Thorsten Jantschek, Jahrgang 1966, studierte Philosophie. Zunächst war er beim NDR, anschließend bei Radio Bremen verantwortlich für "Religion und Gesellschaft", parallel war er dazu mehrere Jahre als Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Universität Bremen tätig. Seit 2013 arbeitet er für Deutschlandfunk Kultur – erst als Redakteur in der "Aktuellen Kultur", danach im Bereich Sachbuch und Philosophie. Heute ist er Abteilungsleiter "Digitale Angebote und aktuelle Kultur" bei Deutschlandfunk Kultur.
Gute Story statt überzeugender Argumente?
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Welche Aufgabe hat die Literatur bei der Bekämpfung des Klimawandels? "Zeit"-Autor Bernd Ulrich fordert von Schriftstellern mehr Engagement. Der Journalist Thorsten Jantschek widerspricht: Einen Klimaroman brauche es nicht.
Warum der Klimawandel in der deutschen Literatur bisher kaum eine Rolle spielt, um diese Frage ist gerade eine kleine Kulturdebatte entbrannt. Der "Zeit"-Journalist Bernd Ulrich beklagte in dem Artikel "Warum zur Hölle?", dass wir in einer ökologischen Krise leben, die Literatur uns dabei aber alleine lasse. "Dabei brauchen wir sie. Jetzt!", schrieb Ulrich.
Ruf nach dem Endzeit-Panorama
Die Entgegnung ließ nicht lange auf sich warten. So schrieb der Schriftsteller und Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" Hilmar Klute unter der Überschrift "Es ist uns kein Anliegen" über seine Skepsis gegenüber einer Literatur, die sich in irgendeiner Form für eine Sache oder ein Ziel einsetze.
Auf die Frage, was denn bei solcher Klimaliteratur herauskommen könnte, sinnierte er: "Es würde, wenn es nach dem Begleitmusik-Wunsch der Aktivisten geht, tatsächliche eine Literatur der Misere entstehen, jeder Roman müsste doch ein hoffnungsloses Endzeit-Panorama entfalten." Brauchen wir also den Klimaroman?
"Nein, wir brauchen ihn nicht", sagt Thorsten Jatschek, Literaturredakteur bei Deutschlandfunk Kultur. Aber es gebe interessante literarische Adaptionen davon. Die Frage, ob engagierte Literatur benötigt werde oder nicht, interessiere ihn gar nicht, so Jantschek. "Ich finde das derart zopfig, hier klopft gleich Günter Grass an die Studiotür." Kunst habe, wie der Philosoph Immanuel Kant einst formulierte, mit dem "interesselosen Wohlgefallen" zu tun.
Zu wenig Vertrauen in Aufklärung
Es gebe zahlreiche Sachbücher zum Klimawandel und unendlich viele Diskussionen, so Jantschek. "Die Argumente liegen offenbar auf dem Tisch." Hinter der Forderung nach einem Kunstwerk, das sich dem Thema nun auch noch widme, scheine ihm der Wunsch zu stecken, dass die "machtvolle Power der besseren Erzählung" an die Stelle des "Zwangs zum besseren Argument" treten soll.
"Das ist natürlich verräterisch", sagt Jantschek. "Man traut auch nicht mehr sich selber nach 200 Jahren Aufklärung zu, dass das Argument und die Überzeugung obsiegen könnten und das Bewusstsein verändern." Denn darum gehe es Zeit-Redakteur Ulrich, der selbst mit der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer das Buch "Noch haben wir die Wahl" geschrieben habe. "Da wird offenbar der Aufklärung weniger zugetraut als der guten Story."
Beim Klimawandel sind wir auf der Seite des Bösen
Beim Thema Klimawandel müsse die Erzählung erst gefunden werden, so Jantschek. Normalerweise gebe es bei einer Heldenreise einen, der für die Seite des Guten stehe, und es gebe Antagonisten, die auf der Seite des Bösen stehen.
"Wenn wir anfangen, eine Geschichte über den Klimawandel aufzuschreiben, dann wären wir selbst der Antagonist mit unserem Lebenswandel", so Jantschek. "Wir hätten auch keine echte Heldenfigur, außer vielleicht Greta Thunberg." Das sei aber viel zu singulär, um zum Bewusstseinswandel beizutragen. "Und warten wir nicht immer noch auf den großen Wenderoman oder Finanzkrisenroman?" Man solle es den Literaten überlassen, welche Themen sie wählen.