Ein Tuba-Spieler mischt die Jazz-Szene auf
Die Tuba fristete ein Nischendasein im Jazz, doch Theon Cross hat ihr Image gehörig entmottet. Auf seinem Debütalbum "Fyah" zeigt der Londoner Musiker, wie vielseitig das Instrument ist – von melodischen Bassklängen bis groovendem Funk.
Activate, so heißt dieses Stück. Ein englisches Wort, das sich vielfältig übersetzen lässt: Mit aktivieren natürlich, aber etwa auch mit freischalten, auslösen, in Gang setzen, entsichern oder erregen. Und ein klein wenig Erregung kann dem Jazz dieser Tage sicher nicht schaden.
Der DJ und Label-Betreiber Gilles Peterson hat es so ausgedrückt: "Die neue Londoner Szene besteht aus Musikern, die einen originären Sound kreieren, und das sollte man nicht unterschätzen. Das Letzte, was der Jazz heute braucht, ist die nächste Version von 'Summertime'."
Entmottung eines vielseitigen Instruments
Eine der Schlüsselfiguren der jungen britischen Jazzszene ist der Tubist Theon Cross, 25, der etwa dem Sound der Band Sons of Kemet um den Saxophonisten Shabaka Hutchings seinen melodiös-massiven Herzschlag verleiht. In seinem Stil kreuzen sich die Walking-Bass-Lines eines Paul Chambers mit Einflüssen aus Clubsounds wie Garage, Grime und Dubstep.
"Für mich ist die Tuba ein äußerst vielseitiges Instrument", sagt Theon Cross. "Sie lässt sich sowohl als melodischer Bass wie auch als Perkussionsinstrument einsetzen. Interessant finde ich auch, dass der akustische Klang der Tuba manchmal ganz ähnlich wie die Synthesizer-Sounds in der elektronischen Musik klingt. Sie ermöglicht mir, eine Vielzahl von Stilen in meine Musik zu integrieren."
Auf seinem Debut-Album "Fyah" beweist Cross in stupender Manier, wie sich ein Instrument, dem Dixieland-Ruch und Marschband-Makel anhaften, wie selbstverständlich entmotten lässt. Hier wird zwischen den Zeichensystemen von Ornette Coleman, John Coltrane, Knitting Factory und Afrobeat operiert.
Drummer Moses Boyd klingt zuweilen, als würde er Fela-Kuti-Legende Tony Allen channeln, während Saxophonistin Nubya Garcia immer wieder die Tenor Madness eines Sonny Rollins flackern lässt, ohne je wie ein Abziehbild ihres erklärten Vorbilds zu klingen. Auch sie macht keinen Hehl daraus, worauf sie hinauswill:
"Früher wirkte das Wort Jazz oder das Genre Jazz an sich eher abschreckend auf die Leute – weil es ein verschnarchtes Image hat und ein Nischendasein führte. Ich muss überhaupt erst einmal herausfinden, was Jazz für mich eigentlich bedeutet."
Körperlicher und tanzbarer Jazz
Diejenigen, die jetzt die alte Suada von den jungen Bilderstürmern anstimmen, denen es womöglich aber doch ein wenig an musikalischer Reife mangelt, seien daran erinnert, dass Sonny Rollins auch nur ein paar Monate älter war als Theon Cross und Nubya Garcia, als er 1958 seine legendäre "Freedom Suite" einspielte.
Und natürlich geht es auch auf "Fyah" um die Kunst, sich die Freiheit zu nehmen – vor allem aber darum, die Körperlichkeit, sprich den Tanz zurückzuerobern, den Akademismus und Betulichkeit 2.0 dem Jazz gestohlen haben.
Insofern lässt sich der Titel von Theon Cross' Debüt durchaus als Programm verstehen:
"Das Wort 'Fire' verbinde ich erst einmal mit lauter positiven Dingen. Feuer spendet Licht und Wärme, und mit meiner Musik versuche ich, diese Kräfte zu bündeln. Die karibische Slang-Schreibweise von 'Fyah' habe ich deshalb verwendet, weil das Wort dort für Gutes steht, aber auch, um die Bedeutung karibischer Rhythmen hervorzuheben; sie haben die ganze Londoner Szene beeinflusst - und mich sowieso."
Hypnotischer Groove statt Pseudo-Klassik
Den hypnotisch groovenden Funk-Puls von Theon Cross' "Fyah" darf man getrost als Statement gegen die grassierende Demenz von Lordsiegelbewahrern und Kuratoren verstehen, in deren Lesart der Jazz zu einer Art Pseudo-Klassik erstarrt ist, in der den alten Meistern nichts und niemand mehr das Wasser reichen kann.
Dazu passt wie die Faust aufs Auge, dass Cross wie so viele Exponenten der British Jazz Explosion einen Workshop namens "Tomorrow's Warriors" besucht hat.
Man kann sogar mitkämpfen: Indem man die penetrante Zalando-Werbung wegklickt, die den YouTube-Videos der jungen Ikonoklasten vorangeschaltet ist. Und sich dann ansieht, wie der neue Sound funktioniert – indem man Leute zusammen und die Verhältnisse zum Tanzen bringt.