"Es geht letztendlich um Propaganda"
An der Universität Siegen findet ein Seminar mit dem Titel "Denken und Denken lassen" statt, bei dem auch Rechtspopulisten wie Thilo Sarrazin sprechen sollen. Für den Islamwissenschaftler Stefan Weidner ist das ein Versuch, rechte Positionen an der Uni zu verbreiten.
An der Universität Siegen findet ein Blockseminar "Denken und Denken lassen. Zur Philosophie und Praxis der Meinungsfreiheit" statt, in dem unter anderem folgende Fragen geklärt werden sollen:
Wie groß darf die Meinungsfreiheit bei Veranstaltungen sein, die an Universitäten stattfinden? Muss es Grenzen geben, oder darf jeder erst einmal sagen, was er oder sie denkt?
Seit Beginn des Semesters im vergangenen Herbst werden diese Fragen aber nicht nur in Siegen diskutiert, sondern mittlerweile auch bundesweit - denn zu den Gastrednern gehören der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Jongen und Thilo Sarrazin. Sarrazin will über den "neuen Tugendterror" sprechen. Vor ihm wird der Philosoph und Islamwissenschaftler Stefan Weidner über "Kosmopolitismus und Aufklärung im Islam oder Orient" referieren.
"Einen eigenen Akzent setzen"
Er wolle auf der Veranstaltung aber nicht die Thesen von Thilo Sarrazin wiederlegen, sagte Weidner im Deutschlandfunk Kultur. Das hätten bereits Andere "sehr gründlich" gemacht: "Mir geht es darum, einen ganz neuen und eigenen Akzent zu setzen, und nicht einfach zu reagieren auf das, was Sarrazin an sehr steilen Thesen vorgibt."
Weidner geht es grundsätzlich um die Frage, ob es sinnvoll ist, Personen wie Marc Jongen und Thilo Sarrazin zu solchen Veranstaltungen einzuladen:
"Wenn ich das Thema Meinungsfreiheit als Thema debattieren möchte, muss ich ja nun keine Leute einladen, die sozusagen sehr umstritten sind mit ihren Thesen und denen vorgeworfen wird, die Meinungsfreiheit zu sehr zu dehnen, oder die sich selbst so inszenieren, als würde ihnen die Meinungsfreiheit verboten werden."
Den Seminarleiter Dieter Schönecker kritisierte Weidner im Deutschlandfunk Kultur scharf*: "Er lädt diese Leute ein, die behaupten, sie dürfen nicht reden, um sie zum einen reden zu lassen und gleichzeitig mit ihnen zu diskutieren. Er thematisiert also nicht das Thema der Meinungsfreiheit, sondern er inszeniert es. Er ist im Grunde ein kleiner Theaterregisseur in diesem Spiel."
Seminar basiert auf Ausführungen von John Stuart Mill
Das Siegener Blockseminar basiert auf den Ausführungen des britischen Philosophen John Stuart Mill, der in seiner Schrift "Über die Freiheit" dafür plädiert, dass Unbehagen und Verletzbarkeit durch empörende Meinungen ausgehalten werden müssen.
Dagegen sei auch nichts zu sagen, sagte Weidner. Um angehende Philosophen darin zu unterrichten, wie man mit unterschiedlichen Positionen umgehe, sollten die rechtsgerichteten Publizisten und Personen am besten direkt mit andersdenkenden Persönlichkeiten wie beispielsweise dem liberalen Historiker Timothy Garton Ash debattieren, regte er an.
Für Weidner geht es bei der Veranstaltung um eine "Provokation": "Man will das austesten. Man will gucken, wie viel rechte Meinungen, Thesen man nun langsam auch an der Uni einspeisen kann. Ich glaube, es geht um einen Meinungskampf am Ende. Es geht nicht um die Sache, sondern es geht letztendlich um Propaganda."
(jde)
*) Wir haben an dieser Stelle die Aussage des zuvor missverständlichen Satzes grammatikalisch präzisiert.