Bestimmt die Familiengeschichte, wer wir sind?
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Marina Frenk, Schauspielerin und auch Musikerin, ist mit sieben aus Moldawien nach Deutschland gekommen. In ihrem ersten Roman sucht Protagonistin Kira, die in Deutschland lebt und auch moldawische Wurzeln hat, nach Heimat, Liebe und auch sich selbst.
Marina Frenk, halblanges dunkles, lockiges Haar, helle, wache Augen, steht in der Küche ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Ihr Sohn ist in der Kita, sie selbst noch ein bisschen müde.
"Ich hab lange in einer Folkjazzband mitgespielt, Kapelsky hieß die, die so osteuropäische Musik verbunden hat mit Jazz und anderen Musikstilen, und mach zwischendurch auch so ein bisschen elektronische Musik mit Leuten zusammen, die ich kenne. Also, es gehört irgendwie dazu, zu meinem Leben."
Gestern ist sie aus Bochum zurückgekommen, wo sie am Schauspielhaus Premiere hatte. Bei geöffneten Fenster hört man Straßenlärm. Frenk, die im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, lebt hier seit fünf Jahren.
"Es ist ja auch sehr teuer geworden in Berlin. Ich schaue gerade auch nach ner Wohnung mit ’nem zusätzlichen Zimmer, aber es ist fast unmöglich."
Mit sieben Jahren nach Deutschland
Als Marina Frenk sieben Jahre alt war, kam sie mit ihren Eltern aus Moldawien nach Deutschland. In Essen studierte sie Schauspiel, spielte danach in Bochum, Leipzig, Köln, zuletzt am Maxim Gorki Theater in Berlin. In dieser Zeit schrieb sie auch für das Radio, erhielt den Hörspielpreis der Kriegsblinden und den europäischen Medienpreis Civis.
Nun hat sie ihren ersten Roman "ewig her und gar nicht wahr" veröffentlicht. "Teile von dem, was im Buch vorkommt, gab’s tatsächlich schon in dem Hörspiel 'Jenseits der Kastanien', wo ich mich mit dem Herkunfts-Migrations-Thema, mit dem Integrationsthema schon beschäftigt habe", sagt Frenk.
Angefangen habe sie das Buch allerdings ganz anders: "Mit den Gegenwartspassagen, die darin vorkommen, also mit der Jetztzeit. Der Anfangstitel des Buches war 'Die Mutter'. Es sollte eigentlich um innere Bindung zu sich selbst, zur Familie, zu der eigenen Herkunft, zu dem aus was man eigentlich kommt, sein."
Protagonistin aus einer Sowjet-Familie
Kira heißt die junge Protagonistin im Roman. Sie ist erfolglose Malerin, hat einen kleinen Sohn, doch ist gleichzeitig unglücklich mit der Beziehung zum Vater des Kindes. Kira steckt in einer Krise. Rückschau, Introspektion und Gegenwart vermischen sich in Frenks Roman, Träume, Visionen und heutige Alltagsrealität.
Die Autorin beschreibt Kiras Suche – nach Heimat, Liebe und sich selbst. Nach etwas Beständigem. Denn die junge Frau sitzt mit ihrem kleinen Sohn in Deutschland, hat keine Verwandten hier und ist selbst geprägt von Erfahrungen ihrer Eltern aus Moldawien.
"Sicherlich hat das damit zu tun, dass diese Krise besteht, dass eben diese Familiengeschichte so zerstreut ist", sagt Frenk. "Dass es eben ein Land ist, das eine schwierige politische Vergangenheit auch hat. Dass es zum großen Teil ja auch um die Sowjetunion geht, die es nicht mehr gibt, was natürlich auch immer in ihrem Kopf irgendwie mitspielt, weil das die Vorfahren sind."
Frenk erläutert: "Das ist deren Leben, nichts anderes haben die erlebt, auch wenn sie nach Amerika ausgewandert sind oder nach Israel oder nach Deutschland, sind sie alle in ihrem Kopf eben Sowjets. Es gibt diesen Moment, wo ich über Arbeit spreche, wo man dann feststellt, dass in deren Kopf nichts anderes als der Drill von Arbeit stattfindet, selbst wenn’s um sich selbst geht, um die innere Bühne, ist es trotzdem ’ne große Arbeit, was da verrichtet wird."
Fitzel aus der eigenen Biografie
In nicht chronologisch angeordneten Kapiteln imaginiert die Autorin auch Szenen aus dem Leben von Kiras Angehörigen, zu einer Zeit, in der ihre Protagonistin selbst noch gar nicht geboren war.
Material dazu fand Frenk in ihrer eigenen Geschichte. "Ich hab das ja jetzt auch nicht komplett biografisch geschrieben. Also ich hab immer irgendwo angefangen bei Fakten aus unserer eigenen Familiengeschichte, die ich wusste, das sind aber tatsächlich nur Fitzel. Also, es ist nichts, was ich genau weiß oder was mir genau erzählt wurde. Und hab dann weiter erfunden, also besonders in diesen Vergangenheitspassagen ist sehr vieles so tatsächlich nicht passiert."
Und doch gibt es viele autobiographische Elemente. Eltern und Großeltern der Hauptfigur Kira kommen aus jüdischen und russischen Familien. Sie tragen in sich die kollektiven Traumata des 20. Jahrhunderts – Diktatur, Krieg und Emigration. Und obwohl Marina Frenk eine Familiengeschichte erzählt, die in die Vergangenheit reicht, berührt sie damit direkt unsere Gegenwart.
Muster aufzeigen
"Im Moment ist ja die Sache mit der AfD und den ganzen gesellschaftlichen Veränderungen, die es auch in anderen europäischen Ländern gibt, also der Aufschwung des Populismus, das ist ja nun mal alles mal sehr deutlich gerade und hat sich ja auch noch mal sehr verschärft in den letzten Jahren", diagnostiziert Frenk. "Es ist einfach etwas los im Land. Ich denke, es gibt Probleme – und damit hängt es zusammen, dass diese Thematik dann eben wieder da ist: Wer jetzt der Feind sein könnte oder wer jetzt etwas falsch gemacht haben könnte, wen man für die Dinge, die schieflaufen, verantwortlich machen kann, jetzt politisch."
Diese Muster aufzuzeigen, das reizt Marina Frenk. Sie bringt sich ein, ohne ihren Humor zu verlieren. Mit ihrem Roman und mit allem anderen, was zu ihrem Leben gehört. Und sei es nur eine Spielzeugtrompete.
"Das ist ’ne Trompete. Eine Kindertrompete, die spielt mein Sohn. Ja, es ist lustig bei uns."