Zugeparkte Straßen zu lebenswerten Orten machen
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Die Mieten steigen, die Städte werden voller. Umso wichtiger sind Orte, die allen gehören. Doch der öffentliche urbane Raum ist gerne mal voller Autos – oder wenig einladend gestaltet. Es gibt aber Ideen und Möglichkeiten, das zu ändern.
Die Odenwaldstraße in Berlin-Friedenau. Eine ruhige Wohngegend, besonders in den Sommerferien. Fünfstöckige Gründerzeithäuser, dicht bebaut. Die parkenden Autos rechts und links nehmen zwei Drittel der Straßenbreite ein. Vor zwei Jahren ist Joachim Bühler mit seiner Familie hierher gezogen. Wie sein Kiez ohne Autos aussehen könnte, hat er bislang nur auf historischen Fotos gesehen.
"Die zeigen natürlich ein ganz anderes Straßenbild und ein ganz andere Stadtbild", so Bühler. Er würde sich freuen, wenn seine zwei Kinder auch auf der Straße spielen könnten. Doch da stehen die Autos – auch sein eigenes. Sie sind in den letzten Jahren merklich größer geworden. Wenn rechts und links ein SUV steht, passt in der Mitte nur noch ein Kleinwagen durch.
Die Autos seien ein permanentes Thema. "Wir müssen unheimlich aufpassen, dass man sicher über die Straße kommt", sagt der Familienvater. Natürlich schränke das alles den Spielraum der Kinder maßgeblich ein. Wenn hier keine Autos wären? "Das wäre für die ein kleines Paradies." Doch in dem stehen die meiste Zeit Fahrzeuge. Im Durchschnitt wird ein Auto in der Großstadt nur eine Stunde lang am Tag bewegt – 23 Stunden lang nimmt es Platz weg und blockiert den öffentlichen Raum.
Hohe Mieten – billige Parkplätze
Dafür, dass Joachim Bühler sein Auto auf der Straße vor seiner Wohnung parken darf, zahlt er als Anwohner umgerechnet 5,5 Cent. Nicht in der Stunde. Pro Tag. Er hat nachgerechnet und festgestellt: Für zwei Jahre kostet der Anwohnerparkausweis in seinem Stadtteil rund 40 Euro. Dafür kann er öffentlichen Raum belegen – etwa zehn Quadratmeter.
"Wenn ich sehe, wie hoch hier die Mieten sind, dann ist das Verhältnis natürlich völlig aus dem Ruder gelaufen", so Bühler. Er wäre bereit, mehr zu zahlen für seinen Parkplatz. Denn deutlich höhere Parkgebühren könnten zu weniger Autos in der Odenwaldstraße führen und damit zu mehr Lebensqualität.
Je voller, enger und lauter es in den Großstädten wird und je dichter die Bebauung, umso lauter wird die Debatte um den öffentlichen Raum – in den politischen Stiftungen ist sie längst angekommen. "Wie viel Platz hat eine Gesellschaft, sich zu begegnen? Wo kommt Gesellschaft zusammen?", formuliert Peter Siller die Frage. Der Jurist, Philosoph und Wissenschaftsmanager leitet die Inlandsabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung. Vor kurzem lud die Grünen-nahe Stiftung zu einer Konferenz über den bedrohten öffentlichen Raum ein.
Gerade in Ballungszentren und im urbanen Raum sei eine Privatisierung des öffentlichen Raums zu erleben. Sie führe dazu, dass der zunehmend verschwindet. "Man sieht in Städten wie New York oder London, wohin uns das führt", so Siller. Dort gebe es quasi keine öffentlichen Orte des Zusammenlebens mehr.
Shoppen statt flanieren
Vielleicht ein Vorbote dieser zunehmenden Privatisierung öffentlicher Räume ist das Areal rund um den Potsdamer Platz in Berlin. Vierspurig tost der Autoverkehr über den Leipziger Platz, Fußgänger – darunter viele Touristen – werden auf der einen Seite von Autos bedrängt, auf der anderen Seite laufen sie an der abweisenden Außenfassade einer Shoppingmall vorbei. Ein gemütliches Flanieren ist hier nicht möglich, die Auslagen der Geschäfte kann nur derjenige betrachten, der in die "Mall of Berlin" hinein geht.
"Wenn man hier entlang geht merkt man, es ist nicht interessant", sagt Uta Bauer vom Deutschen Institut für Urbanistik. Das Einkaufzentrum als monofunktionales Gebäude: Den Betreibern und Investoren dieser Malls komme ein nicht einladender öffentlicher Raum entgegen. Wirkt die Umgebung abweisend, zieht es die Menschen automatisch in die gleichbleibend klimatisierte Shoppingmall, die zusätzlich kostenloses WLAN verspricht.
Und: Je länger sich eine Person in einer Mall aufhält, umso eher wird sie dort Geld ausgeben. Die Bürger werden zu Konsumenten. Mobilitätsforscherin Bauer nennt den Leipziger Platz eine Fehlplanung: "Das ist verdreckt, es gibt keine Mülleimer, es lädt überhaupt nicht dazu ein, sich aufzuhalten", so die Mobilitätsforscherin. Sie deutet auf ein paar Jugendliche, die auf den Randsteinen sitzen. "Ältere Leute brauchen eine Lehne, um sich hinzusetzen." Sie fehlt. Der Platz sei "nicht durchdacht".
Renaissance der Eckkneipe?
Immer mehr Großstadtbewohner leben in Single-Haushalten, die Digitalisierung schreitet voran. Beides führt zu einer zunehmenden Vereinzelung. Deshalb seien gut gestaltete, öffentliche Räume ohne Zwang zum Konsum wichtiger denn je, sagt Bauer. Es müsse wieder mehr Räume in der Stadt geben, wo sich Menschen begegnen können.
Doch das Beispiel des vernachlässigten, schlecht gestalteten Leipziger Platzes in Berlin zeigt: Öffentlicher Raum ist nicht per se positiv, privater nicht per se negativ für das gesellschaftliche Leben, sagt Peter Siller von der Heinrich-Böll-Stiftung und nennt als Beispiel eine Eckkneipe. Da versammle sich die Gesellschaft im nicht staatlichen Raum. Er nennt das "öffentliche Gewährleistung" und meint damit, dass der Staat die öffentliche Infrastruktur finanziert. Die müsse aber auch die nötige "Qualität und die Inklusivität" haben. Beides zu gewährleisten sei von zentraler Bedeutung.
In München etwa funktioniere das, so Mobilitätsforscherin Uta Bauer. Die bayerische Landeshauptstadt hat einige Straßen in sogenannte Sommerstraßen verwandelt. Der Autoverkehr wird dort zeitweise verbannt, die Straße wird so wieder zum Lebens- und Begegnungsraum für alle. Auch der Nauener Platz im Berliner Stadtteil Wedding sei geglückt.
Hohe Hecken verwandeln den Platz in einen Rückzugsraum. und lassen den Verkehrslärm draußen. Eine große Sandfläche lädt Kinder ein, barfuß zu spielen. Einige Bänke an den Rändern haben hohe Rücken- und Seitenlehnen – dort fühlen sich auch Ältere und Schwächere wohl. Eine Einladung an alle, keiner wird ausgegrenzt, niemand muss konsumieren. Funktionierender öffentlicher Raum.