"Deine Frau, Dein Freund, Dein Kollege, Dein Alles"

Von Anette Schneider |
Die Ausstellung zeigt nicht nur das Werk einer zu Unrecht vergessenen Malerin, sondern erzählt auch exemplarisch vom Leben einer bürgerlichen Frau, die um 1900 versucht, Beruf und Familie zusammenzubringen – und daran aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse scheitert.
Ein bisschen Zeichnen am Morgen, ein bisschen Musizieren oder Dichten am Abend – das Dilettieren in den Künsten gehörte Ende des 19. Jahrhunderts für ein bürgerliches Mädchen zum guten Ton, steigerte die "ästhetische Erziehung" doch ihren Wert auf dem Heiratsmarkt, da sie dem künftigen Gatten eine angenehme Gesprächspartnerin und souveräne Gastgeberin zu sein versprach.

Ganz anders standen die Dinge, meinte es eine ernst mit der Kunst. So wie Hermine Rothe. 1869 im niedersächsischen Walsrode in einer wohlhabenden Walsroder Familie geboren, wollte sie unbedingt Malerin werden - stieß damit aber bei ihren Eltern auf taube Ohren. So schien ihr Werdegang vorgezeichnet, denn, so Katja Pourshirazi, die Leiterin des Overbeck-Museums:

"Eine Frau konnte schlecht nach draußen gehen und sagen, ich studiere jetzt auf eigene Faust Kunst. Sondern Frauen waren darauf angewiesen, dass die Familie diesen Berufswunsch unterstützte. Unter anderem auch deshalb, weil sie an den staatlichen Akademien nicht zugelassen waren, so dass Frauen auch ganz direkt auf die finanzielle Unterstützung der Familie angewiesen waren, um den Beruf ergreifen zu können."

Also beugte sich Hermine Rothe ihren Eltern: Als Vorbereitung auf die Ehe absolvierte sie eine Hauswirtschaftslehre, danach arbeitete sie in einem Göttinger Professorenhaushalt als Erzieherin. Gleichzeitig aber nahm sie Malunterricht, begann 1890 eine Fotografinnenausbildung - und hatte mit 23 Jahren endlich den Kampf gegen ihre Eltern gewonnen: Sie durfte nach München gehen, und an der sogenannten "Damenakademie" Kunst studieren.
"Man darf nicht unterschätzen, dass auch diese Damenakademien immer noch ein bisschen am Rande des gesellschaftlich Anerkannten standen. Und die Malstudentinnen damals wurden eben zu dieser Zeit auch schon "Malweiber" genannt, wie wir das heute auch so als stehenden Begriff aus der Zeit kennen."

Die Ausstellung zeigt: Von Anfang an widmete sich Hermine Rothe ganz der Landschaftsmalerei. Die frühesten Arbeiten sind noch dem Naturalismus verpflichtet. Doch schnell löst sie sich von den akademischen Vorgaben, und wendet sich den Ideen der jungen Freiluftmalerei zu: Der ging es nicht um abbildhafte Genauigkeit, sondern darum, die Atmosphäre einer Landschaft einzufangen.

1896 entdeckte Hermine Rothe in einer Ausstellung Bilder des gleichaltrigen Fritz Overbeck. Die Art, wie er die Ideen der Freiluftmalerei umsetzte, faszinierte sie so, dass sie als seine Schülerin nach Worpswede ging. - Drei Monate später waren die beiden verlobt.

Wie groß die Angst Hermine Rothes vor dieser Entscheidung war, dokumentieren die Briefe, die sich das Liebespaar in dem traditionell getrennt verbrachten Verlobungsjahr schrieb, und von denen die Ausstellung einige zeigt: Immer wieder fragt die junge Künstlerin, wie sich Ehe, Familie und Malerei zusammenbringen lassen werden.

"Sie will nicht das Eine für das Andere aufgeben, und sieht aber selber, dass das nicht zu 100 Prozent funktionieren kann, und sie Kompromisse machen muss."

In den ersten Jahren arbeitete sie viel: Zwischen 1897 und 1904 entstand ihr Hauptwerk. Anders als ihre männlichen Kollegen, die auf großem Format hohe Himmel und weite Blicke über Wiesen und Moore malen, wählte Hermine Overbeck-Rothe kleinere Formate. Und: Sie holt ihre Motive ganz nah heran, verdichtet sie zu charakteristischen Merkmalen der norddeutschen Landschaft: Sie zeigt ein Stück sonnenbeschienene rote Backsteinmauer, das Licht- und Schattenspiel auf einem Feldweg, oder drei nackte Birkenstämme, die senkrecht durch das Bild ragen - und deren Kronen sich in einem Graben spiegeln.

Die über 100 ausgestellten Arbeiten veranschaulichen eindrucksvoll, wie Hermine Overbeck-Rothe ihren eigenen künstlerischen Weg suchte - bis Haushalt, zwei Kinder und eine mehrjährige Tuberkulose sie zwangen, das Malen fast völlig aufzugeben. Als 1909 völlig überraschend ihr Mann starb, widmete sie sich fortan der Vermittlung seines Werks: Sie organisierte Ausstellungen mit seinen Bildern - nicht mit ihren. Sie legte ein Werkverzeichnis seiner Bilder an - nicht ihrer. Katja Pourshirazi:

"Als sie 1937 starb, wussten selbst die Kinder kaum noch, dass sie eigentlich Malerin war. Und als das Atelier ihres Mannes ausgeräumt wurde, nach ihrem Tod, wurde hinter seinen Bildern 200 Studien von ihr gefunden, von denen niemand etwas gewusst hatte. Die Kinder waren selbst überrascht, wie sehr sie selbst Malerin war. Malerin mit Leib und Seele. Das hat sie wirklich in ihrem Leben sehr stark verborgen."

Denn obwohl Hermine Overbeck-Rothe sich mühsam ein Künstlerinnen-Dasein erkämpfte: gegen vorherrschende Rollenzuweisungen und angeblich weibliche Tugenden wie "Bescheidenheit" oder das "Zurückzustehen hinter dem Ehemann" kam auch sie nicht an. Und so stellt die Ausstellung nicht nur eine zu Unrecht vergessene Malerin vor, sondern erzählt exemplarisch auch von dem Leben einer bürgerlichen Frau, die um 1900 versucht, Beruf und Familie zusammenzubringen – und daran aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse scheitert.