"Es geht nicht darum, die französischen Museen zu leeren"
Der Ökonom Felwine Sarr und die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy haben in Berlin ihren aufsehenerregenden Bericht "Restituer le patrimoine africain" erläutert, in dem sie eine großzügige Rückgabe kolonialer Raubkunst fordern.
Das Centre Français de Berlin platzte förmlich aus allen Nähten. Es war der erste Auftritt von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr in Deutschland, und das öffentliche Interesse war enorm. Eingeladen hatte nicht etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder Kulturstaatsministerin Monika Grütters, sondern das Bündnis Decolonize Berlin.
Debatte ist in Deutschland weiter als in Frankreich
Knapp sechs Wochen ist es her, dass Sarr und Savoy ihren Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter aus französischen Museen an Präsident Macron übergeben haben. Darin empfehlen sie die großzügige Rückgabe von allen Objekten, die nicht mit Zustimmung der Eigentümer nach Frankreich gebracht wurden. Ein Vorstoß, der in Frankreich und Deutschlands Museumslandschaft heftige Diskussionen ausgelöst hat. Doch in Deutschland sei die Debatte eindeutig schon weiter als in Frankreich, erklärt Savoy:
"In Frankreich ist sie nicht so, ich sage es aus dem Bauch heraus, nicht so intelligent wie in Deutschland. Man merkt in Deutschland, dass über dieses Thema seit einem Jahr intensiv debattiert wird, und dass vorher über Provenienzfragen zum NS-Kunstraub sehr intensiv diskutiert wurde, so dass es hier in Deutschland ein Vokabular, eine Gesprächskultur zu dem Thema gibt, und die gibt es in Frankreich noch nicht."
Über 80.000 afrikanische Kunstobjekte in Frankreichs Museen
Das afrikanische Kulturerbe in Frankreich ist groß. Über 80.000 Objekte gibt es in französischen Museen, davon allein 70.000 im Musée du Quai Branly, dem Museum für außereuropäische Kunst in Paris. Zwei Drittel der Objekte sind zwischen 1880 und 1960 in die Sammlungen gekommen, also während der Kolonialzeit. Doch die Überzeugung, dass es sich bei den afrikanischen Sammlungen um unveräußerliches französisches Kulturerbe handelt, sei nach wie vor weit verbreitet, erklärt Savoy:
"Komischerweise gab es in Frankreich erst den politischen Willen eines Politikers und dann die Debatte, in Deutschland liegt es etwas anders, und der politische Wille hat etwas auf sich warten lassen. Jetzt ist er auch da."
Rückgabeforderungen als unzulässig abgelehnt
Sarr und Savoy legten Wert darauf, klarzustellen, dass sie in den Medien oft falsch verstanden wurden. Es gehe ihnen nicht darum, die französischen Museen zu leeren. Aber sie wollten ein klares Signal setzen für das Thema Rückgabe: nicht Leihgabe, nicht Zirkulation, nicht Austausch durch Digitalisierung. Über Jahrzehnte seien die Rückgabeforderungen aus Afrika von französischen Regierungen immer als unzulässig abgelehnt worden, erklärt Felwine Sarr, Wirtschaftsprofessor und Schriftsteller aus dem Senegal. Eine Geschichte von Enttäuschungen. Nur über das Thema Rückgabe gebe es die Chance für Europa, seine Beziehungen zu Afrika neu zu definieren.
Sarr: "Ok, es ist auch unsere Geschichte. Aber wir können jetzt eine neue Geschichte schreiben. Indem wir anerkennen, dass afrikanische Gesellschaften diese Objekte jetzt brauchen - für ihre eigene Bildung, für ihre eigene Jugend, für ihre eigene Geschichtsschreibung. Aber so lange sie hier sind, fehlen sie dort."
Die drei Phasen des Restitutionsprozesses
Der französische Restitutionsprozess soll, so der Vorschlag von Sarr und Savoy, in drei Phasen ablaufen. Erstens: In den Archiven muss für jedes afrikanische Land ein Verzeichnis aller Objekte angefertigt werden, die in französischen Museen liegen - und die nicht eindeutig legal erworben wurden. Zweitens: Dieses Inventar muss an die jeweiligen Länder überstellt werden. Drittens: Es sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit die Objekte, die das Land zurückhaben möchte, restituiert werden können.
Savoy: "Es geht also nicht darum, die französischen Museen zu leeren, und irgendwie innerhalb von zwei Wochen mit tausenden von Kisten in Cotonou am Hafen alles abzuladen. Natürlich nicht, sondern wir sind vernünftige Leute und unsere afrikanischen Kollegen und Kolleginnen sind es ebenso. Und es geht darum, eine geordnete Rückgabe zu organisieren, in dem Rhythmus, der für alle möglich ist."
Doch eine geordnete Rückgabe der afrikanischen Sammlungen ist für die französische Museen ebenso schreckbehaftet wie eine ungeordnete. Und für viele deutsche Museen auch. Insofern werden Sarr und Savoy noch viele dicke Bretter bohren müssen. Und ob Macron ihren Vorschlägen letztlich folgt, ist noch alles andere als gesetzt.
Die Agentur für Internationale Museumskooperation
Doch auch in Deutschland bewegt sich etwas. Das Auswärtige Amt will, das wurde heute bekannt, eine "Agentur für Internationale Museumskooperation" ins Leben rufen, um auch die Zusammenarbeit deutscher Museen mit Afrika voranzutreiben. Da ist zwar mehr von Austausch als von Restitution die Rede. Aber das kann sich noch ändern. Vor kurzem hat China in Senegal ein Nationalmuseum gebaut. Ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Frankreich dieses Museum gebaut hätte? Sarr verneint.
Sarr: "Die Chinesen haben das Museum gebaut, aber sie haben es komplett den Senegalesen überlassen, was sie damit machen wollen. Und ich weiß, dass die Franzosen das nicht getan hätten. Die hätten gesagt: Ihr habt keine Sammlung, wir könne euch was leihen. Und wir helfen euch, wir sagen euch, was ihr braucht. Ich finde es besser, meinen eigenen Weg gehen zu können."