Debatte um Rückgabe von Kulturgütern

Wem gehört der Dino?

29:56 Minuten
Erica Mela und Frank James Wajega vor dem Skelett des Dinosauriers im Naturkundemuseum.
Erica Mela und Frank James Wajega im Lichthof des Naturkundemuseums Berlin. © Eberhard Schade
Von Eberhard Schade |
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Zwei junge Wissenschaftler aus Tansania arbeiten drei Monate im Museum für Naturkunde in Berlin. Dort lagern viele Knochen aus ihrer Heimat. Der Besuch fällt in eine Zeit, in der in Deutschland über die Rückgabe von Kulturgütern debattiert wird.
"Die Entstehung des Dinosauriers, das, was man heute im Naturkundemuseum sieht, ist ein Vorgang, der in Deutschland mithilfe der westlichen Wissenschaft seit 1906 kontinuierlich betrieben wird", sagt Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin.
"Das heißt, die ganze Arbeit, das Präparieren eines Knochens, 450 Stunden pro Knochen, ist als kulturelle, als wissenschaftliche-kulturelle Leistung in Deutschland passiert. Dass man eine relativ gute Rekonstruktion, wie dieses Ding hätte aussehen können, jetzt im Berliner Naturkundemuseum sieht, sind alles Ausflüsse einer hauptsächlich vom Westen gemachten, in der westlichen Tradition stehenden naturwissenschaftlichen Forschung, die ich auch als Teil der Kultur Deutschlands annehmen würde."
Der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin ist Hüter des Brachiosaurus Brancai, des wohl berühmtesten Dinosaurierskeletts auf der Welt, und seit Jahrzehnten Publikumsmagnet im Naturkundemuseum.

"Niemand bestreitet, wem die Knochen gehören"

Sein Kollege Audax Mabulla leitet ebenfalls ein Museum, es ist das Nationalmuseum von Tansania. Und das könnte so einen Star wie den Dino in Berlin gut gebrauchen. Mabulla hätte den Brachiosaurus gern:
"Niemand bestreitet Deutschlands Verdienste. Auf wissenschaftlichem Gebiet, die ökonomischen Bemühungen das Skelett zu erhalten, zu präparieren und aufzustellen – aber niemand bestreitet auch, wem die Knochen gehören, nämlich Tansania. Und wir alle wissen doch, dass alles, was einem Land gehört, diesem Land auch zusteht. Wir können da verschiedener Meinung sein – am Ende aber gehört dieses Weltkulturerbe dem Land, wo es herstammt, und das ist Tansania."


Was nun, Dino? Wohin gehört er denn nun? Nach Deutschland oder Tansania? Einer Antwort auf diese Frage möchte ich mich annähern – und da passt es gut, dass im Sommer 2019 zwei junge Tansanier als Trainees im Naturkundemuseum in Berlin sind, Erica und Frank.

Für Frank erfüllt sich ein Traum

Erica Mela ist 24 Jahre alt, hat einen Bachelor in Denkmalpflege und Kulturmanagement. Seit 2017 arbeitet sie als Freiwillige im Nationalmuseum von Tansania in Daressalam. Frank James Wajega hat schon ein Diplom als Kulturwirt und setzt jetzt noch einen Abschluss in Tourismusmanagement oben drauf. Er ist 33 Jahre alt. Drei Monate lang gehen beide Tag für Tag im Lichthof des Berliner Museums an dem 13 Meter großen Dino vorbei, dessen Knochen aus ihrer Heimat stammen. Für Frank ein Traum:
"Ich habe schon vor langer Zeit sehr viel gelesen über das Museum für Naturkunde und habe davon geträumt, einmal hierher zu kommen. Weil es sehr viele Sammlungen aus Tansania gibt, die hier in Berlin gezeigt werden und weil es eines der größten und wichtigsten Museen in Europa ist."
Die beiden tansanischen Trainees Erica Mela und Frank James Wajega vor dem Haupteingang des Naturkundemuseums.
Die beiden tansanischen Trainees Erica Mela und Frank James Wajega vor dem Haupteingang des Naturkundemuseums. © Eberhard Schade
Frank will so viel wie möglich lernen, genauso wie Erica:
"Ich will wissen, wie sie hier Ausstellungen vorbereiten, welche Schwerpunkte sie setzen. Daneben interessiert mich vor allem die Arbeit der Paläontologen, wie sie die Fossilien präparieren, die direkt von der Ausgrabungsstätte kommen. Das sind die zwei Dinge, die mich am meisten interessieren und die ich zu Hause meinen Kollegen zeigen möchte, damit auch unser Museum davon profitiert."

Sind Knochen ein Kulturgut?

Im Keller des Naturkundemuseums Berlin lagern noch Tausende weitere Fossilien. Gefunden und ausgegraben in Ericas und Franks Heimat Tansania. Ich bin gespannt, ob die beiden sich mit der Debatte befassen, die der französische Präsident Emmanuel Macron 2017 angestoßen hat. Kulturgüter aus der Kolonialzeit sollten zurückgegeben werden, so sein Vorstoß. Gehören die Knochen des großen Dinos dazu? Sind Knochen überhaupt ein Kulturgut wie eine Bronzestatue, eine Maske oder ein Thron?
Ich treffe Erica und Frank das erste Mal kurz nach Franks Ankunft. Da sind beide Feuer und Flamme für ein konkretes Projekt. Sie wollen eine Wanderausstellung des Naturkundemuseums in Daressalam zeigen. Eine Ausstellung über Parasiten.
Die Ausstellung lässt sich in kurzer Zeit auf- und abbauen, wurde schon bis nach Australien verschickt. Nun also Daressalam. Das zu organisieren sei viel schwieriger, als man denkt, sagt Erica. Das Museum in Daressalam ist überall offen, die Räume sind kleiner und nicht klimatisiert.

Schnelle Antworten aus Tansania

Zuerst müssen Texte von Muttersprachlern ins Suhaeli übersetzt werden. Dann muss das Museum in Tansania die Übersetzungen prüfen. Danach erst wird verpackt, verschifft und verzollt. Erica und Frank sitzen in den nächsten Wochen ständig vor einer großen Excel-Tabelle, schieben Daten und Fristen hin und her.
Frank wirkt dabei entspannt, Erica dagegen nervös. Sie weiß: Wenn es irgendwo hakt und keine schnellen Antworten aus Afrika kommen, könnte es am Ende ganz schön eng werden. Wohin der Dino gehört – nach Berlin oder Tansania – über diese Frage machen sich die beiden gerade keine Gedanken.
Frank steht im Lichthof des Museums vor dem Dino-Skelett.
Frank James Wajega vor dem weltberühmten Dino-Skelett in Berlin.© Eberhard Schade
"Es ist das größte montierte Dinosaurier-Skelett der Welt, es hat sogar eine Auszeichnung vom Guinness Buch der Rekorde!"
Frank platzt fast vor Stolz, als ich ihn bei meinem nächsten Besuch bitte, mir sein ganz persönliches Highlight im Museum für Naturkunde zu zeigen. Und steuert wie von selbst direkt zu dem über 13 Meter hohen Publikumsmagneten im Lichthof.
Er weiß alles über den Fund des Brachiosaurus brancai. Weiß, dass der deutsche Ingenieur Bernhard Wilhelm Sattler eigentlich nach Bodenschätzen gesucht hat, als er sprichwörtlich über die alten Dinoknochen gestolpert ist.

"Eine tolle Werbung für Tansania"

"Und das war natürlich sehr aufregend für mich, ein Skelett aus Tansania zu sehen, dass sogar einen Weltrekord innehat. So ein reiches Land sind wir, dass wir so ein wichtiges Fossil besitzen."
"Aber ihr besitzt es doch gar nicht", sage ich. Das Dino-Skelett steht doch hier, in Berlin. Frank lächelt. Er hat damit offenbar gar kein Problem. Im Gegenteil:
"Ich glaube, dass die Art wie es hier ausgestellt ist, sehr viele Besucher anlockt. Hier ist es einer Weltöffentlichkeit zugänglich – als Weltkulturerbe. Und deshalb denke ich manchmal, dass es ein Vorteil ist, dass es hier ausgestellt ist, weil es eine tolle Werbung für unser Land ist – auch wenn andere Stimmen sagen: Wir möchten es zurückhaben."
Er geht sogar noch weiter und lobt den deutschen Ingenieur Wilhelm Sattler für das, was andere als Raub und Plünderung bezeichnen.
Steppe mit einem aufgebahrten fossilen Knochen von beeindruckender Größe.
Das Schulterblatt eines Dinosauriers, gehoben von der Tendaguru-Expedition im Jahr 1925.© imago/United Archives International
"Es war ein Glück, dass er die Proben zur Untersuchung nach Deutschland gebracht hat. Denn danach gab es grünes Licht für die große Expedition nach Tendaguru, die so eine bedeutende Sammlung hervorgebracht hat."
Frank will weiter, mir unbedingt noch etwas anderes zeigen.
"Als ich zum ersten Mal durch die Ausstellung ging, wusste ich nur von den Ausstellungsstücken aus Tendaguru. Ich war deshalb total überrascht, im Lager Funde von anderen Ausgrabungsstätten zu sehen. Darunter diesen riesigen Stoßzahn des Tereke-Elefants. Den größten, den ich je gesehen habe. Ich war waoh – was macht der hier, darüber spricht kein Mensch, obwohl er einzigartig ist! Das hat mich echt überrascht."

Frank will den Stoßzahn, die Dinoknochen nicht

Elefant Regie Dietrich, linker Stoßzahn, 3, 25 Meter lang. Fundort: Oldowai Schlucht in Tansania. Der Zahn des Altelefanten aus Ostafrika steht etwas versteckt im Durchgangsbereich zum Lichthof. Frank weiß, dass das National Museum in Daressalam von diesem Exemplar hier in Berlin sicher nichts weiß.
"Die Transparenz dessen, was da ist oder man glaubt zu haben, das ist extrem wichtig."
… sagt der Afrikanologe Andreas Eckert von der Berliner Humboldt-Universität. Er fordert in mit anderen Forschern und Kulturschaffenden aus mehreren afrikanischen und europäischen Ländern freien Zugang zu den Bestandslisten der öffentlichen Museen in Deutschland. Und zwar sofort! Um endlich einen Überblick darüber zu bekommen – wie genau die afrikanischen Sammlungen in deutschen Museen aussehen. Aus welchen Regionen die Objekte kommen. Und welche Arten von Objekten es sind.
"Viele in den Museen selbst wissen offenbar nicht immer, was sie haben und Afrikaner in Museen und dortigen Kultureinrichtungen haben überhaupt kein Blick dafür, was eigentlich alles in Europa liegt. Und das ist natürlich die erste Voraussetzung, um in eine Diskussion darüber zu treten, was muss wie behandelt werden und was kann gegebenenfalls zurückgegeben werden."
Der Afrikanologe Andreas Eckert in seinem Büro.
Der Afrikanologe Andreas Eckert in seinem Büro.© Eberhard Schade
Frank hätte gern den Stoßzahn zurück, die Dinoknochen nicht.
"Woran wir vielmehr interessiert sind, ist, dass mehr professionelle Ausgrabungen vor Ort stattfinden. Denn mit neuen spektakulären Funden könnten wir auf einen Schlag die Diskussion neutralisieren. So denken, glaube ich, viele meiner Kollegen in Tansania. Sie sind eher dafür, neue Ausgrabungen anzustoßen als ständig über die Rückgabe zu diskutieren."
Fast genau dasselbe sagt Johannes Vogel, der Chef des Naturkundemuseums.
"Was dort zwischen 1909 und 1913 ausgebuddelt wurde, ist nur ein unheimlich kleiner Teil eines unheimlich großen Gebietes, in dem unheimlich viele Dinosaurier liegen. Wenn die dort eine Wertschöpfung aus Dinosauriern machen wollen, dann würde ich erst einmal sagen, und das möchten die auch, dass wir uns gemeinsam darum kümmern, dort Techniker und Wissenschaftlerinnen auszubilden, um gemeinsam die Schätze dort zu heben, die natürlich da bleiben."
Doch wer weiß wie lange das dauert? Ob die Mittel dafür da sind und ob es dann tatsächlich zu so einem spektakulären Fund kommen wird? Diese Fragen stellt sich Andreas Eckert von der Berliner Humboldt-Universität.
"Deswegen würde ich sagen: Sicher, das ist ein interessanter Punkt, den muss man weiterverfolgen, aber er darf jetzt nicht dafür herhalten, damit es heißt: Und deshalb bleibt der Dino bei uns, und die Diskussion ist hier zu Ende. Wenn ihr noch mal was Tolles aus der Erde grabt, dann habt ihr doch was Schöneres. Das finde ich so ein bisschen – wie soll ich sagen – allzu sehr strategisch."

Mehr als 10.000 Fossilien aus Tansania

Michele Kaiser zeigt auf ein paar alte Schwarz-Weiß Fotos der berühmten Tendaguru-Expedition, die an einem Schrank gegenüber der Keller-Regale kleben. Wir sind in der sogenannten Knochenkammer des Naturkundemuseums, in der von kleinen Wirbeltieren bis zum Mammut und Dinosaurier Fossilien liegen – davon allein mehr als 10.000 aus Tansania. Für den Präparator: die Jobgarantie bis zur Rente.
Ein Kellerraum mit Regalen voller Fossilien.
Die Knochenkammer im Keller des Naturkundemuseums. © Eberhard Schade
"Deswegen muss ich alles auseinanderbrechen, das ist quasi bei uns das große Thema: Auseinanderbrechen, gucken was drinnen ist und am Ende zusammen kleben."
Wir sind jetzt wieder oben, im Innenhof des riesigen Museumskomplexes. Abteilung: Paläontologische Präparation. Überall Mikroskope, Bohrer und Sandstrahlgeräte. Michele Kaisers Arbeitsplatz. Vor ihm: der Dornfortsatz eines Dino-Wirbels. Spröder, weicher Knochen.
"Man holt ja nicht einfach Knochen aus dem Boden und die sind fertig, sondern es fängt ja schon bei der Präparation an, die Monate dauert. Es hört bei der Restauration auf. Wenn man sich das Klima da vorstellt, wie warm das ist, muss man schauen: Kleber binden bei Wärme schneller ab. Das Handling muss man haben. Feuchtigkeit, Wärme, Kälte nachts. Die Lagerung ist wichtig. Und wenn die Knochen da über Jahre liegen, muss man immer drüber gucken. Es ist ein riesiger Apparat, den man da zu beachten hat."
Erica, die sich ja so auf die Paläontologie gefreut hatte, ist superglücklich, sagt sie, für ein paar Wochen Teil dieses Prozesses sein zu können.

Echte Handarbeit am Dinoknochen

"Denn der andere Saurier steht ja schon in der Halle, jetzt aber weiß ich, wie die einzelnen Knochen vorher präpariert wurden. Wie jeder einzelne gereinigt wird, Sedimente weggefräst werden. Wie lange dieser Prozess dauert und wie sehr man sich dabei konzentrieren muss, um keine Details zu zerstören. Alles sehr wissenschaftlich und professionell."
Zwei Hände halten einen alten Knochen.
Brechen und Kleben: Arbeit am Knochen in der Paläontologie.© Eberhard Schade
Zwei Wochen keine Excel-Tabelle, kein Hinterhersein hinter irgendwelchen Fristen für die Parasitenausstellung. Sondern "hands on", echte Handarbeit am Dinoknochen. Und wie fühlt sich das hier für sie an inmitten all der Knochen aus ihrer Heimat?
"Die ganze Debatte um die Rückgabe der Dinosaurier ist ja in Tansania noch nicht sehr alt. Diejenigen, die die Knochen ausgebuddelt und verschifft haben, wussten ja nicht, was für ein bedeutender Fund das ist. Jetzt aber, inmitten der Diskussion, sagen plötzlich viele: Das wäre doch toll, wenn wir das Skelett hier hätten, es hier, in Daressalam ausstellen könnten."
Sie ist froh, das nicht entscheiden zu müssen.
"Ich glaube, dass das eine Debatte ist, die auf einem anderen Level stattfinden sollte. Ich kann wirklich nicht sagen oder entscheiden, was hier und was besser in Tansania sein sollte. Auch weil ich von einigen Objekten gar nicht weiß, warum sie hier sind."

Ericas Chef will die Knochen zurück

Ericas Chef in Daressalam dagegen, Audax Mabulla, will gar nicht großartig debattieren. Er will die Knochen zurück und nicht nur das:
"Die Deutschen sollten die Bedeutung der Rückgabe dieser Kulturgüter sehen. Und nicht nur wie wichtig es ist, diese zurückzugeben, sondern Tansania auch mit den nötigen Mitteln auszustatten, diese fachgerecht zu lagern, zu präparieren und auszustellen. Und das heißt auch diese Bemühungen zu unterstützen. Ich glaube, dass jeder intelligente Deutsche das auch unterschreibt und dass es deshalb auch möglich ist."
Damit Erica die Knochen, wo auch immer, bald genauso gut wie ihr deutscher Kollege Michele Kaiser bearbeiten und präparieren kann, hat er ihr als Übung einen weicheren Gesteinsblock gegeben, aus dem einzelne Muschelrücken herausragen. Erica legt diese jetzt frei. Sitzt in einem weißen Kittel mit Schutzbrille über ein Mikroskop gebeugt und fräst geschickt die Steinüberstände ab. Danach braucht sie den Block nur noch kurz sandstrahlen - für eine schöne, glatte Oberfläche. Michele Kaiser ist beeindruckt.
Den Muschelblock darf Erica mit nach Hause, nach Tansania, nehmen. Die Dino-Knochen bleiben natürlich hier. Noch.

Spurensuche deutscher Kolonialgeschichte

Kurz nach meinem Besuch bei Erica in der Paläontologie schreibt mir Frank eine WhatsApp. Er sucht in Berlin Spuren deutscher Kolonialgeschichte. Und schreibt. "Kannst du mir sagen, wo ich das Haus der Berliner Konferenz finden kann?" "Da ist nur noch eine Gedenktafel", schreibe ich zurück. Und: "Wollen wir trotzdem hinfahren?"
Noch am selben Nachmittag irren wir an den grauen Plattenbauten der Wilhelmstraße entlang, auf der Suche nach der damaligen Hausnummer 77, dem Reichskanzlerpalais. Hierher hatte Bismarck im November 1884 fast ausschließlich europäische Mächte geladen, um mit ihnen den Handel am Kongo und Niger zu regeln. Vor der Hausnummer 92 finden wir, was wir suchen. Eine bescheidene Metalltafel erinnert an die Berliner Konferenz, besser bekannt als Kongo-Konferenz.
Die Gedenktafel der Berlin Konferenz in der Wilhelmstraße in Berlin.
Die Gedenktafel der Berlin Konferenz in der Wilhelmstraße in Berlin.© Eberhard Schade
Bismarck und die anderen Europäer handelten hier Regeln aus, wie man sich auf dem fremden Kontinent möglichst nicht in die Quere kommt, steckten so schon mal ihre Einflusssphären ab.
Für Deutschland war das Treffen die Grundlage für die Kolonien im heutigen Namibia, Kamerun, Togo und Teilen Ghanas sowie in Tansania, Ruanda und Burundi. Für die einheimische Bevölkerung bedeutete es blutige Auseinandersetzungen wie der Maji-Maji-Aufstand im späteren Tansania oder der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia.

"Geschachere um den Kontinent"

Die Gedenktafel in der Wilhelmstraße ist 2005 von Mitgliedern des Vereins Afrika Forum initiiert worden. Für sie ist die Konferenz ein Schlüsselereignis, um Kolonialismus und koloniale Gewalt zu verstehen. Ähnlich bewertet sie der Afrikanologe Andreas Eckert.
"Die Konferenz steht auch als Symbol dafür, dass Europäer über die Köpfe der Beteiligten hinweg einfach so eine Art Geschachere um den Kontinent gestartet haben, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen, dass es dort afrikanische Gesellschaften, Herrscher gibt. Personen, die da eine Art von Mitsprache hätten."
Eckert glaubt sogar, "dass sich im Grunde und im Kern an dieser Haltung bis heute nichts geändert hat und von daher steht diese Konferenz eben als zugespitzte Form eines europäischen, paternalistischen, rassistischen Denkens."
Frank liest den Text auf der Gedenktafel, nickt kurz und sagt, dass die historischen Fakten stimmen. Aber kein Wort darüber verloren wird, dass alle Teilnehmer damals getrieben waren vom Kampf um afrikanisches Kupfer, Gold und Diamanten. Auch Bernhard Sattler, der Dino-Entdecker, suchte ursprünglich nach etwas ganz anderem.

Es hakt bei den Übersetzungen

Ein paar Tage später bin ich wieder im Museum für Naturkunde, zurück an Ericas und Franks Arbeitsplatz. Erica startet ein Video, Frank kommentiert. Zu sehen ist ein im Zeitraffer geschnittener Kurzfilm über den Aufbau der Parasiten-Ausstellung in Australien. Die Wanderausstellung des Berliner Museums, die auch in Tansania zu sehen sein soll, organisiert von Erica und Frank.
Erica präsentiert ein Objekt aus der Wanderausstellung.
Erica präsentiert ein Objekt aus der Wanderausstellung. © Eberhard Schade
Frank und Erica müssen alle Objekte ideal platzieren, die Abstände müssen exakt stimmen. Doch erstmal müssen 19 Kisten eingepackt, verschifft und wieder ausgepackt werden. Gerade aber hakt es gewaltig. Bei den Übersetzungen der Texte. Die sind beim Fehlerlesen durchgefallen. Wertvolle Zeit, die verloren geht.
Jetzt aber müssen Erica und Frank los. In eine Besprechung mit Linda Gallé, einer Kuratorin und Uwe Moldrzyk, dem Ausstellungsleiter des Museums für Naturkunde. Ich denke, wir sprechen gleich über die Probleme bei der Parasitenausstellung.
Erklärungen auf Suaheli und Englisch, findet Erica unverzichtbar, sagt sie. Uwe Moldrzyk nickt. Am Ende der Ausstellung wünscht sich Erica dann ein Video, das vermittelt, was die Paläontologen alles noch wissen wollen über Dinos.

Eine Dino-Kopie für Tansania

Ich stutze kurz, traue meinen Ohren nicht. Es geht hier gar nicht um von Parasiten befallene Schafe, sondern um den Brachiosaurus? Den Dino - ausgestellt in Tansania?!
Moldrzyk nickt und sagt, dass man heutzutage die Originalknochen der Dinosaurier scannen, modellieren und dann in 3-D ausdrucken kann. Und weil es keine Möglichkeit gibt, das Skelett eines Brachiosaurus drinnen aufzustellen, muss jetzt ein Plan für draußen her.
Sie fangen an mit einer Kopie draußen. Sobald sie in Tansania mehr Knochen finden und diese vor Ort entsprechend präparieren können, könnte man die künstlichen gegen echte Knochen austauschen. Um am Ende ein Modell wie in Berlin zu haben. Nur: moderner, neuer und mit einem direkten Bezug zu Land und Leuten.
Ein Garten mit einem großen Lebensbaum in der Mitte im tansanischen Dar es Salaam.
Im Garten des Nationalmuseums in Dar es Salaam wäre genügend Platz für eine Dino-Replik. © Eberhard Schade
Erica und Frank nicken ungläubig. Obwohl sie natürlich schon länger als ich von diesen Plänen wissen. "Bis zu diesem Augenblick hätte ich mir das nie erträumt. Ich bin sehr aufgeregt und freue mich wahnsinnig auf alles, was jetzt noch kommt." Auch ich bin baff und dachte, ich würde in dem Meeting mit Erica, Frank und den Kuratoren über Exceltabellen brüten – und jetzt das!

Deutsches Kanonengeschütz am Eingang

Am Eingang des National Museums von Daressalam begrüßt mich ein deutsches Kanonengeschütz. Es ist erst 13.54 Uhr, bemerkt die Assistentin. Ich bin zu früh. Sekunden später aber steht Audax Mabulla vor mir. Ein freundlicher älterer Herr im traditionellen afrikanischen Dashiki-Hemd. Er begrüßt mich sehr herzlich und fragt, ob wir unser Interview um ein paar Stunden verschieben können. Er müsse in ein wichtiges Meeting. Um die Zeit zu nutzen, soll mich ein Kollege von Erica durchs Museum führen.
Natürlich wollte ich hier in Dar Es Salaam eigentlich Erica treffen, doch sie hat gestern Abend in letzter Sekunde abgesagt, weil ihr Onkel gestorben ist. Und Frank, der im Norden Tansanias arbeitet, hat keine Reiseerlaubnis bekommen. Mit ihm bin ich später am Telefon verabredet. Nun also Angelo. Konservator. Er beginnt seine Tour vor dem Eingang zum Hauptgebäude, einem weißen Flachbau mit maurischem Eingangsportal.
Der Eingangsbereich des Nationalmuseums in Daressalam, Tansania.
Der Eingangsbereich des Nationalmuseums in Daressalam, Tansania.© imago / Xinhua
Weil das Dach kaputt ist und es reinregnet, ist drinnen momentan nichts zu sehen. Alle Ausstellungsstücke sind notdürftig woanders eingelagert. Gegenüber, im lichten Anbau des Museums: drei Ausstellungen, die nichts miteinander zu tun haben. Die über die Kolonialgeschichte zeigt vor allem schwarz-seiß Bilder von aufständischen Sklaven und Häuptlingen, die hingerichtet wurden.

Kaum Besucher im Museum

Ein kurzer Exkurs zur britischen Kolonialherrschaft - und dann ist man auch schon bei Julius Nyerere, der Tansania 1961 in die Unabhängigkeit führte und das Land jahrzehntelang nach sozialistischem Muster regiert hat. Und den alle hier nur den "Vater der Nation" nennen. Besucher gibt es kaum.
Immer wieder zieht es mich in den großen, wunderschönen Garten des Museums, in dessen Mitte ein über hundert Jahre alter indischer Lebensbaum in den Himmel ragt. Hier also könnte die Kopie des Brachiosaurus eines Tages stehen.
"Würden das Skelett viele Besucher anlocken?"
"Ja."
"Nicht nur Touristen?"
"Nein, auch Tansanier. Weil es eine wirkliche Attraktion wäre, auf die sie gewartet haben."
"Sicher, dass sie darauf gewartet haben?"
"Ja."
"Es gibt also ein großes öffentliches Interesse?"
"Ja, das gibt es."
Und was sagt sein Chef?
Audax Mabulla geht noch weiter. Er will früher oder später auch die Original-Knochen zurückhaben.
Der Direktor des Nationalmuseums von Tansania sitzt an seinem Schreibtisch.
Audax Mabulla, Direktor des Nationalmuseums von Tansania, in seinem Büro.© Eberhard Schade
"Es ist die Absicht der Politiker, dieses Landes sicherzustellen, dass wir unser Kulturerbe ins Land zurückzuholen. Den Dinosaurier eingeschlossen. Genauso wie andere Objekte aus dem Ethnologischen Museum in Berlin. Wir wissen doch alle, dass einige dieser Objekte gestohlen, geplündert, illegal gehandelt wurden und in welche Länder dieses kulturelle Erbe eigentlich gehört."

Wohin gehört ein Weltobjekt?

Johannes Vogel, der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, sagt dagegen, der Brachiosaurus gehöre der Welt. Und: Wer hat nun recht?
"Mit der Erklärung, das gehört sozusagen der Welt – das mag schon sein, nur die Tatsache, dass es eben in Europa ausgestellt ist und nicht in Afrika, wirft natürlich durchaus Fragen auf. Viele Afrikaner sagen natürlich, das ist ja alles schön und gut, aber wir haben dadurch keinen Zugang, weil wir uns das in der Regel nicht leisten können, nach Berlin zu jetten, um uns das anzuschauen. Es muss irgendwie auch für uns zugänglich sein."
Der Afrikanologe Andreas Eckert findet: Ein Weltobjekt muss auch hinaus in die Welt gehen. Und nicht die Welt zu sich kommen lassen. Die Idee mit der Kopie findet er gut.
"Ich denke, das wäre eine gar nicht so schlechte Lösung. Auch, weil es wichtig ist festzuhalten, dass diese Objekte durch die Reise, die sie gemacht haben auch transformiert worden sind. Also die Idee, es ist etwas weggenommen worden und nach 100 Jahren bringt man es wieder zurück und es ist dasselbe, ist ja aus historischer Sicht gesehen Quatsch. Die Reise hat ja diese Dinge verändert und zurückkommen würde ja ein ganz anderes Objekt mit einer ganz anderen Geschichte. Von daher ist das als Kompromiss durchaus eine vernünftige Alternative."
Allerdings nur unter der Bedingung, dass es danach von deutscher Seite nicht heißt: Mehr kriegt ihr nicht, seid froh, dass ihr wenigstens die Kopie habt.
Der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, Prof. Johannes Vogel
Der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, Prof. Johannes Vogel© picture alliance / dpa / Naturkundemuseum
Und wann geht der erste Dino nun auf Reisen? Da halten sich beide Direktoren, Audax Mabulla aus Daressalam und Johannes Vogel aus Berlin, bedeckt.
"Also, ob die Dinosaurier zurückgegeben werden oder nicht, liegt nicht an mir. Das ist eine politische Entscheidung am Ende."
Vielleicht zögern beide ja auch, weil die Parasiten-Ausstellung für Daressalam, an der Erica und Frank so akribisch gearbeitet haben, am Ende abgesagt werden musste. Eine Enttäuschung, klar. Aber die Kommunikation zwischen Tansania und Deutschland hat aus vielen Gründen nicht funktioniert. Daran konnten auch Erica und Frank, die quasi als Brückenbauer in Berlin waren, nichts ändern. Trotzdem wollen beide Museen kräftig weiter kooperieren.
Frank jedenfalls ist optimistisch. Dass ein Dino bald nach Tansania kommt, egal wem der nun gehört. Ihn rufe ihn noch am selben Abend nach meinem Besuch im Nationalmuseum an. "Ich weiß, es wird passieren. Wir wissen nicht exakt wann, aber er wird kommen. Und ich schätze noch in 2020."

Die Reportage wurde erstmals am 12. Januar 2020 gesendet.
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