Debatte um zu große Pegida-Nähe

"Ran an das Objekt"

Politologe Gero Neugebauer
Politologe Gero Neugebauer © picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin
Moderation: Julius Stucke |
Im Streit um eine zu große Nähe des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt zur Pegida-Bewegung widerspricht sein Kollege Gero Neugebauer den Vorwürfen. Patzelt beobachte und untersuche, meint er. Aber er sagt auch: Der Grat ist schmal.
Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hat den Vorwurf, sein Dresdner Kollege Werner Patzelt sei in der Pegida-Debatte mehr politischer Akteur als Forscher, zurückgewiesen.
"Er geht auf Demonstrationen, trägt aber kein Schild, stellt sich nicht aufs Podium, redet nicht, beobachtet. Also für mich ist er insofern kein politischer Akteur“, sagte Neugebauer am Samstag im Deutschlandradio Kultur angesichts der Kritik von Studierenden und wissenschaftlichen Kollegen am Umgang des Politikprofessors Werner Patzelt von der TU-Dresden mit dem Bündnis Pegida.

Grundsätzlich dürften auch Politikwissenschaftler sogar als politische Akteure auftreten, müssten dann allerdings deutlich machen, dass sie nicht als Hochschullehrer, sondern beispielsweise als Mitglied einer Partei oder Initiative aufträten. Grenzen überschreite ein Wissenschaftler, "wenn er in einer politischen Auseinandersetzung Partei ergreift, und zwar mit Argumenten, die er meint gewonnen zu haben aus wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Kontext aber ein anderer ist. Oder wo er meint, dass er aus Erfahrung her weiß, dass diese oder jene Position die richtige ist und die er sich dann zu eigen macht", sagte der Politikwissenschaftler, der lange Jahre am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität lehrte.
Auch Politikwissenschaftler seien nicht frei von persönlichen Interessen und Eitelkeiten
"Wissenschaft im Elfenbeinturm kann man in den Sozialwissenschaften nicht machen", erklärte Neugebauer weiter. "Da muss man ran an das Objekt.“ Anschließend gelte es aber, durch wissenschaftliche Methoden herauszufinden, welche Meinung die Untersuchten verträten. Dies gestalte sich angesichts der amorphen Haltung der Pegida-Bewegung schwierig, die "nicht auf ein eindeutiges Ziel hin" demonstriere.

In der Erforschung des Pegida-Phänomens sieht Neugebauer die Wissenschaftler auch im Dilemma von professioneller Forschung und Medieninteresse. Auch Politikwissenschaftler seien nicht frei von persönlichen Interessen und Eitelkeiten, dem Bedürfnis nach Anerkennung, "aber auch an einer Umsetzung in materielle Güter". Angesichts des großen Interesses der Medien an einer griffigen Meinung könnten Wissenschaftler dazu tendieren, "etwas gefälliger zu werden in ihren Aussagen“. Sie trügen allerdings auch das Risiko durch die Zwänge der Medienberichterstattung verkürzt oder falsch verstanden zu werden. "Dann entsteht so ein Dilemma, in dem der Kollege Patzelt, glaube ich, gerade steckt", sagte Neugebauer.
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Das Interview im Wortlaut:
Julius Stucke: Die Stimmung in Dresden ist aufgeheizt dieser Wochen und dieser Tage seit Pegida und der Ton ist manchmal rau. Er ist das gerade auch an der Dresdner Technischen Universität. Dort protestieren Studierende mit Flugblättern gegen den Politikprofessor Werner Patzelt, der viel in vielen Medien zum Thema Pegida zum Besten gegeben hat. Er sei mehr politischer Akteur als Wissenschaftler, kritisieren nun die Studierenden. Und andere Kolleginnen und Kollegen stellen sich in einem offenen Brief genommenen Werner Patzelts Aussagen. Wir haben uns in der Redaktion angesichts dieses Streits gefragt: Mal ganz unabhängig davon, ob man seine Meinung oder seine Aussagen teilt oder nicht, wie politisch darf er denn sein, der Politikwissenschaftler an sich? Und wir wollen diese Frage weitergeben an Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler und Parteienforscher, viele Jahre tätig gewesen an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Neugebauer!
Gero Neugebauer: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Erst mal, der Vorwurf der Studierenden, Patzelt sei mehr politischer Akteur als Wissenschaftler – darf er das nicht auch sein?
Neugebauer: Ist er das denn überhaupt? Er geht zur Demonstration, trägt aber kein Schild, stellt sich nicht aufs Podium, redet nicht, beobachtet ... Also, für mich ist er insofern kein politischer Akteur, wenn er auch von manchen dafür gehalten ist, weil er halt in dieser Menge steht.
Stucke: Dürfte er es denn sein?
Neugebauer: Ja, das dürfte er schon. Aber er dürfte dann möglicherweise das auch deutlich machen, dass er nicht als Hochschullehrer, Wissenschaftler auftritt, sondern eben als Parteimitglied oder Initiativenmitglied oder was auch immer. Das ist ihm unbenommen, denn er genießt den vollen Schutz und die vollen Möglichkeiten der Grundrechte.
Stucke: Kommt es denn trotzdem so ein bisschen auf den Grad an? Also in dieser Kritik, er ist mehr Akteur als Wissenschaftler, steckt ja das mehr drin. Ist dieses mehr entscheidend? Also, wenn irgendwann das politische Agieren die wissenschaftliche Arbeit überwiegt, ist es dann problematisch?
Neugebauer: Es ist dann problematisch, wenn er in einer politischen Auseinandersetzung Partei ergreift und zwar mit Argumenten, die er meint gewonnen zu haben vielleicht aus wissenschaftlichen Untersuchungen, deren sozusagen Kontext aber ein anderer ist, oder wo er meint, dass er aus Erfahrung weiß, dass diese oder jene Position die richtige ist und die er sich dann zu eigen macht. Dann überschreitet er in der Tat eine Grenze. Aber wenn er sagt, ich habe hier bestimmte Zahlen und nach diesen Zahlen und Untersuchungsergebnissen kann ich diese oder jene Position soundso einordnen, und er kommt damit möglicherweise in Gegensatz zu der herrschenden Meinung, dann ist das kein Problem, wenn jeder andere, der mit denselben Methoden und denselben Zahlen arbeitet, zu demselben Ergebnis kommt. Kommen die aber zu anderen Ergebnissen, dann ist in der Tat problematisch, wenn er dann meint, mit der wissenschaftlichen Autorität eine politische Meinung begründen zu können, ohne dass die dann wissenschaftlich hinterfragt werden darf.
Vieles liegt im Auge des Betrachters
Stucke: Wie sieht es denn mit dem konkreten Inhalt aus bei dieser Frage? Also, die Frage ist ja: Feindbildpflege zum Beispiel hat er den Gegendemonstranten, den Pegida-Gegendemonstranten vorgeworfen, damit hat er schon eine starke Meinung geäußert, war bei Demos dabei auch als Beobachter, Kritiker meinen eher, er sympathisiere mit der Bewegung. Spielt das alles eine Rolle oder spielt es erst mal keine?
Neugebauer: Das spielt schon eine Rolle. Wie will man sich davon freimachen? Wenn man ein bestimmtes Bild von jemandem hat, dann liest man die Ergebnisse, die liest man dann ja auch immer interessengeneigt. Und insofern denke ich schon, dass das ein Problem ist, wenn jemand auf Demonstrationen geht und dann sozusagen nicht deutlich machen kann, dass er eigentlich als empirischer Feldforscher teilnehmend beobachten will. Nur, das ist möglicherweise auch eine Position, die nicht so ganz ist ... Wir wissen, Wissenschaft im Elfenbeinturm kann man in den Sozialwissenschaften nicht machen, da muss man ran an das Objekt und gucken, was ist denn da los, wie kann ich es erfassen. Und dann muss man mit Methoden versuchen, das auch herauszubekommen, dass man sagen kann, ich habe hier eine bestimmte Meinung. Bei solchen amorphen Gegenständen wie der Pegida-Demonstration, die ja schwer zu erfassen ist, schon mal quantitativ und dann auch qualitativ, also, da bin ich nicht so sicher, dass das gelingen kann. Und insofern kommt man da mit bestimmten Aussagen gern hinein. Aber wenn eine Forschungsgruppe beispielsweise die Akzeptanz der Bundeswehr bei der afghanischen Bevölkerung untersucht, dann kann man der natürlich auch vorwerfen, ihr macht da vielleicht eine sozialwissenschaftlich ganz interessante Untersuchung, aber andere werden mit demselben Recht machen können, ihr untersucht eigentlich die Bedingungen, unter denen die Bundesrepublik sich am Krieg in Afghanistan beteiligt. Das liegt dann immer im Auge des Betrachters, wie er sich dann entscheidet.
Stucke: Wie schwer ist es denn eigentlich in so einer aktuellen Situation wie der gerade und, Sie sagen es, mit so etwas Amorphem wie der Pegida-Bewegung, wirklich streng wissenschaftlich zu analysieren? Oder wie viel muss auch erst mal zwangsläufig ein Versuch sein, etwas politikwissenschaftlich zu erklären?
Neugebauer: Also, der Versuch muss auf jeden Fall sein. Man kann aber auch dann ohne Probleme zugeben ... Oder man muss einfach ohne Probleme zugeben, dass es in bestimmten Sachen nicht gelingen kann. Wenn ich beispielsweise versuchen will, so eine Demonstration oder die Teilnehmer einer Demonstration, die nicht auf ein eindeutiges Ziel wie beispielsweise bei Anti-Atomkraft, Friedensbewegung oder Ähnlichem mehr hin demonstrieren, sondern sehr viel verschiedene Interessen artikulieren oder überhaupt keine Interessen, sondern einfach nur hinterherlaufen, dann ist das ein Problem. Weil, was ist denn dann bitte schön die Gesamtmenge, wie definiere ich die, wie definiere ich die Teilmengen, wie kann ich sagen, das ist tatsächlich repräsentativ, und wie viel ist dann eigentlich Zufall? Wenn ich also eine Untersuchung mache und ich will dann 1.500 Menschen ein Flugblatt geben und sagen, hier, bitte antworte mir auf Fragen, und dann sagen mir 300, du bist Lügenpresse, und 200 können vielleicht nicht das Ding verstehen und 100 schmeißen es weg und der Rest antwortet dann, und dann ... Ja, dann habe ich Antworten, aber die Antworten sind dann höchstens ein Meinungsbild, aber mehr sind die im Moment nicht. Und insofern ist das schon immer eine Frage, was mache ich dann mit Untersuchungsergebnissen, werte ich die politisch auf ... Aber Sie dürfen auch nicht vergessen, manche Wissenschaftler – und das kann man ihnen auch gar nicht vorwerfen – auf diesem Markt haben auch ein Interesse, mit ihren Ergebnissen oder mit ihrem Auftritt zu sagen, bitte schön, ich bin hier in einer bestimmten Art und Weise befasst und ich möchte dies vielleicht auch fortführen und dann könntet ihr mir vielleicht auch Projektmittel gewähren oder Ähnliches mehr. Also, auch da sind die Interessen mannigfaltig.
"Auch Medien müssen sich ja verkaufen"
Stucke: Das ist auch ein interessanter Punkt ja, das Interesse, was wir Medien haben, wir wollen ja auch immer in Talkshows, in Interviews wie diesem, in Beiträgen immer wieder die Meinung von Wissenschaftlern, von Politikwissenschaftlern haben und suchen ja gerne natürlich auch eine klare, eine griffige Meinung. Bleibt da die Wissenschaft zu oft außen vor?
Neugebauer: Wenn es darum geht, eigentlich eine vorhandene Meinung nur noch wissenschaftlich zu legitimieren, dann bleibt sie außen vor. Aber wenn es darum geht zu sagen, es gibt zu bestimmten Dingen wissenschaftliche Erkenntnisse, die stehen dann möglicherweise im Gegensatz zu politischen Interessen oder zu einer bis dahin vorherrschenden Meinung, dann ist das ganz interessant. Auch Medien müssen sich ja verkaufen, zumindest ein relativ großer Teil. Und wenn dann jemand sagen kann, guck mal, ich habe hier einen Wissenschaftler, der taucht in der Show A auf und der sitzt bei den Leuten drin und der wird dort zitiert, dann kriegt der in der Zunft mehr oder weniger ein größeres Gewicht. Nicht vielleicht immer notwendigerweise von den Kollegen, aber je mehr einer zitiert wird, umso mehr kriegt er natürlich auch den Ruf, der Kompetentere zu sein. Ja, und es herrscht ja nicht nur Eitelkeit vor, es herrscht ja auch noch das Bedürfnis vor dann eben nach Anerkennung und aber eben auch möglicherweise nach einer Umsetzung in materielle Güter. Und insofern, denke ich mir, ist das Interesse der Wissenschaft an den Medien genauso groß wie das Interesse der Medien an den Wissenschaften.
Stucke: Ja, und aber genau dieses Spiel zwischen Medien und Wissenschaften, dieses gegenseitige Interesse – Drittmittel haben Sie angebracht –, ist das alles so in Ordnung oder ist das eigentlich schon ganz schön problematisch, weil wir uns im Prinzip immer in derselben Runde drehen?
Neugebauer: Die Wissenschaftler vergessen, dass die Medien eigentlich die dominierende Instanz in diesem Prozess sind. Denn die entscheiden, was sie fragen, die entscheiden, was sie publizieren. Und die Wissenschaftler, die dann meinen, sie könnten sozusagen mediengefällig sein und dabei auch eben ihre Position ein bisschen, na, fast hätte ich gesagt: fragwürdig, das meine ich aber im Moment gar nicht, sondern auf ihrer Position ein bisschen gefälliger werden in ihren Aussagen ... Die tragen ein Risiko und die kommen dann möglicherweise auch in ein Risiko in so einer Kombination, Pegida als ein Objekt der Begierde der Medien plus dann ein Objekt der Begierde der Wissenschaft, wenn man dann in eine bestimmte Position reinrutscht und gerade auch aufgrund der Zwänge, die die Medienberichterstattung wissenschaftlicher Probleme hat, verkürzt, möglicherweise dann auch anders oder falsch verstanden wird, tja, dann entsteht so ein Dilemma, in dem, glaube ich, der Kollege Patzelt gerade steckt.
Stucke: Über das Verhältnis von Politikwissenschaftlern und Medien und die Frage: Wie politisch darf der Politikwissenschaftler sein? Das war Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler, lange Jahre tätig gewesen an der Freien Universität Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Neugebauer: Gern geschehen, Herr Stucke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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