbraten und Wodka einlud und mir Geld schenkte.
Der nächste Russe war ein Tenor der Donkosaken, mit dem wir bei uns zuhause so lange zechten, dass wir ihn am Morgen darauf schlafend in der Badewanne fanden.
Nach 1990 dann die große russische Eroberung Berlins: Wir besuchten Zarenbälle und das kleine Schloss derer von Bismarck in Döbbelin mit Hausherrin Irina, einst einer Bratschistin aus St. Petersburg. Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Kakerlaken-Rennen und die berühmten russischen Silvesterpartys des Kosaken Nicolai Makarow.
Der Kontakt zu den Amerikanern gehörte im Westen zum Alltag. GIs, zum Beispiel in Schwabach stationiert, lachten sich deutsche Frolleins an, und ich, damals achtzehn, war Gast im Offiziersclub.
Restaurants und Musik lehrten mich "Multikulti"
In Schwabach entdeckte ich auch meine große Leidenschaft für Gelati, das italienische Eis, dem ich bis seither verfallen bin, schwärme für die italienische Küche, das dolce far niente und Italiener, die zu Freunden wurden, wie Antonio, den Mann Lilos, der begeistert und viel besser als ich Skat spielt.
Die Zahl italienischer, spanischer, vietnamesischer, chinesischer, japanischer, indischer, libanesischer, afrikanischer Restaurants füllt Seiten im Adressbuch meiner Erinnerungen. Sie boten und bieten Genuss und Anregung für die eigene Küche.
Ich habe "die Griechen" vergessen. Kennen Sie Costa, den Bärtigen der Lindenstraße? Wir haben ihn oft im "Terzo Mondo" besucht, seinem Berliner Lokal, und bei Ouzo und Retsina seinen Liedern gelauscht.
Überhaupt: die Musik: In der Kreuzberger Eisenbahnstraße sang ein italienischer Koch Opernarien, Antonio II aus Lissabon herzergreifenden Fado, dazu die Russendisco in Berlin, die Gastspiele von Bands aus aller Welt überall in Deutschland, stets neue Entdeckungen und mittlerweile alten Bekannte auch hier im Radio.
Das alles gab es nicht in den Jahrzehnten der Diktaturen und des deutschen Wahns. Generationen nach 1945 und nach 1989 haben die Türen wieder geöffnet. Welch ein Glück für uns, dessen sich ein paar Tausend deutscher Hassprediger nicht bewusst sind.
Aras Ören machte mich mit Türken vertraut
Multikulti, das gibt es schon lange. Hamburger Freunde haben bereits in den siebziger Jahren einen Jungen aus Afrika und Mädchen aus Korea adoptiert.
Und die Türken? Ich erinnere mich an einen der ersten unter ihnen. Der Schriftsteller Aras Ören machte uns in den Geschichten aus der Naunynstraße mit der Mentalität seiner Landsleute vertraut. "Die Türken", längst in der zweiten und dritten Generation, gehören mit ihren Geschäften, Märkten, Werkstätten und Moscheen schon lange zu Deutschland. Ohne sie wäre unser Land weniger bunt. Ich würde sie vermissen.
Vielen von den Jüngeren gelingt es, hierarchische Strukturen zu überwinden, in der Politik mitzusprechen und sich selbst in der Liebe - gegen Widerstand in der Familie - frei zu entscheiden. Wie sehr haben sie längst das Bild in unseren Städten und unser Leben geprägt - so wie vor ihnen in den vergangenen 2000 Jahren Römer, Franzosen, Polen und Juden.
Alle diese Begegnungen, waren eine Bereicherung für mein und unser Leben - und sind es noch immer. Davon wollte ich erzählen.
Dieter Bub, Publizist und Buchautor, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der DDR. Zwischen 1979 und 1983 war er Korrespondent des "Stern" in Ostberlin. Nach 1990 realisierte er für den NDR und den MDR große Dokumentationen zur Geschichte der DDR.