Deine Stadt, dein Raum

Von Carsten Probst |
Straßen, Plätze und Promenaden sollen jedem gehören, so die Vorstellung, die im Begriff öffentlicher Raum mitschwingt. Doch längst sind viele Städte zu Orten geworden, die nur zielstrebig durchwandert werden: zum nächsten Cafe, Laden oder in die eigene Wohnung. Auf einer Tagung in Leipzig stellten Künstler Projekte vor, die sich mit dem öffentlichen Raum beschäftigen - und so verschiedenen europäischen Städten den Puls fühlen.
Gibt es ihn überhaupt noch: den Öffentlichen Raum? Er erscheint wie ein Witz aus einem vergangenen Jahrhundert. Nun gut, ab und zu versammeln sich in Berlin in der Nähe des Regierungsviertels ein paar Demonstranten. Vor dem Brandenburger Tor gibt es manchmal Auftritte von Politikern und natürlich Public Viewing. Das Holocaust-Mahnmal nebenan gilt als vielleicht bestbesuchtes Denkmal Europas.

Das aber sind Ausnahmen, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass das öffentliche Leben längst zur Privatsache geworden ist und sich allenfalls Kunsthistoriker für die Ruinen einer Kultur des öffentlichen Lebens noch interessieren. Seit 1999 beschäftigt sich das Bauhaus Kolleg an der Stiftung Bauhaus in Dessau in wechselnden Projekten mit dieser Frage, nicht nur Wissenschaftler, auch Architekten und Künstler sind dabei.

"Gerade Kaliningrad und Tallinn auf eine andere Weise sind ja zwei Orte, an denen dieser Strukturwandel sehr stark sichtbar ist im Stadtraum und der gerade im öffentlichen Raum ein wichtiges Thema ist, weil der unter völlig anderen Kontexten sich eigentlich entwickelt hat als das, was man sozusagen in westlichen europäischen Gesellschaften beobachten kann,"

erklärt die Projektleiterin Regina Bittner, die sich in diesem Jahr auf diejenigen Städte konzentriert hat, die nach der EU-Osterweiterung an der Außengrenze der Union liegen und an denen sich die Veränderungen im Stadtbild besonders deutlich zeigen.

Denn bei diesen ehemals sozialistischen Städten ist der urbane Raum noch immer geprägt von großen Arealen, an denen die sozialistischen Stadtplaner einst das öffentliche Leben des Arbeiterkollektivs demonstrieren wollten. Großsiedlungen und Aufmarschplätze - die Stadt gehörte angeblich allen und wird nun allmählich von den Insignien privaten Konsums durchzogen.

Kaliningrad wiederum, das alte Königsberg, gehört bekanntlich heute zu Russland, die Stadtgrenzen sind nach der EU-Osterweiterung jedoch zu dem geworden, was man in EU-Verwaltungsdeutsch "Schengen-Grenze" nennt. Theoretisch können also Ausländer, die von hier aus in irgendein Land der EU reisen wollen, hierhin zurückgeschickt werden, wenn man sie in EU-Land als Wirtschaftsflüchtlinge einschätzt. In Kaliningrad hat das Bauhaus-Kolleg mit der Berliner Künstlerin Dominique Hurth ein Projekt gestartet, das die Situation der Kaliningrader Bevölkerung thematisieren soll.

"In Kaliningrad war das vor dem deutschen Konsulatsgebäude und wie so eine Art vorgeschaltete Visabeantragung, war eine spielerische Visabeantragung, um mit den Leuten über die Hintergründe ihrer Reisen zu sprechen und trotzdem eine Art Antragsformular zu verwenden, um somit irgendwie die Hintergründe und Motive des Reisens und die Probleme, die sich für die Kaliningrader dadurch ergeben, herauszufinden."

So Stefan Rettich, Stadtplaner und Architekt aus Leipzig, der das Projekt des Bauhaus Kollegs mit betreut.

"In Tallinn war es eine Varianz von Interventionen im öffentlichen Raum, die zum Teil mit dem Alkoholtourismus aus Finnland gespielt haben. Die Finnen belagern übers Wochenende immer das Hafenareal von Tallinn, allein aus dem Grund, weil der Alkohol günstiger ist, und es war so eine Spielwiese, um den Finnen und auch des Esten den Spiegel vorzuhalten."

Auf der Tagung in Leipzig stellte man noch weitere Projekte dieser Art vor, bei denen Künstler in der Zusammenarbeit mit Stadtplanern und Soziologen kleine ephemere Interventionen in Städten veranstalten, um herauszufinden, wie es mit dem öffentlichen Raum bestellt ist und gewissermaßen seinen Puls zu messen.

Diese Künstler interessieren sich nicht mehr für Denkmale mit Ewigkeitscharakter, ihre Projekte sind temporär und zielen auf den Dialog mit der Bevölkerung. Adam Page etwa, ein britischer Künstler, hat sich seit Jahren in Dresden einen Namen gemacht, weil er mit einem mobilen Kiosk durch die Stadt zieht und mit ihm und verschiedenen kleinen Kunstaktionen den Ausverkauf der Innenstadt an Großinvestoren thematisiert. Damit findet er vor allem in den Vorstädten wachsenden Anklang, wo jene ärmeren Schichten wohnen, die nach und nach in die Hochhausburgen am Stadtrand verdrängt wurden.

Ein anderes, standortpolitisch durchaus brisantes Projekt wurde im Jahr 2006 von fünf Berliner Künstlern gestartet - der sogenannte Skulpturenpark Berlin Zentrum, der im Grunde genommen nichts anderes ist als eine große Brachfläche auf dem einstigen Mauerstreifen zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg. An heutigen Maßstäben gemessen eine Top-Lage für Investoren. Doch die Künstler haben sie sich frühzeitig gesichert und halten sie für temporäre künstlerische Projekte offen, bewahren die grasüberwucherte Leere als eine Art Bühne, während sich rundherum die Kräne neuer Großprojekte drehen. Hier erscheint der öffentliche Raum als großes Nichts, als offengehaltene historische Wunde, die möglicherweise mehr aussagt als jedes pathetische Denkmal. Dieser öffentliche Raum ist nicht schön - aber die Geschichte, auf die er verweist, war es schließlich auch nicht.