Debattenkultur
In einer fruchtbaren Debatte können sich Meinungen und Positionen ändern: Das beschreibt Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Zwischen Welten“, den sie mit Simon Urban geschrieben hat. © picture alliance / Erwin Elsner
Mehr Verständigung wagen
10:49 Minuten
Nach einem Interview mit Autorin Juli Zeh wird nun mehr über sie als über ihr neues Buch debattiert. Dabei prangere sie genau das an, sagt der Kritiker Jörg Magenau: Statt zu hinterfragen, warum jemand etwas sagt, sollten Inhalte diskutiert werden.
Gerade ist das Buch „Zwischen Welten“ veröffentlicht, schon gibt es auf Social Media Eruptionen. Doch die Debatte drehe sich nicht um diesen Roman von Juli Zeh und Simon Urban, sagt der Literaturkritiker Jörg Magenau, sondern darum, was die Autoren im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" zur deutschen Diskussionskultur gesagt haben – und warum. Dabei sei der Roman ein Beitrag zur Debattenkultur.
Ausgangspunkt der Autoren für ihren Roman sei die Sorge um die Debatte, „warum so viel schiefläuft und warum wir sofort in Hass und Aggression verfallen, wenn andere Leute andere Meinungen vertreten“, so Jörg Magenau.
Andere Meinungen aushalten
Im Roman, eine Art Briefwechsel zwischen einer Landwirtin und einem Journalisten, gehe es nicht nur um das, was gesagt wird, sondern um das Ertragen der anderen Haltung.
Diese Fähigkeit sei auch in der Debattenkultur in Deutschland verloren gegangen, erläutert Jörg Magenau, etwa bei der gesellschaftlichen Diskussion zu den Maßnahmen während der Coronakrise oder über die Flüchtlingspolitik.
Weniger über „Metadiskussionen“ reden
Zeh hatte im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" unter anderem gesagt, 2015 sei der Wille zur Willkommenskultur so übermächtig gewesen, dass "jeder, der eine andere Meinung, der auch nur praktische Fragen hatte, ganz schnell als rechts dargestellt wurde."
Zu ihrer Mitgliedschaft in der SPD befragt und einer Anmerkung des Interviewers, dass der Politiker Thilo Sarazzin seit 2010 eine Debatte über die Einwanderung hatte führen wollen, hatte Zeh geantwortet: „Er hatte das richtige Thema am Wickel – leider waren seine Bücher polemisch und voll seltsamer Zahlen“.
Doch genau daran – an einem „belanglosen“ Interview, wie Magenau findet – entzünde sich die Diskussion: ob das Interview nur Aufmerksamkeit erzeugen sollte, um das Buch zu promoten. „Man sollte nicht so sehr über Metadiskussionen reden, wie jemand irgendetwas sagt und warum jemand irgendwelche Meinungen hat – sondern tatsächlich über die Inhalte“, fordert er.
Haltungen können sich ändern
Der Roman thematisiere ein Problem der aktuellen Debattenkultur, so Magenau: „Wenn man anfängt, jemanden auf eine bestimmte Position festzunageln, dann ist man schon auf der falschen Spur – und das ist das Problem mit Social Media.“ Denn Meinungen könnten sich ändern.
Das zeigten Juli Zeh und Simon Urban auch in „Zwischen Welten“, denn die beiden Briefpartner hätten am Ende ganz andere Positionen als am Anfang, erklärt Jörg Magenau. „Das ist das Tolle, dass sie das genau zeigen: Alles lebt, alles verändert sich, alles bewegt sich.“