Keine platten Gegenüberstellungen
480 Bilder aus 40 Jahren, aus der DDR und dem vereinten Deutschland, zeigt die Ausstellung in den Deichtorhallen. In der sozialdokumentarischen Fotografie fanden Ute und Werner Mahler ihren eigenen Stil - den Weg dorthin vermag die Ausstellung jedoch nicht so recht nachzuzeichnen.
Bergarbeiter im Schacht, bis auf den Helm splitternackt, auf engstem Raum, der Kohlestaub wird spürbar auf diesen grobkörnigen, verschatteten Schwarzweißfotos. Mit seiner Serie "Steinkohlenwerk Martin Hoop" rückte Werner Mahler 1975 nicht gerade die Schokoladenseite des Arbeiter- und Bauernstaats vor Augen. Jetzt, in einer Ausstellung der Hamburger Deichtorhallen, erinnert die ungewöhnlich hautnahe, aber eben auch stilisierende Darstellungsweise an beste sozialdokumentarische Fotografie.
Werner Mahler: "Nein, das war keine Sozialforschung! Das war die große Neugier, wissen wollen, wie bestimmte Sachen aussehen, wo man überhaupt keine Vorstellungen hat, wie das ist – die Vorstellungen nur von anderen präsentiert bekommt, wenn überhaupt. Das selber zu erleben, selber vor Ort zu sein, das war der große Wunsch."
Dagegen stand die "offizielle 6x6-Fotografie in den Magazinen", wie Ute Mahler den Bildjournalismus im Parteiauftrag nennt. Sie hat wie ihr Mann Werner in Leipzig studiert – und ebenfalls ihren eigenen Stil gesucht. 1973 ging die Tochter eines Berufsfotografen in einen Zirkus, interessierte sich aber nicht für die Sensationen unter der Zeltkuppel, für den großen Moment. Sie drang in die private Sphäre der Wohnwagen vor.
Gregor Gysi in der Dachkammer
Die Kleinbildkamera nutzte Ute Mahler 1990 für Fotos aus dem Frauengefängnis Hoheneck: Das ist die erste und wohl auch einzige "Knastreportage" der DDR. Danach scheinen Ute Mahlers Porträts gelassener, in aller Ruhe erarbeitet: In Farbe inszeniert sie Gregor Gysi in der Dachkammer, Egon Bahr am Kantinentisch, Wolf Biermann, wie er durch ein beschlagenes Fenster schaut – mit sehr melancholischer Note.
Werner Mahler kapriziert sich auf Landschaften. Er entscheidet sich nie generell für Farbe, nur von Fall zu Fall. 1977 musste Werner Mahler noch in Schwarz-Weiß fotografieren: Das Porträt des Heimatdorfes Berka, eine in jeder Hinsicht "teilnehmende" Langzeitbeobachtung von Familienfesten, Hausschlachtungen, dem Alltag von Traktoristinnen und der Landarbeiter-Brigade. Und dann eine Zeitreise – ohne Happy-End:
"Dieser schöne Auftrag, 20 Jahre später für den 'Stern' wieder in dieses Dorf zu fahren und die blühenden Landschaften zu zeigen. Der Art Director wollte, dass ich in Farbe fotografiere. Ich habe mich geweigert, habe gesagt, auf keinen Fall in Farbe, denn ich möchte nicht diese platte Gegenüberstellung: damals war alles Schwarz-Weiß und heute ist alles bunt und wunderschön."
Nicht immer "wunderschön", aber stets ungewöhnlich war jede Ausgabe der begehrten Modezeitschrift "Sibylle": Wenn Fotografen in Hamburg, London oder Paris die Models auf Hinterhöfen, vor grauen Häuserfronten, in heruntergekommenen Straßen in Szene setzten, gab das ihren Bildern erst den richtigen Kick. Doch in der DDR musste das als Provokation gelten.
"Man hat eine große Verantwortung"
Ute Mahler: "Also wenn ich sagen würde, das war politisch subversiv, dann wäre das zu groß. Aber wir hatten nicht dieses Optimistische, Dekorative, Vordergründige. So mussten wir versuchen, auch in unseren Modefotos unsere Haltung, unsere Meinung zu sagen, unsere Geschichten zu erzählen."
Dieser "subjektive Faktor", kultiviert in der Redaktion der "Sibylle", hat durchaus nicht als Nischenprodukt überdauert: Die Mahlers waren Pioniere der Autorenfotografie. Aber wer zu DDR-Zeiten in der Widerständigkeit, der kreativen Opposition gegen ein starrsinniges Regime seine Auswege, damit auch seinen Stil fand, der musste nach dem Mauerfall in aller "Wahlfreiheit" seine möglichst eigene Ästhetik suchen.
"Es kommt etwas hinzu, das man Interpretation nennen kann, da spielt das Subjektive eine Rolle. Da hat man eine große Verantwortung, man erzählt ja aus eigener Sicht etwas."
Die "eigene Sicht" führte erst einmal zu unterschiedlichen, manchmal gegensätzlichen Anläufen. Und dann 2009 die "Monalisen der Vorstädte", die erste Gemeinschaftsarbeit: Junge Frauen, mit der Großformatkamera in gleichbleibendem Abstand fotografiert vor weiten Stadtlandschaften. Keine dogmatische Konzeptfotografie, sondern jedes Bild das Ergebnis eines Gesprächs, des gegenseitigen Beurteilens. Mit Blick und Gesten setzt sich jede einzelne "Mona Lisa" durch gegen die verschwimmenden Architekturen, die Wohnblocks und Einkaufscenter im Hintergrund. Die Mahlers haben zu ihrem Stil gefunden – schade nur, dass in dieser Schau mit 480 Bildern aus 40 Jahren nicht so recht deutlich wird, wie es dazu kam.