Mitten in Don Prestons Keyboard-Solo zur Komposition ‚King Kong‘ fing der Raum plötzlich Feuer. Irgendjemand im Publikum hatte mit einer Feuerwerksrakete oder einem Römischen Licht in die Decke gefeuert, wodurch die Rattan-Verkleidung in Brand geriet.
50 Jahre "Smoke On The Water"
„Smoke On The Water“ erschien 1972 auf dem Album „Machine Head“. Hier spielt Deep Purple bei einem Konzert in Kopenhagen im selben Jahr. © Getty Images / Redferns / Jorgen Angel
Wo Rauch ist, ist Feuer!
30:06 Minuten
Der Gitarrenriff ist legendär, nicht nur Hardrockfans holen bei dem Song die Luftgitarre raus. Deep Purple haben mit „Smoke On The Water“ vor 50 Jahren ein Lied für die Ewigkeit herausgebracht. Die Story dahinter ist fast ebenso geschichtsträchtig.
Bewusst oder unbewusst kennen es alle: „Smoke On The Water“, der Hit der britischen Band Deep Purple. Die einen feiern das Stück als frühe Sternstunde des Hardrock, die anderen als die Mutter aller Gitarrenriffs. Das Internet in seiner Funktion als „Allwissende Müllhalde“ spuckt bei Suchanfragen gerne die Information aus, dass „Smoke On The Water“ in den USA das zweitbekannteste Lied nach der Nationalhymne sei.
In Deutschland erklang es 2011 zur Verabschiedung eines Verteidigungsministers. Soll man die Geschichte eines solchen Gassenhauers überhaupt noch erzählen?
In Deutschland erklang es 2011 zur Verabschiedung eines Verteidigungsministers. Soll man die Geschichte eines solchen Gassenhauers überhaupt noch erzählen?
„Na ja, jedes historische Ereignis oder historische Datum, das irgendwie eine Resonanz hatte, ist es doch wert, erforscht zu werden, oder? Ich meine vielleicht jetzt nicht unbedingt im Sinne, dass heutige Gitarristen was davon lernen, aber im Sinne von – was das kulturgeschichtlich so ist oder war“, sagt Diedrich Diederichsen, Deutschlands bekanntester Popkritiker und Poptheoretiker.
Also bitte: Man schreibt das Jahr 1971. Die britische Rockband Deep Purple ist auf der Suche nach ihrem Sound. Nicht dem geschönten, künstlichen Klang im Studio. Die nächste LP soll klingen wie ein Livekonzert.
„Außerdem und das legt ihnen das Label ans Herz, will man Einkommensteuern sparen“, ergänzt der Musikjournalist Frank Schäfer.
„Großbritannien war damals ein Hochsteuerland, eine Plattenproduktion zu Hause in London ziemlich kostspielig. Im Ausland aufzunehmen ist aber zu dem Zeitpunkt auch gar nicht mehr so etwas Besonderes. Die Rolling Stones hatten das im Jahr zuvor mit ‚Exile On Mainstreet“ gemacht, das an der Cote d'Azur entstanden ist.“
Die Kurzgeschichte zum Songtext
Im Dezember 1971 führt eine Verkettung von Umständen im schweizerischen Montreux zu einem Superlativ der Rock-Geschichte. Für alle Nachgeborenen hier die kurze Zusammenfassung der Ereignisse von einem Deep Purple-Fan Jahrgang 1954: Herbert Knebel.
„Ja, also et war ja damals so, dat et in Montreux, nee, am Genfer See, gab es ja immer dieses Jazzfestival. ‚Live in Montreux‘, gibt‘s ja ganz viele Platten, ne? Und da haddet damals nen Konzert gegeben von Frank Zappa und se Mothers of Invention. Und zur gleichen Zeit waren Deep Purple, die waren auch am Genfer See. Die hatten sich vonne Rolling Stones hatten die sich so ein mobiles Tonstudio, hatten die sich ausgeliehen und wollten damit eine Platte aufnehmen.
Und dann hat wohl irgendso’n Fan, als Abends dat Konzert von den Frank Zappa war, hat wohl so’n Fan mitte Leuchtpistole inne Decke reingeballert und der ganze Schuppen ist abgefackelt. Ja, Gott sei Dank ist keiner verletzt worden, is auch keiner kaputtgegangen. Und Deep Purple, die waren direkt gegenüber vonne Seeseite, waren die in so‘m Hotel untergebracht. Ja, und dann haben die gesehen, wie so der Qualm über dat Wasser zoch. Ja, und dann ham die ‚Schmook On Se Water‘ gemacht. Ich meine, man muss eben nur da sein, wo wat los is – dann fallen einem auch gute Texte ein!“
So weit das Ruhrpottoriginal Herbert Knebel – der sich als einer der wenigen an eine deutsche Fassung des Liedes wagte mit dem Titel „Rauch aus de Wohnung – und Feuer mit dabei …“
Am 4. Dezember 1971 spielen Franz Zappa und die Mothers of Invention das letzte Konzert, bevor das Casino in die Winterpause geht und Deep Purple im leeren Saal ihr neues Album aufnehmen wollen. Auf Einladung von Veranstalter Claude Nobs sehen sich Sänger Ian Gillan und Bassist Roger Glover CHECK das Konzert an. Nach circa 80 Minuten kommt dann der entscheidende Moment, und Frank Zappa beschreibt diesen Moment in seiner Autobiographie „The Real Frank Zappa Book“ von 1988 so:
„'Irgendein Dummkopf' also mit einer Leuchtpistole schießt die Holzdecke in Brand. Bald danach kommt heraus: Es war ein tschechischer Flüchtling namens Zdenek Spicka. Der wird dann auch sofort gesucht von der Polizei. Aber man findet ihn nicht. Die Legende sagt, er hat sich Haare und Bart abrasiert und ist untergetaucht. Und so wird er dann auch tatsächlich nie belangt“, erzählt Frank Schäfer.
Katerstimmung und ein Millionenschaden
Es geht schließlich um einen Schaden von circa 13 Millionen Dollar. Das Publikum verlässt das Casino durch die Ausgänge; Zappa und die Mothers entkommen durch einen Tunnel, der von der Bühne in der Parkgarage führt. Draußen herrscht – verständlicherweise – Katerstimmung. In der Februarausgabe der schweizerischen Zeitschrift „Pop“ erscheint der Bericht eines Augenzeugen namens Eilas, vermutlich der damalige Journalist und Produktionsleiter H. Elias Fröhlich. Darin heißt es:
Don Preston (war) den Tränen nahe (…) – sein(en) Synthesizer hatte er in jahrelanger Freizeitarbeit so umgebaut und daran rumgebastelt, wie er ihn haben wollte. Der Verlust ist für ihn unersetzlich.
„Don Preston hat ebenso selbst gebaute Synthesizer gebaut, macht das auch bis heute. Also ist fast schon so eine eigene Synthesizer-Bautradition also so jenseits von Moog und Buchla und was es da so gibt, da ist Don Preston noch mit seiner eigenen Welt unterwegs. Und dessen ganzes Equipment ist abgebrannt bei diesem Brand im Montreux, von dem dieses Lied handelt. Also das, was da passiert ist, ist das Verbrennen dieser einmaligen, von Don Preston gebauten Geräte. In diesem Zusammenhang wurde das Lied irgendwie interessant“, erzählt Diedrich Diedrichsen.
Deep Purple haben den Aufnahmeort verloren – Zappa und seine Musiker dagegen die technische Grundlage ihrer Musik. Trotzdem entschließen sie sich, die Tour zu Ende zu spielen. Mit geliehenen Instrumenten. Zappa behauptet später, dass nur die Kuhglocke von Ansley Dunbars Schlagzeug noch verwendbar gewesen sei. Zappa-Fans wissen es besser:
„Vor einigen Jahren habe ich mal auf der Zappanale gelesen, und dort habe ich dann Wolfhard Kutz getroffen, den Macher des Festivals, vermutlich der größte Zappa-Fan auf diesem Planeten mit einer riesigen Vinyl- und auch Devotionaliensammlung. Er zeigt mir also seine Sammlung, und dazu gehört eben auch ein alter Gitarrenkoffer. ‚Komma‘ rüber‘, meint er dann irgendwann zu mir, ‚riech mal dran‘. Und tatsächlich, ich roch dran und der Gitarrenkoffer roch nach Rauch“, sagt Frank Schäfer.
Der „Holy Smoke“ der Rockgeschichte
Ein Gitarrenkoffer als Weihrauchfass – oder „Holy Smoke“ für Reliquiensammler der Rockgeschichte. Während Deep Purple sich anschicken, aus dem Vorfall die größte Cash-Cow ihrer Karriere zu zeugen, kommt es für Zappa sechs Tage später bei einem Konzert im Londoner Rainbow Theatre noch schlimmer. 2014 erinnerte sich Sänger Mark Volman alias Flo in der Dokumentation „Freak Jazz, Movie Madness And Another Mothers“ wie folgt:
„Das Konzert endetet mit einem Höhepunkt, wir kamen nach vorne, verbeugten uns, das Publikum applaudierte und jubelte. Als wir uns umdrehten, um die Bühne zu verlassen, hörte das Publikum plötzlich auf, zu jubeln, als ob jemand einen Schalter umgelegt hatte. Wir drehen uns um – und Frank ist weg.“
Und auch dieser Moment wurde auf Tonband festgehalten: Zappa fällt in den Orchestergraben.
Ein vermutlich eifersüchtiger junger Mann hatte Zappa von der Bühne in den dreieinhalb Meter tiefen Orchestergraben gestoßen. Das Ergebnis: ein Monat Krankenhaus und knapp ein Jahr im Rollstuhl für Zappa. Die Kunde von dem Fall erreicht auch Deep Purple in der Schweiz. Und so singt Ian Gillan am Ende von „Smoke On The Water“:
“Break A Leg, Frank!” Das kann man als “Hals- und Beinbruch“ verstehen – oder als Mangel an Empathie unter Rockstars. Vielleicht erwähnt Zappa deshalb in seinem Bericht der Ereignisse des 4. Dezember 1971 Deep Purple mit keinem Wort.
Zu laut, aber erfolgreich
Die haben sich mittlerweile mit ihren Instrumenten und dem mobilen Aufnahmestudio der Rolling Stones ein anderes Domizil gesucht: das kleine Theater Le Pavillon des Sports. Aber auch von dort werden sie bald wieder vertrieben – den Einwohnern von Montreux ist es einfach zu laut. Daraufhin ziehen sie in das leer stehende Grand Hotel um. Wo sie die Aufnahmen beenden. Am 25. März 1972 erschient das derart entstandene Album unter dem Titel „Machine Head“.
Zum Klassikerstatus verhilft ihm eine andere Aufnahme: die auf dem legendären Live-Album „Made in Japan“. Das ursprünglich nur in Japan erscheinen sollte. Doch die Band ist derart begeistert von den Aufnahmen, dass sie es weltweit veröffentlichen. Von diesem Album zehrt eine ganze Generation von Rockfans – „Child In Time“ wird der Bluestanzklassiker, „Highway Star“ und „Smoke On The Water“ die beliebtesten Luftgitarrennummern – vom Beatabend im Gemeindezentrum bis zu Fußballjugendmannschaftsfeten.
„Ich mag das gerne, wenn die Gitarre so im Vordergrund und so prominent da ist, und bin dann eigentlich immer so, denk dann auch an, sich fallen lassen und tanzen und saufen und jung seien, obwohl ich wie gesagt, obwohl das war gar nicht wirklich meine Zeit, während der ich jung war“, sagt Jenni Zylka, Jahrgang 1969, Buchautorin und Musikjournalistin. Was das für mich immer noch hat, ist: Egal, man ist irgendwo und post blöd rum oder macht irgendwie, lässt die Haare fliegen, wenn man welche hat – die meisten Hardrock- und Metal-Typen haben ja alle überhaupt keine Haare mehr.
Von daher ist es auch nicht das Wichtigste. Aber es hat schon was mit Sich-gehen-Lassen zu tun. Allein schon, dass man diese Frechheit besitzt, so laut zu sein und so verzerrt zu sein. Das hat ja auch was sehr Raumgreifendes, so: Hier bin ich und ist mir scheißegal, was die anderen um mich herum jetzt hören wollen. Ich mache das jetzt. Also es hat was von, sich sehr frei präsentieren zu tun, finde ich.“
Deep Purple in der DDR
Vermutlich war das auch einer der Gründe, warum Deep Purple auch in der DDR mit zu den angesagtesten Bands gehörten.
„Die Fanbase in der DDR von Deep Purple war natürlich riesig. Das waren ja diese drei Legenden: Black Sabbath, Led Zeppelin, Deep Purple …“, sagt Götz Hintze.
Götz Hintze arbeitet im Archiv von Deutschlandfunk Kultur und hat das „Rocklexikon der DDR“ geschrieben:
„Uriah Heep … oder vier Eckpfeiler, die natürlich eine große Resonanz im Osten haben. Was ja dann auch dazu führte, dass die Puhdys, die ja nur im Osten damals ooch ne recht bekannte Band waren oder die bekannteste Band waren, noch bevor sie ihre großen Erfolge hatten, bei Amiga, ne Single mit ´Highway Star`, diesem wunderbaren Titel von Deep Purple – ooch uffm dem gleichen Album wie ´Smoke On The Water` druff – herausgebracht haben und die is reißend weggegangen, diese Single.“
Den gigantischen Erfolg von „Smoke on The Water“ erklärt sich Götz Hinzte so:
„Es war natürlich auch der Beginn eines neuen Genres, was sich entwickelt hat Anfang der 70er-Jahre, also des Hardrock sozusagen, der harten Rockmusik. Und da sind natürlich die frühen Sachen natürlich viel eher dazu da, eine Legende zu werden als Sachen, die später auf den Markt gekommen sind, weil sie halt die Gnade der frühen Geburt hatten. Und det ist für mich ein entscheidender Punkt, warum eben diese alten Titel heute noch sehr gern sozusagen wahrgenommen werden. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass damit ein gewisser Nostalgieeffekt bei älteren Menschen wie uns vorhanden ist.
Text hat uns natürlich damals als Teenies überhaupt nicht interessiert. Und gerade wir mit unserer Ostbiografie hatten natürlich den Nachteil, dass unser Englisch einfach nicht so gut ausgebildet war, um alle Texte genau deuten zu können oder viele Texte genau deuten zu können."
Um was geht es in dem Lied eigentlich?
„Ich weiß, dass das Konzert in der Deutschlandhalle war nach Maueröffnung, weil ganz viele ostdeutsche Deep Purple-Fans da waren, die sich eben seit Jahren darauf gefreut hatten, diese Band zu sehen, und ganz rührend um kurz vor acht begannen, den Countdown runterzuzählen – in der Annahme, dieses Konzert würde so wie die Tagesschau dann um 20 Uhr auch beginnen. Das war nicht der Fall. Stattdessen kam so um 21 Uhr 20 die Vorband ‚Axel Heilheckers Strange Sex‘ auf die Bühne.“
Das ist Matthias Binner – der gleich noch eine gewichtige Rolle spielen wird. Jetzt soll es nämlich um den Text von „Smoke On The Water“ gehen. Diedrich Diederichsen und Jenni Zylka:
„Das sage ich nicht nur aus aktuellen Gründen, aber: Das ist natürlich ein Kriegsbild „Smoke On The Water, Fire In The Sky“. Und irgendwie so etwas Martialisches kam dann ja, also – das entwickelte sich ja aus Hardrock in der Zeit, es wurde ja martialischer. Es ging dann ja natürlich irgendwann so im Laufe der 70er mehr in Richtung Fantasy und Darkness und so. Es waren nicht unbedingt Panzerschlachten, es waren eher so Rittergefechte. Aber ja, aber auch da brennt der Himmel, ne?“
"Das hat eine gewisse Dramatik"
„Und auch der Text dazu – Smoke on the Water, Fire in der Sky – macht sofort ein Bild, auf was jeder sofort versteht, vor Augen hat, nachvollziehen kann. Das hat eine gewisse Dramatik, vielleicht auch ein gewisses Ängstigungspotenzial, weil es brennt halt irgendwo. Es lodert – da kann man alles Mögliche reininterpretieren, was da noch so lodert. Aber worum es dann wirklich geht… ich finde es nicht so schlimm, dass es jetzt tatsächlich nur um so einen blöden Studiobrand geht. Das ist zwar doof, aber es ist tatsächlich einfach nur eine Sache, die passiert ist. Die hätte man auch einfach ein paar Sätzen erzählen können, wahrscheinlich, ne?“
“Aus dem Leben gegriffen und unprätentiös erzählt“, meint hingegen Matthias Binner. Er gehört zu den Leitern der SAGO-Liedermacherschule. An den Kursen der 1989 vom Liedermacher und Poeten Christof Stählin gegründeten Schule nahmen u.a. Judith Holofernes, Bodo Wartke, Dota Kehr, Sebastian Krämer oder Max Prosa teil. Binner ist es gewohnt, sich Liedtexte genau anzusehen. Wie sieht es also aus mit dem Text von „Smoke On The Water“?
„Ich nehme ihn mal in die Hand, damit man‘s festmachen kann. Ich würde sofort die erste Zeile loben, weil sie mich in eine spannende Situation mitnimmt. Ich finde die Verwendung der ersten Person Plural total klug, weil es ein Identifikationsangebot ist: ‚Hey, wir alle fahren nach Montreux. An den Lake Geneva. Vielleicht wollen wir da eine Platte machen. Hast du Lust mitzukommen? Ach ja, der Frank Zappa ist auch da.‘
Hier ist eine ganz konkrete Story, die erstmal originell klingt und positiv – da gehe ich sofort mit. Ich fände dann diese Wende – also: ‚Frank Zappa and the Mothers were at the best place around‘ – so weit alles Ferien – und dann wird in zwei Zeilen doch relativ lapidar… ‚But some stupid with a flare gun burnt the place to the ground‘. Das ist auch jetzt schon mal reingegrätscht. So was gibt es aber. Also hier wird eine Situation eingeführt. Jetzt passiert das Unerwartete, und der Chorus nimmt schon vorweg, was passieren wird, nämlich: Rauch auf dem Wasser, Feuer im Himmel.
Wobei ich hier vielleicht eine Zeile mehr oder zwei Zeilen mehr mir gewünscht hätte um diesen Vorgang. ‚Ach ja, und dann ist noch was passiert: ein Irrer kam und hat mit einem Flammenwerfer alles angezündet. Na ja, das war lustig.‘ Es gibt einen Roland Kaiser-Schlager, den ich da immer als Referenz habe: (singt) ‚Ich hab‘ mir geschwor’n, jetzt bleib‘ ich allein / um nie mehr Gefühlen verpflichtet zu sein. / Niemals … / Doch jetzt stehst du neben mir …‘ Also, der Sprung von ´niemals!` zu ´ach komm, (da) kommt die nächste Olle‘, ist mir da einfach zu schnell. Und das könnte man hier auch sagen. Aber es ist eben auch – keck. Und ich werde eben in das Lied reingenommen und aber sofort um 180 Grad gedreht, was mir da eigentlich erzählt wird.“
"Sind das Terroristen? Sind das Durchgeknallte?"
Bei einem derart hastig hingehusteten bzw. unter dem Eindruck aktueller Ereignisse schnell abgefassten Text wie „Smoke On The Water“ kann so was schon mal passieren. Binner sieht aber auch logische Brüche:
„Ich würde immer kritisieren, dass aus dem ‚stupid‘, den ich für einen Singular halte, in der zweiten Strophe ein Plural wird: ‚They burned down the gambling house‘ – weil ich natürlich schon neugierig wäre … Ja, also jetzt aus unserer heutigen Fantasie: Sind das Terroristen? Sind das Durchgeknallte? Ist es Putin? Irgendwer wird es schon gewesen sein. Darüber erfahre ich ja eigentlich nichts, und das würde mich unbefriedigt lassen. Dann kommt Funky Claude ins Spiel, das finde ich super. Also Frank Zappa ist eine Nummer, die man kennt.
Später werden die Stones zitiert. Funky Claude war in dem erwähnten Songbuch zum Beispiel noch ´Funky Kraut`, weil keiner wusste, wer dieser ‚Claude‘ war. Ich las dann, dass das eben ein Tour-Manager war, der die Band eben begleitet hat und sich auch in dieser Notsituation da als Lebensretter betätigt hat. Der wird aber einfach so auf Augenhöhe mit Zappa reingehauen. Das finde ich auch toll, weil es dadurch gleich plausibel wird. Wir fahren nach Montreux. Frank Zappa ist da, und der Claude macht alles mit, den stelle ich dir noch vor. Finde ich gut.“
Fußnote: Die vielen divergierenden Erinnerungen der Zeitzeugen seien hier exemplarisch belegt mit einem O-Ton des 2013 verstorbenen Claude Nobs, der sich 20XX CHECK im Deutschlandfunk so erinnerte:
„Und dort kamen sie an einem Abend mit so einer kleinen Philipps-Cassette und sagten: Claude, wir haben für Dich ein Stück geschrieben und gemacht, aber das kommt nicht auf die Platte; ist nur für Dich. Und das war ‚Smoke On The Water‘, eigentlich die richtige Geschichte. Und in der Mitte der Platte steht mein Name. Franky Claude. Und seitdem nenne mich alle die Rocker: Ah, Franky Claude! Das ist jetzt mein Nickname.“
Aus dem „Funky Claude“, also dem ‚coolen Klaus‘ wird in seiner Erinnerung ein „Franky Claude“. Und auch, dass Deep Purple den Song nicht veröffentlichen wollten, entspricht nicht ganz der Erinnerung der Bandmitglieder. Aber: weiter im Text – oder Musik.
„Insofern ist es hier dann eben … also im Vergleich zu vielen so Blutorgien, die es dann später im Metal gegeben hat, alles ganz angenehm sachlich. Da ist ein Haus abgebrannt, aber es ist nichts passiert. So. Allemal erzählenswert, aber eben nicht ‚Reign in Blood‘ und Leichenteile (regnen) vom Himmel und ich habe das Gehirn meines Rhythmusgitarristen durch die Nase gezogen, sondern doch eben, ja, wie gesagt, sehr, sehr markant und irgendwie sehr, sehr spröde.
Und dann wird die Geschichte halt zu Ende erzählt. Im Theater wäre jetzt so Pause. Und dann, ja gut, ‚We ended up at the Grand Hotel, it was empty cold and bare‘ – tut einem natürlich so ein bisschen leid, dass sie jetzt in einem nicht so schönen Hotel gelandet sind. Aber besser, als wenn sie verbrannt wären. Und dann eben die Rolling Stones und ihr Truck auch halt gerade um die Ecke, ein bisschen rotes Licht und paar schöne Betten. Ach, das war dann eigentlich doch ganz schön“, sagt Matthias Binner.
Im Gegensatz zu Franz Zappa hat die Montreux-Episode für Deep Purple ein Happy End. Die Textexegese wäre damit beendet. Es bleibt: der Blick auf die Musik.
Dreiklang, Harmonien und Gitarrenriff
Till Paulmann ist Profigitarrist und Gitarrenlehrer an Musikschulen in Köpenick und Schöneweide.
„Die melodische Komponente ist ja … Das sind ja die ersten drei Töne der Moll-Pentatonik oder Bluestonleiter, auch mit dieser sogenannten ‚Blue Note‘. Das ist halt die vierte Note. Diese vier Töne, daraus besteht das ganze Ding. Man könnte sagen, rhythmisch ist es prägnant, weil es hier auf den geraden Zählzeiten, so eins, zwei, drei, vier und eins und zwei – und dann auf die „unds“ geht und dann wieder auf die geraden Zählzeiten und wieder geschickt wieder auf die „unds“ drauf.
Und harmonisch könnte man sagen, hat’s diese sogenannten Powerchords, die man ja auch als Rockgitarrist kennt – also keine richtigen Dur- oder Mollakkorde, sondern nur Grundton und Quinte, ne? Wobei jetzt oben der Grundton die Melodie spielt und die Quinte jetzt als Quarte nach unten praktisch harmonisiert. Praktisch ich könnte es auch so spielen, dann wäre jetzt der Grundton unten jetzt, so ist der Grundton oben und in Quarten – was aber im Prinzip das gleiche ist. Also ungeschlechtliche Quintakkorde.“
Diedrich Diederichsen ergänzt: „Die Quinte wird nicht aufgefüllt. Dadurch ist der Dreiklang nicht eindeutig. Er könnte Dur oder Moll sein – das bleibt sozusagen dem Publikum oder den Hörer:innen überlassen, das zu ergänzen. Und das, was daraus folgt, aus diesem offenen Akkord oder Fast-Akkord ist eben dieser Versprechenscharakter, das wird jetzt gleich noch konkreter, das wird jetzt gleich noch was. Und was es wird, ist unklar. Aber es ist irgendwie … wir haben es unter Kontrolle. Wir sind sozusagen diejenigen, die diesen, die da noch mal diesen entscheidenden Mittelton einsetzen werden, der über das Tongeschlechter dann entscheiden wird.
Das ist ein geschlechtsoffener, geschlechterfluider Akkord. Das ist da halt so wahnsinnig offensichtlich, weil es so dramatisch und ohne irgendeine weitere Idee – es passiert ja sonst da nichts. Also irgendwann setzt das Schlagzeug ein und der Bass, aber sonst ist da nix. Da ist das halt ein gutes Beispiel dafür. Aber es haben natürlich zahllose andere solche Sachen auch gemacht.“
Beethoven als Ideengeber?
Wobei Ritchie Blackmore immer mal wieder behauptet hat, sein Riff sei die berühmte Tonfolge aus Beethovens fünfter Sinfonie: Da-da-da-daaaa. Nur eben – umgekehrt. „Nö, stimmt nicht. Also tonal steht stimmt auf jeden Fall nicht. Nein“, sagt Till Paulmann.
Vielleicht hat Ritchie Blackmore auch einfach nur begriffen, dass Hardrock von den Nachgeborenen vor allem durch die ironische Brille gesehen wird. Seit der Mockumentary „This Spinal Tap“ von 1984, spätestens aber mit Filmen wie „Wayne’s World“ oder der Serie „Beavis and Butthead“ sind Hardrock- und Metalposen ironisch gebrochen. Und allerspätestens mit der Abbildung von Ozzy Osbourne als alterndem Familienvater ist die Gefahr gebannt.
Und damit kommt auch schon die Zielgrade in Sicht: 1976 trennen sich Deep Purple, 1984 kommen sie wieder zusammen. Trotz Ausstieg von Ritchie Blackmore 1993 und dem Tod Jon Lords 2012 spielt die Band unbeirrt weiter.
„Das funktioniert halt so nach dem Prinzip der Argo aus der antiken Sage; diesem Schiff, das, während es existiert, immer weiter umgebaut wurde, bis es dann eben aus völlig anderem Holz besteht, aber natürlich immer noch die Argo ist. Aber das ist ja ein verbreitetes Phänomen, das ist ja nicht beschränkt auf Deep Purple, dass solche Bands ein drittes, viertes, fünftes Leben haben, und kein Originalmitglied mehr dabei ist hier.
Hier bei uns, auf dem auf dem Winterfeldtplatz im Weihnachtsmarkt spielten neulich mal Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Titch – ohne Dave Dee, Dozy, Beaky Mick und Titch also. Insofern ist … Ich meine, vielleicht ist Beaky noch dabei gewesen oder Titch … der Rest jedenfalls nicht, aber sie hießen noch so“, sagt Diedrich Diederichsen.
"Smoke On The Water" und kein Ende
Mit anderen Worten: Die Band wird sich irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes überlebt haben. Das Riff aber lebt weiter. Und das diffundiert bereits heftig in die nächste Generation.
„Ja, von TikTok kennen die das. Die kennen alles von TikTok. Meine sind 15 und 18 also genauso wie Deine, anscheinend bloß ein Jahr älter. Aber der Kleine kennt es auch von TikTok. Und weil das überall vorkommt“, Jenni Zylka.
Till Paulmann ergänzt: „Dieses Riff hat sich durchgesetzt, das ist aus meiner Sicht bekannter als die Band selber. Und jedes Kind kann es aus irgendeinem Grund, obwohl es aus einer ganz anderen Zeit kommt, gleich mitsingen. Und hat es relativ schnell im Ohr. Oder kennt es meistens schon.“
Till Paulmann ergänzt: „Dieses Riff hat sich durchgesetzt, das ist aus meiner Sicht bekannter als die Band selber. Und jedes Kind kann es aus irgendeinem Grund, obwohl es aus einer ganz anderen Zeit kommt, gleich mitsingen. Und hat es relativ schnell im Ohr. Oder kennt es meistens schon.“
Autor: Ralf Bei der Kellen
Ton: Andreas Stoffels
Redaktion: Martin Hartwig