"Das ist politische Rhetorik"
Der Strafrechtler Kai Ambos hält die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei für wenig wahrscheinlich. Dabei gebe es erhebliche rechtliche Probleme: Die Türkei sei an die Zusatzprotokolle der Europäischen Menschenrechtskonvention gebunden.
Der Jurist Kai Ambos, Professor für Internationales Strafrecht in Göttingen, sieht erhebliche rechtliche Probleme bei der Umsetzung der Forderung von türkischen Politikern nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei.
Bei solchen Debatten jenseits des Völkerrechts handele es sich meistens um "reine Rhetorik", sagte Ambos im Deutschlandradio Kultur: "Deshalb glaube ich auch, dass daraus nichts werden wird." Die Türkei müsse zu diesem Zweck erhebliche juristische Schritte einleiten, die das Land im europäischen Bereich und als Mitglied des Europarats noch weiter isolieren würden.
Verbindlichkeit der Zusatzprotokolle der Europäischen Menschenrechtskonvention
Ambos verwies darauf, dass die Türkei entsprechend den von ihr unterzeichneten Zusatzprotokollen zur Europäischen Menschenrechtskonvention daran gebunden sei, die Todesstrafe nicht anzuwenden. Er betonte die Verbindlichkeit dieser Zusatzprotokolle:
"Von diesen Zusatzprotokollen kann man eigentlich gar nicht zurücktreten. Da müsste man schon von der Europäischen Menschenrechtskonvention als Ganzes zurück treten. Und das erscheint mir doch sehr schwierig vorstellbar, dass die Türkei das machen würde."
Mögliche Maßnahmen des Europarats
Auf juristische Umsetzungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe könnte der Europarat dann nur mit dem Ausschluss der Türkei reagieren, sagte Ambos. Diese Organisation überwache die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, so wie es auch im Fall von Russland geschehen sei:
"Da wurden ja die russischen Mitglieder aus der Europäischen Versammlung, sozusagen dem parlamentarischen Gremium des Europarats, ausgeschlossen. Das sind natürlich extreme Maßnahmen. Also zunächst einmal müsste die Türkei über die politische Rhetorik hinaus tatsächlich Schritte unternehmen, die Todesstrafe wieder einzuführen."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Kommt nach dem Putsch der Gegenputsch, der Putsch von oben? Nach dem gescheiterten Aufstand von Teilen des Militärs ist das die Sorge. Und Anlässe liefern Präsident Erdogan und seine Regierung in großer Zahl. 6.000 Menschen wurden festgenommen, Militärangehörige, Richter und Staatsanwälte, alle unter dem Verdacht, am Putsch beteiligt gewesen zu sein. Eine Behauptung, an der Menschenrechtsorganisationen ihre Zweifel haben. In der aufgeheizten Atmosphäre erwägt die Regierung, die allerhöchste aller Strafen wieder einzuführen, die Todesstrafe. Ministerpräsident Yildirim will diesen Schritt prüfen, das hat er angekündigt, und das wollen wir in gewisser Weise auch tun, mit Kai Ambos, Professor für Internationales Strafrecht in Göttingen. Einen schönen guten Morgen!
Kai Ambos: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Ambos, die Todesstrafe einführen, wiedereinführen, geht das so einfach?
Ambos: Im Fall der Türkei wird das sehr schwierig, denn die Türkei ist nach europäischem Recht, genau nach dem Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtkonvention - da gibt es zwei Zusatzprotokolle - gebunden, die Todesstrafe nicht anzuwenden. Da gibt es insbesondere ein Zusatzprotokoll aus 2006, das absolut verbietet, die Todesstrafe anzuwenden, und das hat die Türkei auch ratifiziert.
Und von diesen Zusatzprotokollen kann man eigentlich gar nicht zurücktreten. Da müsste man schon von der Europäischen Menschenrechtskonvention als Ganzes zurücktreten, und das scheint mir doch sehr schwierig vorstellbar, dass die Türkei das machen würde.
Frenzel: Kritik kommt ja auch vom Europarat, heute in den Nachrichten schon gehört, der diese Überlegungen scharf kritisiert. Was wäre denn da die schärfste Konsequenz des Europarates? Der Ausschluss der Türkei?
"Die Türkei müsste sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zurück ziehen"
Ambos: Genau. Das ist auch die Konsequenz. Der Europarat ist ja die Organisation, die die Eropäische Menschenrechtskonvention quasi überwacht. Das wäre möglich. Wir hatten ja den Fall mit Russland, da wurden ja die russischen Mitglieder aus der Europäischen Versammlung, sozusagen dem Parlamentarischen Gremium des Europarats ausgeschlossen. Das sind natürlich extreme Maßnahmen.
Also zunächst mal müsste die Türkei über die politische Rhetorik hinaus tatsächlich Schritte unternehmen, um die Todesstrafe wiedereinzuführen. Da müsste sie eben sich zurückziehen von der Konvention, und das kann sie sich politisch eigentlich nicht leisten.
Ist das rhetorisches Säbelrasseln?
Frenzel: Sie sagen politische Rhetorik, sie kann es sich nicht leisten. Wie ernst müssen wir denn diese Debatte nehmen in der Türkei? Ist das im Moment vielleicht vor allem ein rhetorisches Säbelrasseln?
Ambos: Wie oft bei solchen Debatten, die jenseits des Völkerrechts oder des Europarechts oder des Rechts überhaupt geführt werden, geht es da um reine Rhetorik. Und es bleibt eben bei solcher Rhetorik, deswegen glaube ich auch, dass daraus dann nichts werden wird, weil die juristischen Konsequenzen, juristischen Schritten, die man gehen müsste, erhebliche Schritte sein würden, die Türkei im europäischen Bereich als Mitglied eben des Europarats, den man ja von der Europäischen Union unterscheiden muss, noch weiter isolieren würde.
Nur, um das noch mal zu verdeutlichen: Der einzige Staat, der diese Zusatzprotokolle nicht ratifiziert hat, ist Russland. Sonst alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarats.
Der Hang der Türkei zur Isolierung
Frenzel: Nun erleben wir ja aber auch mit der Türkei in den letzten Monaten, Jahren, muss man fast schon sagen, einen Hang, eine Tendenz zur Isolierung, zur Haltung "Us ist egal, was Europa sagt". Wäre das nicht auch in diesem Fall denkbar? Ich meine, Russland, Sie haben das Beispiel genannt, existiert auch ganz gut mit dieser Distanz.
Ambos: Gut, das sind politische Fragen. Da würde ich jetzt spekulieren. Da weiß ich genauso wenig oder viel wie Sie. Da kann ich eigentlich nichts Substanzielles jetzt sagen auf die Frage. Möglich ist es, aber mir scheint es doch eher unwahrscheinlich.
Frenzel: Wir kennen die Todesstrafe ja aus anderen Ländern, aus den USA, ein ohne Frage demokratisch verfasstes Land. Bei aller Ablehnung, die wir in Europa dafür haben, eines ist ja klar: Sie ist kein politisches Mittel. Was erleben wir da in der Türkei in der Debatte? Müssen wir jetzt schon, unabhängig von der Todesstrafe, davon ausgehen, dass es politische Gefangene gibt in der Türkei?
"Die Todesstrafe ist völkerrechtlich nicht verboten"
Ambos: Das ist eine andere Frage. Die Frage politischer Gefangener hat mit der Todesstrafe eigentlich nichts zu tun. Bei der Todesstrafe geht es ja nur um die Frage, welche Strafe man eben verhängt, ob man auch die Todessstrafe anwendet, die, wie Sie zu Recht sagen, in den USA, aber auch in Ländern wie China und Indien, Philippinen jetzt wieder ganz aktuell, angewendet wird. Und eben völkerrechtlich, also weltweit nicht verboten ist, sondern nur in Europa, im europäischen Bereich. Und im amerikanischen Bereich über die interamerikanische Menschenrechtskonvention, die die USA eben nicht ratifiziert haben.
Die Todesstrafe ist, das muss man klar sagen, trotz der natürlich besonders starken Bewegung in Europa dagegen, nicht völkerrechtlich verboten. Zum Beispiel bei dem Internationalen Strafgerichtshof, wo wir ja die Todesstrafe nicht eingeführt haben, haben die Staaten deutlich gesagt, dass das nicht bedeutet, dass man jetzt die Todesstrafe völkerrechtlich ächten wolle. Also gerade mit Blick auf Staaten, die die Todesstrafe haben. Insofern ist das völkerrechtlich nicht ausgeschlossen, die Todesstrafe einzuführen. Das ist letztendlich eine innenpolitische Frage.
Frenzel: Sagt der Völkerrechtler Kai Ambos über die Diskussion in der Türkei nach dem vereitelten Putsch, Diskussionen, möglicherweise auch wieder die Todesstrafe einzuführen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.