Der Populismus frisst die gemäßigte Mitte auf
Der Populismus habe die bürgerliche Mitte aufgerieben, beklagt die Münchner Schriftstellerin Lena Gorelik. Erst schaffe er einen künstlichen Graben, dann erstarken auf beiden Ufern radikal gegnerische Lager. Demokratiewürdig diskutieren gehe aber anders, meint Gorelnik.
Würde man ein Drehbuch schreiben für einen Polit-Thriller über den Untergang der Demokratie eines einigen Europas, vielleicht auch der westlichen Demokratie, so würde man, der Spannung halber, alle Wahlen, alle Volksentscheide knapp ausgehen lassen, ganz knapp: etwa 51,9 Prozent dafür und 48,1 dagegen.
Vielleicht 49,7 Prozent für einen rechtskonservativen Bundespräsidentenkandidaten und 50,3 für einen grünen. Oder 50 Prozent für ein Staatsoberhaupt, das jedes Freiheitsrecht missachtet, während 50 Prozent der Bürger gegen ihn und seine Verbote demonstrieren, die er mit Polizeigewalt durchsetzt.
Und man würde diesen düsteren, endzeitgestimmten, aber spannungsgeladenen Polit-Thriller verlassen mit dem Urteil: "Etwas unrealistisch ist das aber schon." Dabei ist er unsere derzeitige Realität.
Von Europa bis in die USA zieht sich ein Graben durch Gesellschaften: Wer sich nicht den euro- und fremdenfeindlichen Strömungen anschließt, wird sogleich als realitätsfremder Gutmensch abgestempelt, dem etwas verrucht-närrisches anhaftet.
Der Populismus polarisiert und erstickt den Diskurs
Je breiter dieser von Ängsten ausgehöhlte Graben wird, desto notwendiger wird es, sich diesseits oder jenseits an einem Ufer zu versammeln. Je lauter die Populisten schreien, desto mehr wird die Mitte gezwungen sich aufzulösen.
Diese Entwicklung ist so universell und abstrus, wie gefährlich, weil sie jeden notwendigen Diskurs im Keim erstickt. Es werden Fragen, die nicht nur gestellt werden dürfen, sondern in einer Demokratie auch gestellt gehören, ihres Fragezeichens beraubt. Fragen nach Integrationskonzepten für Flüchtlinge, die eine uns fremde Kultur mit sich bringen, oder Fragen nach einer sinnvollen und gerechten Politik in Euroland.
Wo mit den Fragezeichen die Debatte verschwindet, begegnen Monologe der Rechtfertigungen dem Beschwören von Weltuntergangsszenarien. Schlimmer noch, das gesellschaftliche Schweigen, das auf die mutwillig abgewürgte Diskussion folgt, wird als Vorwurf gegen die demokratische Kultur gewendet, Themen würden angeblich tabuisiert. So lassen sich noch mehr Ängste, auch noch mehr Hass schüren.
Die Mitte sieht sich instrumentalisiert und gibt sich auf
Erst schaffen Populismus und Propaganda einen künstlichen Graben, dann lassen sie auf beiden Ufern radikal gegnerische Lager erstarken: hier die Rechte, dort die Linke. Und schließlich finden Akteure keinen Platz mehr, die sich ursprünglich zur bürgerlichen Mitte bekannten. Weil ihnen jedes Wort, jede Frage, jedes Hinterfragen falsch ausgelegt und instrumentalisiert werden kann, machen sie lieber einen Schritt nach links, als Gefahr zu laufen, zur falschen Seite zugeordnet zu werden.
So fühlten sich Dresdner Demonstranten, die Sigmar Gabriel herablassend als "Mob" bezeichnete, in ihrer Angst, nicht wahrgenommen zu werden, bestätigt. Sie fühlten sich missverstanden und zugleich ausgegrenzt, weshalb sie sich darauf umso kräftiger gegenseitig bestärkten, wie Halbstarke.
Und so geht es erstaunlich schnell, dass eine Bewegung, die vor ein paar Jahren noch als rechtspopulistisch galt, heute unter Intellektuellen wie im so genannten Volk salonfähig wird.
Es braucht einen demokratiewürdigen Streit um das "Wie"
Umso wichtiger ist es, den Graben nicht zu vertiefen, sondern Brücken zu bauen. Menschen, die sich verwirrt auf die hasserfüllten Lager zubewegen, brauchen eine Alternative: Foren oder Plattformen, die erlauben, sich zu äußern, sich auszusprechen, Fragen zu stellen. Auf denen man mit ihnen sachlich argumentierend ins Gespräch kommt, um aufzuzeigen, mit welch verleumderischen Paradigmen Rechtspopulisten arbeiten und wie wenig Lösungsansätze sie tatsächlich bieten.
Es ist an der Zeit, eine demokratiewürdige Diskussionskultur wiederherzustellen. Es ist an der Zeit, ehrlich um das "Wie" einer besseren Politik zu streiten, anstatt trotzig wie in einem Echo das "Nein" der Anderen vielfach zu verstärken.
Lena Gorelik, wurde 1981 in Russland im damaligen Leningrad geboren und kam 1992 zusammen mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Ihre Romane "Meine weißen Nächte", "Hochzeit in Jerusalem" und "Verliebt in Sankt Petersburg" wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr "Sie können aber gut deutsch", "Lenas Tagebuch" (Herausgeberin) und "Die Listensammlerin".