"Man muss sich immer der Geschichte des Gebäudes bewusst sein"
Droht die Re-Nazifizierung eines NS-Prestigebaus? Das befürchten manche angesichts der Umbaupläne für das Münchner Haus der Kunst. Über die schwierige Frage, wie man mit dem architektonischen Erbe der NS-Zeit umgehen soll, haben wir mit der Kunsthistorikerin Iris Lauterbach gesprochen.
Dieter Kassel: Am Dienstag, dem 18. Juli 1937, vor 80 Jahren, wurde in München ein Gebäude eröffnet, das der Architekt Paul-Ludwig Troost in ausdrücklichem Auftrag von Adolf Hitler geschaffen hat, das Haus der Deutschen Kunst. Dieses Haus ist als Haus der Kunst noch immer, schon seit Jahrzehnten ein wichtiger Ort der Kunst, ein Ort aber, über den im Moment eifrig diskutiert wird, aus architektonischen Gründen. Bevor auch wir diese Diskussion zum Teil hier live führen werden, ein Ausschnitt aus der Sendung des Deutschen Rundfunks, des NS-Rundfunks damals vor 80 Jahren zur Eröffnung dieses Gebäudes:
"Vor uns der Platz des Führers. Von hier aus wird sein Blick über den Grundstein hinweggleitend und das Spalier der SS mit den ernsten Stahlhelmen das ganze Volk umfassen, das hier auf den Tribünen Stufe um Stufe überhöht auf den Platz sieht. Und dieses Volk sieht von hier aus seinen Führer, den Baumeister dieses Hauses der deutschen Kunst, den Baumeister des Vaterlandes, zu dem auch der Künstler sich freudig bekennt."
So berichtete der deutsche Rundfunk, der NS-Rundfunk 1933 über die Grundsteinlegung, Haus der deutschen Kunst. Das war am 15. Oktober 1933. Und vor genau 80 Jahren, am 18. Juli 1937, wurde dieses damalige Haus der deutschen Kunst dann offiziell eröffnet. An diesen Tag erinnert man sich natürlich heute in München. Man diskutiert aber auch schon seit einer Weile über einen Umbau dieses Hauses, das inzwischen längst etabliert ist als Haus der Kunst. Und wir wollen über die Geschichte und über die aktuelle Diskussion jetzt sprechen mit der Kunsthistorikerin Iris Lauterbach. Sie arbeitet zum einen in der Forschungsabteilung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, und sie lehrt Geschichte der Gartenkunst an der Technischen Universität in München. Frau Lauterbach, schönen guten Morgen!
Iris Lauterbach: Guten Morgen!
"Quasi sakrale Funktion" der Kunst im NS-Staat
Kassel: Das versetzt einen natürlich 80 Jahre zurück, dieser Ton, den wir kennen aus der Nazizeit, dieses unter anderem ja auch Pathetische. Aber wenn Sie selbst heute an dieses Haus denken, wenn Sie vielleicht vorbeilaufen in München, denken Sie dann wirklich an seine ursprüngliche Funktion, oder denken Sie doch eher an die Funktion, die es jetzt seit Jahrzehnten in einem freien, demokratischen Land hat?
Lauterbach: Vielleicht noch ein kurzer Rückblick auf diese Grundsteinlegung. Sie wissen ja auch, dass natürlich dieser Bericht eine Sache verschwieg, dass nämlich dieses berüchtigte kleine Zeremonialhämmerchen, mit dem Hitler den Grundstein absegnen wollte, das zerbrach ja. Das wurde in der öffentlichen Wahrnehmung durch die deutschen und gleichgeschalteten Medien damals natürlich verschwiegen. Insofern kommt man auch da immer wieder an einen Punkt, wo man die zeitgenössische NS-Propaganda immer wieder brechen kann und brechen muss, indem man durch gründliche historische Sicht einen anderen Blick gewinnt.
Zu der anderen Frage: Wenn man heute an diesem Gebäude vorbeifährt: Natürlich, ich kenne ja die Geschichte, mir ist das auch selbstverständlich, dass das ein NS-Bau war, der für die NS-Kunstpolitik die wesentliche Ausstrahlung im Deutschen Reich besitzen sollte, um diese Vorstellungen der NS-Kunstdoktrin auch nach außen hin sichtbar zu machen, indem dieser tempelartige Bau auch diese quasi sakrale Funktion der Kunst im NS-Staat nach außen trägt. Es gibt ja den berühmten Spruch von Hitler, der ja auch an der Fassade des Hauses der Deutschen Kunst hing, "Kunst ist eine erhabene, zum Fanatismus verpflichtende Mission". Das sind Dinge, die eben durch dieses Gebäude transportiert werden. Dafür ist es errichtet worden.
Kassel: Aber mit dem, was Sie jetzt gerade nochmal gesagt haben, sind wir eigentlich mittendrin in der aktuellen Diskussion über den geplanten Umbau des Gebäudes durch den Stararchitekten David Chipperfield. Denn der selbst und die Befürworter seiner Pläne sagen ja, das soll diese Architektur und damit auch die Geschichte dieses Hauses sichtbar machen. Und Kritiker des Projekts – ich will ein Beispiel nennen: Der Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums in München, Winfried Nerdinger, der hat zum Beispiel tatsächlich gesagt, was da geplant ist, ist für ihn eine "Renazifizierung". Wo stehen Sie denn da?
Bisher nur eine allgemeine Ideenskizze
Lauterbach: Zunächst muss ich sagen, ich kenne auch nur die allgemeinen Ideenskizzen, die in einer öffentlichen Vorstellung Chipperfields bisher vorgetragen wurden. Weiteres kennt die Öffentlichkeit hier in München wohl auch nicht. Es gibt natürlich verschiedene Komponenten dieses Vorhabens, aus meiner Sicht, soweit ich das sagen kann: Einmal die Freilegung der originalen Innenräume, das ist etwas, was seit Jahrzehnten auch durch frühere Direktoren des Hauses der Kunst durchgeführt wurde. Und das will Enwezor, der jetzige Direktor, fortsetzen. Das halte ich zum Beispiel für absolut plausibel, sofern man eben nicht affirmativ mit dieser Monumentalität auch der Innenräume umgeht. Aber was soll das Haus der Kunst auch sonst machen? Das ist ja ein Ausstellungshaus, und sie müssen diese Räume nutzen.
Es gibt aber noch andere Komponenten dieses Gesamtprojekts, soweit ich das sehe. Das ist einmal eben die Freilegung im städtischen Außenraum, das ist das, was bisher am meisten auch öffentlich diskutiert wurde. Die Verkehrsführung ist ein großes Problem, im Grunde ein Sündenfall von 1972, als man für die Olympiade da den Altstadtring entlanglegte und direkt vor dem Haus der Kunst so ein Tunnelkrater nach unten führt und eine vierspurige Straße. Und ein ganz wichtiges Thema, das bisher in der Öffentlichkeit noch gar nicht richtig beachtet wurde: Soweit ich das dieser Präsentation von Herrn Chipperfield entnommen habe, beabsichtigt er, von der Terrasse auf der Nordseite des Gebäudes so im englischen Sinne Sichtschneisen wieder Richtung Monopteros oder Englischem Garten zu schlagen, die zwar im NS existiert haben, die aber schon im NS ein historisches Gartenensemble zerstört haben. Und das ist ein ganz schwieriger Punkt aus meiner Sicht.
Kassel: Da sind wir, glaube ich, auch wieder an einer Stelle, wo man ein bisschen so – ich nenne das so – einen historischen Mythos zerstören will, zerstören muss. Ich habe immer wieder gelesen, dass Paul-Ludwig Troost, der Architekt dieses damaligen Hauses der Deutschen Kunst, heute der Kunst, dass der Hitler ausgeredet habe, ein noch größeres Ensemble zu bauen, mit der Begründung, das würde den Englischen Garten zerstören. Ist das tatsächlich so gewesen?
Lauterbach: Ja, das weiß eben keiner so genau. Diese Aussage wird kolportiert von einem anderen Autor. Das ist leider, muss man sagen, archivarisch nicht belegt. Der einzige Protest, der wirklich auch belegt ist, war der einer völlig unbeteiligten Dame, einer Musikwissenschaftlerin, die es wirklich wagte, in dieser gleichgeschalteten Zeit eben zu schreiben und zu sagen, der Englische Garten wird da empfindlich gestört und ein großer Teil zerstört, also ein ganzes Wiesental, das damals eben Teil der originalen Anlage war, die wagte es, das zu äußern. Und Troost hat selbst immer am Englischen Garten gewohnt. Der kannte den natürlich, und soll eben was dagegen gesagt haben. Das wäre natürlich – wenn es so ist, dann hat er da was Gutes getan.
Auch das Zentralinstitut für Kunstgeschichte ist ein Troost-Bau
Kassel: Und es wäre vielleicht ein zusätzlicher Grund, auch heute vorsichtig mit dem Englischen Garten und wie er mit diesem Gebäude korrespondiert, umzugehen. Aber ich spüre das so ein bisschen von Ihnen, Frau Lauterbach, vielleicht ist es falsch, deshalb frage ich nach: Sind Sie nicht eigentlich auch der Meinung, man muss die rein architektonische Diskussion darüber, was macht Sinn, was macht auch – wir haben über Verkehrsführung ja sogar gesprochen – im Münchener Stadtbild bei diesem Gebäude Sinn, doch ein bisschen von der historischen trennen? Man muss es doch schaffen – aber ich glaube, das hat man die letzten Jahrzehnte geschafft –, dieses Gebäude modern und neu zu nutzen, ohne seine Vergangenheit zu vergessen.
Lauterbach: Ja, so sehe ich das auch. Ich sehe das nicht so. Ich finde, man kann, man muss sich immer der Geschichte des Gebäudes bewusst sein. Dann kann man in einem immer wieder neuen, kritischen, offenen, öffentlichen und vor allem nicht-affirmativen Umgang mit diesen NS-Gebäuden leben. Das müssen wir ja, wir müssen ja damit umgehen. Ich selbst arbeite im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, das seit 1946 – da war ich allerdings noch nicht da – eben auch in einem Troost-Bau am Königsplatz seinen Sitz hat. Und insofern weiß ich, dass man sehr wohl hier alltäglich reingehen kann, ohne nun zum Nazi zu werden.
Und interessanterweise ist eine solche Debatte, was unsere Troost-Gebäude am Königsplatz angeht, auch bei Weitem nicht so heftig geführt wie am Haus der Kunst. Diese Freilegung zum Stadtraum hin, die sicher den größten Protest bisher hervorgerufen hat, das hat natürlich auch seine guten Gründe, weil schon damals das Haus der Deutschen Kunst einen Grünzug Münchens an der Prinzregentenstraße zerstört hat. Und das kann man natürlich – aus meiner Sicht – heute nicht erneut herbeiführen, indem man sagt, nun direkt am Altstadtring, an diesem Krater, da entfernen wir die Baumreihe, also die Hälfte einer Allee, damit man das Haus der Kunst besser sieht. Das ist in der Tat eine Wiederherstellung einer solchen Situation, die damals dazu diente, dass dieses Gebäude eben wie ein Kunsttempel erhöht zur Adoration präsentiert wurde, im Stadtraum.
Kassel: Frau Lauterbach, ich würde mal sagen, so weit für heute, denn ich glaube, diese Debatte zwischen uns oder anderen ist noch nicht beendet. Es gibt einen guten Grund, heute darüber zu reden, aber der Umbau hat ja noch gar nicht begonnen. Im Moment diskutieren wir noch recht theoretisch.
Lauterbach: Ganz genau.
Kassel: Da wird noch eine Menge passieren. Ich danke Ihnen sehr für heute!
Lauterbach: Danke schön, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.