Delphine de Vigan: "Die Kinder sind Könige"

Wenn Eltern ihre Kinder als Influencer vermarkten

06:22 Minuten
Cover des Kriminalromans "Die Kinder sind Könige" von Delphine de Vigan. Es zeigt eine verfremdete Illustration einer Person, deren untere Körperhälfte zu sehen ist: Unter einem gelben Rock sind rote Beine zu sehen, die über einen hellblauen Boden laufen.
© DuMont Buchverlag

Delphine de Vigan

Aus dem Französischen von Doris Heinemann

Die Kinder sind KönigeDumont, Köln 2022

315 Seiten

23,00 Euro

Von Birgit Koß |
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Als ein Mädchen verschwindet, geraten die Eltern ins Visier, die ihre Kinder zu Internetstars aufgebaut haben und so steinreich geworden sind. Bestsellerautorin Delphine de Vigan hat einen Krimi über die Abgründe eines Influencer-Lebens geschrieben.
Die französische Bestsellerautorin Delphine de Vigan widmet sich immer wieder gesellschaftlichen und sozialen Verwerfungen. So hat sie sich mit Magersucht, der Einsamkeit Hochbegabter, dem Stalking und vernachlässigten Kindern beschäftigt. In ihrem jüngsten Roman geht es um Kinder, die Influencer in den sozialen Netzwerken sind.
Dafür wählt die Autorin mit "Die Kinder sind Könige" erstmals das Genre eines Kriminalromans. Er beginnt 2019 mit einem Polizeiprotokoll zum Verschwinden der sechsjährigen Kimmy Diore. Dabei stellt sich heraus, dass Mutter Mélanie mit ihren Kindern Sammy und Kimmy einen YouTube- und Instagram-Kanal betreibt mit über fünf Millionen Followern – und einem jährlichen Einkommen in Millionenhöhe. Handelt es sich also um eine gezielte Entführung und Erpressung?

Kinder als niedliche Stars

Parallel zu den nüchternen Ermittlungsprotokollen erzählt die Autorin einfühlsam in jeweils eingeschobenen Rückblenden die Lebensgeschichte von Mélanie und der zweiten Protagonistin Clara, die zum Polizeiapparat gehört, und verfolgt die aktuelle Geschichte der Familie und der Ermittlung für sechs Tage. Beide Frauen sind Mitte der 80er-Jahre geboren, aufgewachsen mit den ersten Reality-Shows im Fernsehen. Mélanie, die Zeit ihres Lebens um die Liebe und Anerkennung ihrer Mutter kämpft, flüchtet sich in diese „Scheinwelten“.
Nach der Geburt ihres zweiten Kindes inszeniert sich die Hausfrau und Mutter über Videos als ideale Mutter. Schnell werden ihre beiden kleinen, niedlichen Kinder zu Stars und Mélanie fühlt sich von ihren Followern geliebt. Durch gezieltes Product Placement und „Unboxing“, das Auspacken von Spielsachen vor laufender Kamera, beginnen die Werbeeinnahmen zu fließen. Der Familienvater Bruno gibt seinen Job auf und widmet sich ganz dem Filmen, Schnitt und der Ausrüstung. Mélanie wird zur geschickten Regisseurin der Videos und Managerin der Vermarktung. Beide Elternteile sind davon überzeugt, dass sie das Allerbeste für ihre Kinder tun.

Polizistin durchschaut die Abgründe

Die zweite Protagonistin Clara steht im krassen Gegensatz zu Mélanie. Aufgewachsen in einem liebevollen und gesellschaftskritischen Elternhaus ist die nur 1,45 Meter große Frau äußerst durchsetzungsfähig mit einem sehr klaren, analytischen Verstand. Sie ist Procédurière bei der Polizei. Das heißt, sie wertet alle Ermittlungsdetails aus und führt sie zusammen, um sie dann der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen.
So durchschaut Clara die Hinter- und Abgründe, die sich mit der Rolle von Kindern als Influencer auftun. Sie zeigt, wie wenig die meisten Menschen sich mit der Frage beschäftigen, was dieses permanente Filmen und Streamen für die Entwicklung und Gesundheit der Kinder bedeutet. Delphine de Vigan verurteilt nicht, vielmehr versucht sie zu verstehen, was sich hinter diesem so aktuellen Phänomen verbirgt.
Und sie geht weit über den Kriminalfall hinaus, denn im letzten Drittel springt sie in das Jahr 2031: eine düstere Utopie aus Sicht der inzwischen erwachsenen Influencer-Kinder. Spannungsvoll, scharfsinnig und äußerst detail- und faktenreich erzählt Delphine de Vigan, wie Menschen dazu kommen, ihr Leben und das ihrer Kinder hemmungslos über Social Media zu vermarkten und wie wenig die Gesellschaft darauf reagiert.

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