Deborah Levy: "Ein eigenes Haus"
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
224 Seiten, 24 Euro
Was ist Zuhause?
06:03 Minuten
Ein Lebensraum für ihre Töchter oder ein unerfüllbarer Wunsch vom Haus am Meer: Im dritten Teil ihrer Autobiografie fragt Deborah Levy, welchen Raum sie als Autorin und Frau gedanklich wie konkret einnimmt.
Ihre jüngste Tochter ist 18 Jahre alt und wird die gemeinsame Wohnung in London verlassen, um im Nordosten des Landes zu studieren. Damit bleibt Deborah Levy allein zurück – wäre da nicht der Bananenbaum, den sie vor kurzem gekauft hat und den ihre beiden Töchter ihr drittes Kind nennen. Und das Aufenthaltsstipendium der Columbia University, das sie für neun Monate nach Paris bringt.
Die psychologische Veränderung nach dem Auszug der Tochter korrespondiert also in Deborah Levys "Ein eigenes Haus" mit einer geografischen Verschiebung, einem "displacement", das schon lange eines ihrer Themen ist.
Dialog mit früherem Autorinnen-Ich
In einer Mischung aus Memoir, Analyse und Selbstbefragung setzt Deborah Levy die vorhergehenden beiden Teile ihres Projekts der "living autobiography" – das Schreiben der Autobiografie, während das Leben gelebt wird – fort. Wie kann sie als Autorin und Frau unabhängig und selbstbestimmt leben? Wie muss eine starke weibliche Hauptrolle aussehen? Wie wirken Vergangenheit und Gegenwart zusammen?
Gespickt mit trockenem Humor, klugen Zitaten und scharfsinnigen Beobachtungen ist "Ein eigenes Haus" zudem ein Dialog zwischen dem früheren und gegenwärtigen Autorinnen-Ich, der sich um die Frage dreht, was ein Heim, ein Zuhause für eine Autorin und Frau bedeuten kann.
Gedankliche und gesellschaftliche Räume
Der vieldeutige englische Originaltitel "Real Estate" verweist schon auf die verschiedenen Schichten der Antworten, die Levy findet. Zwei Zuhause – vor und nach ihrer Scheidung – hat Levy für ihre Töchter geschaffen, ein Zuhause ist also ein konkreter häuslicher Raum. Er kann, "sofern es nicht die Gesellschaft ist, die ihn Frauen auferlegt, sofern er uns nicht vom Patriarchat vorgeschrieben ist – (...) ein sehr starker Raum sein".
Zugleich stellt sie Levy sich schon lange vor, wie sie in einem Haus am Meer lebt, von dem sie weiß, dass sie es sich niemals wird leisten können. Es symbolisiert für sie Zukunft wie Vermächtnis. Für eine Autorin ist "ein eigenes Haus" – im deutschen Titel ist die Anspielung auf Virginias Woolfs "eigenes Zimmer" offensichtlich – zudem der Platz, den sie gedanklich und gesellschaftlich beansprucht sowie sich einräumt.
Die eigene Geschichte neu schreiben
Diese Suche nach ihrem Platz durchzieht Deborah Levys Werk. Daher ist es ein schöner Zufall, das gleichzeitig mit "Ein eigenes Haus" erstmals ihr zweiter Roman "Landschaft verschluckt" von 1993 in deutscher Übersetzung im neugegründeten Aki Verlag erscheint.
Beim Schreiben war Levy 29 Jahre alt und dieses Buch zeugt von ihrer Kompromisslosigkeit. Es besteht wie "Ein eigenes Haus" aus Vignetten in verschiedenen Ländern. Auf der Reise einer jungen Frau entspinnt sich ein Dialog zwischen Kunst und Leben.
Doch 30 Jahre später sind in "Ein eigenes Haus" die Sätze schärfer, stringenter, sind die Beobachtungen noch genauer und ist das Bewusstsein für gesellschaftliche Bedingungen größer. Nun weiß Levy, was sie in "Landschaft verschluckt" erst ahnt: Dass es mehr als einen Platz im Leben gibt. Dass man sich nicht an den "vorgezeichneten Ablauf" halten muss, den das Leben einer Frau "nach Ansicht von Leuten, die weniger einfallsreich sind als wir" nehmen sollte.
Und dass sich eine Frau ihre Rollen und ihre Geschichte immer wieder neu schreiben kann.
Deborah Levy: "Landschaft verschluckt"
Aus dem Englischen von Marion Hertle
Aki Verlag, Hamburg 2021
128 Seiten, 20 Euro