"Dem Andenken eines Engels"

Gast: Volker Scherliess; Moderation: Michael Dasche · 25.11.2012
Im Frühjahr 1935, als Alban Berg von der Arbeit an seiner Oper "Lulu" voll in Anspruch genommen war, bestellte der amerikanische Geiger Louis Krasner ein Violinkonzert bei ihm. So ungelegen dieser Auftrag kam, ablehnen wollte Berg ihn nicht, hoffte er doch, durch das beträchtliche Honorar für eine Weile finanziell gesichert zu sein.
Wie das Konzert angelegt sein würde, darüber war sich Berg – abgesehen davon, dass es sich um ein 12-Ton-Werk handeln sollte – zunächst unschlüssig.

Das änderte sich schlagartig angesichts eines überaus tragischen Ereignisses: Am Ostertag des Jahres 1935 starb Manon Gropius, die 18-jährige Tochter der mit Alban und Helene Berg befreundeten Alma Mahler-Werfel aus ihrer Ehe mit dem Architekten Walter Gropius. Berg war zutiefst erschüttert, und diese Betroffenheit setzte in ihm, der sonst eher langsam und bedächtig arbeitete, ungewöhnliche schöpferische Kräfte frei. Er fasste die Idee, dem verstorbenen Mädchen ein musikalisches Denkmal zu setzen.

Bereits wenige Wochen später war die Komposition beendet. Aus dem biografischen Hintergrund, vor allem aus dem tragischen Geschehen, ergab sich die Dramaturgie des instrumentalen Requiems. "Leben", "Todeskampf" und "Verklärung eines engelsgleichen Menschen" sind die Stationen eines quasi programmmusikalischen Verlaufs, der aber durch die strenge Organisation des Reihenmaterials zugleich eine autonom musikalische Qualität bekommt.

Für die Reife der Interpretation ausschlaggebend ist nicht nur die Bewältigung der virtuosen Anforderungen, sondern mehr noch, das der "Ton" (ein Lieblingsbegriff Alban Bergs) getroffen wird, um den es dem Komponisten zu tun war. Worin er bestehen könnte, von welchen Solisten und Dirigenten er gefunden oder verfehlt wurde, soll anhand zahlreicher historischer und jüngerer Einspielungen erörtert werden.