Debattenkultur

Mein fremdes Land

Mitglieder und Anhänger der AfD mit Deutschlandfahnen bei einer Demonstration
Mit Pegida verband Lena Gorelik die Hoffnung: "Es wird vorüber gehen...." © picture alliance / dpa / Candy Welz
Von Lena Gorelik |
Die Rhetorik radikalisiert sich, der Hass wächst, die Grenzen der Akzeptanz verschieben sich - die Münchner Schriftstellerin Lena Gorelik sagt, dass sie sich vergeblich gegen all das gewehrt habe. Doch genau das gelinge ihr kaum mehr und Deutschland werde ihr fremd.
Es ist mir dieser Tage, als habe das Land, in dem wir heute leben, nichts mit demjenigen zu tun, in dem wir noch vor einem Jahr zu leben meinten. Es ist, als fände das, was wir in den Nachrichten täglich sehen, in Wirklichkeit nur im Fernsehen statt, nicht auf unseren Straßen. Vor unseren Haustüren.
Plötzlich leben wir in einem Land, in dem es zur Tagesordnung gehört, Nachrichten wie die folgenden zu hören, schlimmer noch, sie hinzunehmen, anschließend zum Bäcker zu gehen und sich ein Croissant zu bestellen:
Nachrichten, die wir hinnehmen
Während 30 Deutsche mit Baseballaschlägern auf drei Syrer losgehen, während ein Björn Höcke sich seelenruhig mit einer Deutschland-Fahne in ein Studio der ARD setzt oder öffentlich hetzt, Flüchtlinge würden blonde, deutsche Frauen vergewaltigen.
Während die Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin von Köln mit einem Messer lebensbedrohlich verletzt wird, weil sie eine Flüchtlingspolitik verfolgt, die dem Täter zuwider ist. Während der AfD-Landeschef von NRW Flüchtlinge notfalls mit Schießwaffen abwehren will. Während Brände gelegt werden.
Zahlen, bei denen man aufschreien möchte: Das ist nicht mein Land! Mehr als 580 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte wurden in diesem Jahr bereits in Deutschland verübt. Das sind beinahe zwei pro Tag. Wir aber gehen zum Bäcker.
Jedes Mal, wenn sich die Prozesse, die wir heute erleben, ankündigten - sei es in der Sarrazin-Debatte, in der entwürdigenden Rhetorik der Beschneidungsdiskussion, in dem erschütternden NSU-Skandal und selbst als Pegida Anfang des Jahres erwachte, jedes Mal dachte man: Es wird vorüber gehen. Es sind Einzelne. Wir werden sie isolieren und ihnen zeigen, was Deutschland ist, was Demokratie.
Hass auf alles, was anders ist
Währenddessen aber ist der Hass gewachsen, der Hass auf alles, was anders ist, und die Angst davor, dass man etwas verlieren könnte - obwohl man noch gar nichts verloren hat. Und der Hass hat nach Ängsten und Fragen und Befürchtungen gegriffen, und all das an sich gerissen, und ist dicker und größer und hässlicher geworden, und geht stolz und offen dieses Gefühl demonstrieren.
Wir schauen zu. Es hört nicht auf, es wird nicht besser, und ein wenig gewöhnen wir uns daran, obwohl wir es nicht zugeben wollen, und was wir auch nicht zugeben wollen: Das könnte erst der Anfang sein. Und vielleicht muss man das umformulieren: Es ist erst der Anfang. Und eigentlich wissen wir: Zuschauen dürfen wir nicht noch einmal.
Die Rhetorik radikalisiert sich täglich, man spricht von "Flüchtlingsangriff", vergleicht den Justizminister mit Joseph Goebbels und sagt offen, dass Unterstützer der Merkel'schen Flüchtlingspolitik "an die Wand gestellt" gehören.
Wo sich die Rhetorik auf der einen Seite verhärtet, da verweichlicht sie auf der anderen Seite: Neonazis, die zu Gewalttaten bereit sind und mit offen rassistischen Parolen um sich werfen, werden als "besorgte Bürger" bezeichnet.
Grenzen, die sich verschoben haben
Die Grenzen dessen, was man öffentlich sagen darf, sind verschoben worden, die Grenzen dessen, was wir akzeptieren, ebenfalls: Am Sonntagabend gibt es in der ARD den Tatort, am Montagabend in der Tagesschau die Bilder von den Nazi-Fressen in Dresden.
Wir sehen das hilflos, und wir wundern uns, wo ist denn das Land, in dem ich letztes Jahr noch lebte, und irgendwann kommt Verzweiflung auf: Was kann man tun?
Man hat versucht, mit ihnen zu reden. Man hat versucht, die Sorgen ernst zu nehmen. Man hat zurück geschrien. Man hat versucht, sich auf die andere Seite zu stellen, um zu zeigen, dass es auch die andere Seite gibt. Man hat angeschrieben dagegen. Und hat es etwas gebracht?
Gleichzeitig weiß man, man darf sich nicht die Zeit und die Kraft nehmen, darüber nachzudenken, denn wenn man aufgibt, wenn man nichts mehr tut, dann überlässt man ihnen den Raum. Dann nehmen sie uns das Land.
Lena Gorelik, wurde 1981 in Russland im damaligen Leningrad geboren und kam 1992 zusammen mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Ihre Romane "Meine weißen Nächte", "Hochzeit in Jerusalem" und "Verliebt in Sankt Petersburg" wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr "Sie können aber gut deutsch", "Lenas Tagebuch" (Herausgeberin) und "Die Listensammlerin".
Die Schriftstellerin und Journalistin Lena Gorelik auf der Buchmesse in Leipzig.
Die Schriftstellerin und Journalistin Lena Gorelik auf der Buchmesse in Leipzig.© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
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