Dekonstruktion dummer Stereotypen
Anfang des vorigen Jahrhunderts befeuerte die österreichische Frauenrechtlerin Rosa Mayreder eine Debatte über Geschlechterrollen. Im Wiener Mandelbaum Verlag ist nun ein Lesebuch mit Mayreders Texten erschienen.
Dass sich nichts so ähnelt wie zwei feministische Texte, die im Abstand von hundert Jahren geschrieben wurden, ist eine Binsenweisheit der Frauenbewegung. Feminismus und Debatten um die Gleichberechtigung von Frauen gibt es in Europa spätestens seit der Renaissance, und die Argumente, die man darin findet, wiederholen sich oft. Trotzdem ist ein Blick in feministische Schriften früherer Epochen reizvoll – die historische Verfremdung führt oft zu überraschenden Einsichten.
So auch bei den Schriften Rosa Mayreders, einer der bekanntesten österreichischen Feministinnen der Zeit um 1900, die jetzt vom kleinen Wiener Mandelbaum Verlag sehr verdienstvollerweise in einer kleinen Auswahl wieder zugänglich gemacht worden sind.
Mayreders Essays befassen sich kritisch mit den biologischen Geschlechter-Theorien der Zeit, gehen auf politische und soziale Fragen ein oder stellen spekulative kulturhistorische Thesen auf. Sie weisen dabei nicht nur ein hohes theoretisches Niveau auf, sondern sind auch stilistisch elegant geschrieben und erstaunlich modern im Duktus. Und immer wieder erfrischend ironisch und boshaft in ihrer messerscharfen Dekonstruktion dummer Stereotypen.
Der Band beginnt mit einer herrlich süffisanten Blütenlese, in der Mayreder die widersprüchlichen Beschreibungen des weiblichen Geschlechts aufspießt, die sie bei Ärzten und Philosophen ihrer Zeit vorfindet: Das "Weib" wird wahlweise beschrieben als fügsam und unterordnungsbedürftig oder als unersättlich herrschsüchtig; als sanftmütig oder als zornig und unbeherrscht; als instinktiv gesetzestreu oder als "halbkriminaloid"; als maßvoll oder übermäßig; als grundsätzlich zivilisierende oder aber als urwüchsig subversive Kraft; als treu in der Liebe oder aber als launisch und flatterhaft. Von hier ausgehend gelangt Mayreder zu einer gründlichen Dekonstruktion fast aller biologischen Geschlechtertheorien ihrer Zeit.
Die Frage aber, was das Männliche und das Weibliche ausmacht, ist damit nicht abgetan. Andere Texte nähern sich der Frage mehr kulturtheoretisch, etwa wenn sich Mayreder mit der Männlichkeit befasst und der um 1900 beliebten These, dass die moderne Zivilisation insgesamt zu einer Verweichlichung des ursprünglich starken Geschlechts geführt habe.
Mayreder setzt auch hier wieder auf schlagende und amüsante Beispiele, um zu zeigen, wie relativ die Vorstellung von Männlichkeit in Wahrheit ist: Die romanischen Nationen, italienische Liebhaber allesamt, sagten den "blonden Deutschen" eine "mehr weibliche Art" zu lieben nach, indessen die Deutschen in nationaler Überheblichkeit sich für männlicher als die slawischen Männer hielten, welche ihrerseits die Deutschen wiederum für gefühlskalt ansähen. Und so weiter und so fort.
Es gibt noch viele weitere schlagkräftige und wohl formulierte Überlegungen zum Problem der Geschlechter zu entdecken und wer sich wieder mal in Erinnerung rufen will, wie intensiv die "Gender"-Debatten auch schon um 1900 geführt wurden – als Teil der philosophischen Auseinandersetzung mit der Moderne, aber auch im Zuge der ersten großen politischen Frauenbewegung – dem sei dieser Band wärmstens empfohlen.
Besprochen von Catherine Newmark
Rosa Mayreder: Zivilisation und Geschlecht. Ein Lesebuch
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Eva Geber
Mandelbaum Verlag, Wien 2010
200 Seiten, 19,90 Euro
So auch bei den Schriften Rosa Mayreders, einer der bekanntesten österreichischen Feministinnen der Zeit um 1900, die jetzt vom kleinen Wiener Mandelbaum Verlag sehr verdienstvollerweise in einer kleinen Auswahl wieder zugänglich gemacht worden sind.
Mayreders Essays befassen sich kritisch mit den biologischen Geschlechter-Theorien der Zeit, gehen auf politische und soziale Fragen ein oder stellen spekulative kulturhistorische Thesen auf. Sie weisen dabei nicht nur ein hohes theoretisches Niveau auf, sondern sind auch stilistisch elegant geschrieben und erstaunlich modern im Duktus. Und immer wieder erfrischend ironisch und boshaft in ihrer messerscharfen Dekonstruktion dummer Stereotypen.
Der Band beginnt mit einer herrlich süffisanten Blütenlese, in der Mayreder die widersprüchlichen Beschreibungen des weiblichen Geschlechts aufspießt, die sie bei Ärzten und Philosophen ihrer Zeit vorfindet: Das "Weib" wird wahlweise beschrieben als fügsam und unterordnungsbedürftig oder als unersättlich herrschsüchtig; als sanftmütig oder als zornig und unbeherrscht; als instinktiv gesetzestreu oder als "halbkriminaloid"; als maßvoll oder übermäßig; als grundsätzlich zivilisierende oder aber als urwüchsig subversive Kraft; als treu in der Liebe oder aber als launisch und flatterhaft. Von hier ausgehend gelangt Mayreder zu einer gründlichen Dekonstruktion fast aller biologischen Geschlechtertheorien ihrer Zeit.
Die Frage aber, was das Männliche und das Weibliche ausmacht, ist damit nicht abgetan. Andere Texte nähern sich der Frage mehr kulturtheoretisch, etwa wenn sich Mayreder mit der Männlichkeit befasst und der um 1900 beliebten These, dass die moderne Zivilisation insgesamt zu einer Verweichlichung des ursprünglich starken Geschlechts geführt habe.
Mayreder setzt auch hier wieder auf schlagende und amüsante Beispiele, um zu zeigen, wie relativ die Vorstellung von Männlichkeit in Wahrheit ist: Die romanischen Nationen, italienische Liebhaber allesamt, sagten den "blonden Deutschen" eine "mehr weibliche Art" zu lieben nach, indessen die Deutschen in nationaler Überheblichkeit sich für männlicher als die slawischen Männer hielten, welche ihrerseits die Deutschen wiederum für gefühlskalt ansähen. Und so weiter und so fort.
Es gibt noch viele weitere schlagkräftige und wohl formulierte Überlegungen zum Problem der Geschlechter zu entdecken und wer sich wieder mal in Erinnerung rufen will, wie intensiv die "Gender"-Debatten auch schon um 1900 geführt wurden – als Teil der philosophischen Auseinandersetzung mit der Moderne, aber auch im Zuge der ersten großen politischen Frauenbewegung – dem sei dieser Band wärmstens empfohlen.
Besprochen von Catherine Newmark
Rosa Mayreder: Zivilisation und Geschlecht. Ein Lesebuch
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Eva Geber
Mandelbaum Verlag, Wien 2010
200 Seiten, 19,90 Euro