Der Eisenbahn gehört die Zukunft
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Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sieht für Kurzstreckenflüge keine Perspektive. Die Politologin Ulrike Guérot gibt ihr mit Blick auf die EU-Klimaziele recht. Tobias Austrup von Greenpeace drängt darauf, der Bahn konsequent Vorrang einzuräumen.
"Kurzstreckenflüge sollte es perspektivisch nicht mehr geben": Diese Meinung hat Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, in einem Interview geäußert – und damit prompt eine Verbotsdebatte ausgelöst. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot findet Baerbocks Idee indes "völlig vernünftig". Schließlich habe sich die Europäische Union zu dem Ziel verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Dafür könne es "keine bessere Idee" geben, als von Hamburg nach Budapest oder von Kopenhagen nach Barcelona Schnellzüge zu benutzen, findet Guérot. Infolge der Coronakrise seien im Rettungspaket der EU bereits "größere Summen" für ein europäisches Schienennetz vorgesehen.
Mailand, Nizza, Paris - an einem Tag mit dem Zug
Die Politologin erinnert zudem an die gute alte Tradition des Zugfahrens und verweist auf die Transsibirische Eisenbahn und den Orientexpress, dem Agatha Christie mit ihrem Kriminalroman "Mord im Orientexpress" ein literarisches Denkmal setzte.
"Wir sind ja von den Zügen auf die Flieger umgestiegen und wir können zurück umsteigen", ist Guérot überzeugt. Schon in den Tagebüchern von John Maynard Keynes sei zu lesen, dass dieser "morgens in Mailand und zum Mittagessen in Nizza" war und am Abend "einen Termin in Paris" hatte. "Das haben die alles damals mit Zügen gemacht. Dann können wir das doch hundert Jahre später auch."
Die österreichische Bahn ÖBB baue bereits ihr Nachtzug-Angebot aus, man könne "perfekt von Berlin nach Wien" fahren, so Guérot weiter. "Die Eisenbahn ist die Zukunft." Fliegen empfindet Guérot nicht als Luxus, im Gegenteil: Flughäfen seien "Hochsicherheitsapparate" geworden, in denen "jeder Lippenstift gescreent" werde. Für diejenigen, die dennoch weiter fliegen wollten, hat Guérot diesen Trost: "Es wird ja auch an einem Flugzeug gebaut, das mit Solarzellen funktioniert." Nur werde die Entwicklung vielleicht noch 20 Jahre dauern.
Seit dem Pariser Klimaabkommen absehbar
"Ich glaube, dass es keine besonders bahnbrechende Erkenntnis ist, dass wir Kurzstreckenflüge reduzieren müssen, dass wir sie durch die Bahn ersetzen müssen", sagt
Tobias Austrup, Verkehrsexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace [AUDIO]
. Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens vor sechs Jahren sei klar, dass im Verkehrssektor viel passieren müsse, um die Emissionen zu senken.
Es gebe die landläufige Annahme, dass die Subventionierung des Flugverkehrs, etwa durch die Steuerbefreiung von Kerosin, ökonomisch schwächer gestellten Menschen soziale Teilhabe ermögliche – also Reisen mit dem Flugzeug für sie bezahlbar mache. Das sei aber nur bedingt richtig. "Eigentlich sind das Subventionen für Reiche", sagt Austrup. Denn die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung verbrauchten die Hälfte des Kerosins.
"Deutschland ist schon lange nicht mehr Vorreiter beim Klimaschutz", sagt der Greenpeace-Experte mit Blick auf Frankreich. Der französische Staat habe Fluggesellschaften nur Corona-Hilfen unter der Bedingung zugestanden, dass sie keine Kurzstreckenflüge mehr anbieten. Auch Österreich habe das diskutiert, und Deutschland werde ebenfalls solche Regelungen brauchen.
Infrastruktur schaffen dauert, lohnt sich aber
Wie lange wird es dauern, bis die Bahn Kurzstreckenflüge ersetzen kann? Eine bessere Abstimmung der Fahrpläne sei vergleichsweise schnell möglich. So könnten viele Städte innerhalb Deutschlands mit der Bahn schneller erreicht werden, sagt Austrup.
Schnelle Bahnverbindungen auszubauen dauere hingegen wahrscheinlich bis in die 2030er-Jahre. Der Verkehrsexperte hält aber auch das für erfolgversprechend: Der Ausbau der Bahnstrecke Berlin-München habe dazu geführt, dass die Flugbewegungen auf dieser Strecke stark zurückgegangen seien.
(bth/jfr)