Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur
Wer wir sind, das steht in unseren Genen. Diese Einsicht ist gerade mal 60 Jahre alt. Heute gibt die moderne Genetik Auskunft über Verwandtschaftsverhältnisse oder Abstammungen ganzer Völker. Synthetische Biologen glauben sogar, dass sie mit ihrem Wissen Lebewesen konstruieren können, sagt der Wissenschaftsjournalist Michael Lange.
Matthias Hanselmann: Genau 60 Jahre ist es her, dass der erste Artikel erschien, in dem die DNA erwähnt wurde, die Desoxyribonukleinsäure. Noch nicht einmal zwei Seiten waren es, auf denen zwei junge Forscher schlicht erklärten, die Grundlage des Lebens entdeckt zu haben: der US-Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick. Eine wissenschaftliche Sensation, für die beide später auch den Nobelpreis erhielten – wichtige Vorarbeit hatten zwei weitere Forscher geleistet: Maurice Wilkins und Rosalind Franklin, Wilkins bekam ebenfalls den Nobelpreis, Franklin verstarb, bevor sie ihn entgegennehmen konnte. Über die Bedeutung dieser Entdeckung spreche ich jetzt mit dem Wissenschaftsjournalisten Michael Lange, für uns in einem Studio in Köln. Guten Tag!
Michael Lange: Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Herr Lange, einer der Entdecker, der Biologe Francis Crick, hat damals an seinen zwölfjährigen Sohn geschrieben: Wir sind sehr aufgeregt. Wir haben wahrscheinlich eine sehr wichtige Entdeckung gemacht. Wie wichtig war diese Entdeckung wirklich?
Lange: Ja, wenn man diesen Brief, der jetzt kürzlich versteigert wurde, wenn man den weiter liest, dann ist da drin auch der entscheidende Satz, und zwar spricht Francis Crick da von einem Code, also da ist irgendwas verschlüsselt in diesem Molekül. Man wusste schon, dass die DNA möglicherweise ein wichtiges biologisches Molekül ist, aber bis dahin war es eigentlich nur so eine klebrige Paste, die man aus Zellkernen gewinnen konnte.
Und Watson und Crick haben mit den Daten ihrer Kollegen sozusagen herumgespielt und gebastelt und haben dann eine Struktur entwickelt und haben herausgefunden, wie dieses Molekül aussieht. Und von diesem Aussehen konnten sie tatsächlich schließen, dass es nicht nur irgendein Molekül ist, das irgendeine Form hat, sondern dass in diesem Molekül Information steckt, und zwar, wie die Wissenschaftler heute sagen, in den Basen. Das sind also wirklich einzelne kleine Teile dieses Moleküls, die sich wirklich von vorne nach hinten lesen lassen. Und das war in der Tat eine Überraschung, dieser Kern des Lebens, der war ja bis 1953, bis vor 60 Jahren, nicht zugänglich, und der war jetzt auf einmal zugänglich, und dann ließ sich damit sehr viel erforschen.
Hanselmann: Und das alles in Form der berühmten Doppelhelix, die man immer mal wieder sehen kann. Der wohl populärste Zweck, den diese Entdeckung heute erfüllt, ist die DNA-Analyse zu kriminalistischen Zwecken: Täter hinterlassen einen genetischen Fingerabdruck, selbst, wenn sie auch nur eine einzige Zelle ihres Körpers hinterlassen, zum Beispiel einen Hautpartikel. Aber das ist natürlich nur ein kleiner Teil dessen, was sich im Zusammenhang mit der DNA in den vergangenen 60 Jahren entwickelt hat. Was sind denn für Sie die wichtigsten Errungenschaften?
Lange: Also das ist durchaus eine wichtige Errungenschaft, die Identifizierung, dass sich Menschen an ihren Erbmolekülen, die sie überall hinterlassen, identifizieren lassen. Mindestens genau so wichtig, für die Forschung natürlich noch wichtiger ist die Verwandtschaftsanalyse. Das heißt, man kann herausfinden, wer ist mit wem verwandt, am bekanntesten sind ja die Vaterschaftstests. Aber für Evolutionsforscher hat sich da auch etwas ganz Wichtiges aufgetan. Man konnte tatsächlich herausfinden, wer sind unsere Vorfahren, wie hat sich die Menschheit entwickelt, wie ist diese ganze Evolution überhaupt abgelaufen.
Und als man dann immer genauer hinschaute, hat man tatsächlich entdeckt, das, was Charles Darwin vorhergesehen hat, das hat tatsächlich auf molekularer Ebene stattgefunden. Wissenschaftshistoriker sagen heute, da wurden zwei Linien verknüpft, einmal die von Charles Darwin, der die Evolution vorhergesagt hat, und Gregor Mendel, der die Gesetze der Vererbung erkannt hat. Und plötzlich wusste man genau, wie das funktioniert, und dann ließen sich Verwandtschaften wirklich untersuchen. Also man kann ja jetzt – man kriegt immer wieder neue Ergebnisse – herausfinden, wer waren unsere Vorfahren, wie hat sich die Menschheit entwickelt, welche Völker stammen von anderen Völkern ab, all das lässt sich jetzt untersuchen.
Und das Gleiche gilt eben auch für Krankheitsrisiken, was trage ich in meinem Erbgut mit mir herum, was könnte irgendwann mal für mich gefährlich werden, habe ich ein besonders erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder vielleicht auch für Alzheimer oder für Krebs. Das sind immer noch Angaben, die nicht eindeutige Ja-Nein-Angaben sind. Man kann definitiv nicht ganz klar in die Zukunft schauen, aber man erhält Informationen über die Risiken, die man von seinen eigenen Vorfahren ererbt hat.
Hanselmann: Auf welchem Stand der Forschung sind wir heute, und woran wird im Bezug auf die DNA aktuell gearbeitet?
Lange: Also im Grunde gibt es zwei wichtige Entwicklungen. Und wenn man sich das genau anschaut, sind das eigentlich zwei Entwicklungen, die gegenläufig laufen: Da ist zum einen die synthetische Biologie, die geht einfach davon aus, wenn unsere Baupläne des Lebens genau analysierbar sind – und das sind sie ja, man kann ein gesamtes Erbgut, ein Genom, heute entschlüsseln, eine Art nach der anderen wird entschlüsselt –, dann können wir so etwas auch aufbauen, wir können Lebewesen nach unseren Wünschen konstruieren, die Anfänge dieser neuen Forschungsrichtung, die laufen derzeit. Mikroorganismen werden in der synthetischen Biologie konstruiert am Reißbrett quasi, das ist die eine Entwicklung.
Und die andere Entwicklung – vielleicht noch interessanter –, die hat herausgefunden, der Code der DNA, die Information, die da drinsteht, ist zwar richtig, aber sie ist nicht alles. Gene, also unser Erbgut, wird aktiviert, inaktiviert, und zwar nicht … da ist das nicht aus der DNA ablesbar. Das heißt, der Code, der da gelesen wird, der sagt nicht alles. Es gibt so kleine Schalter im Erbgut, die auf die Außenwelt reagieren. Das heißt, wenn wir zum Beispiel höhere Temperaturen haben, aber auch wenn wir Stress haben zum Beispiel, dann ändert sich die Aktivität unseres Erbgutes. Und Forscher, die immer nur starr auf die DNA geschaut haben, die haben das lange übersehen.
Und da entwickelt sich auch in den letzten Jahren eine ganz neue Forschungsrichtung, die Epigenetik, man sieht immer mehr, wie groß die Bedeutung dieser kleinen Schalter am Erbgut ist, und das führt natürlich auch die Bedeutung des Vererbten mit der Natur, mit unserem Verhalten zusammen. Also das sind wirklich alte wissenschaftliche Diskussionsbereiche, die jetzt auf dieser Basis neu diskutiert werden müssen.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Wissenschaftsjournalisten Michael Lange über den 60. Geburtstag einer der größten Entdeckungen der Wissenschaft, nämlich der Desoxyribonukleinsäure, der DNA, die am 25. April 1953 erstmals bekannt gegeben wurde, durch einen Artikel in "Nature". Herr Lange, einige Forschungsergebnisse und Versuche waren und sind ja auch in der Kritik. Was sind die Hauptkritikpunkte? Ich denke da an Dinge wie Gentechnik oder Präimplantationsdiagnostik, die Früherkennung von zum Beispiel Erbkrankheiten und solche Dinge.
Lange: Ja, das ist ganz klar in diesem Fall. Hier haben wir neues Wissen. Wir wissen etwas, was wir früher nicht wussten, erfahren mehr über uns selbst, und das beinhalte natürlich immer auch die Versuchung, da einzugreifen, da wirklich zu sagen, wir haben das jetzt verstanden und wollen versuchen, das nach unseren Wünschen zu prägen, zum einen in der Gentechnik, indem wir Pflanzen oder Mikroorganismen oder auch Tiere verändern, so, wie wir sie gerade brauchen, oder eben indem wir Dinge versuchen an uns zumindest zu erkennen und richtig vorherzusagen.
Das alles hat immer auch das Risiko der Überinterpretation, dass man wirklich glaubt, etwas verstanden zu haben, und gerade die genetische Forschung zeigt eigentlich in den letzten Jahren sehr schön, dass man nicht immer alles, was man glaubt, verstanden zu haben, auch wirklich verstanden hat. Das heißt, man geht natürlich immer auch Risiken ein. Man entdeckt Dinge, die man nicht vorhergesehen hat, und das kann natürlich zumindest zum Beispiel wenn die Umwelt oder wenn Menschenleben gefährdet sind, durchaus auch von Bedeutung sein.
Das ändert aber nichts daran, dass natürlich die Erkenntnis eine ganz klare ist, und dass es wirklich eine wichtige Information ist über uns als Menschen, die wir erst mal erfahren. Und wenn wir etwas über uns lernen, denke ich, dann ist das erst mal eine gute Sache, aber dann ist die Frage, was machen wir damit, was machen wir mit der Information, und da kann man natürlich in diesem Fall auch den Schluss ziehen, das ist sehr interessant, das sagt uns etwas, aber wir wissen noch nicht genug, um jetzt wirklich selbst aktiv zu werden, jetzt selbst Lebewesen zu konstruieren. So weit ist es nicht oder noch nicht, vielleicht, aber das Wissen wird eben mehr und man versteht besser, was um uns herum, was in den Lebewesen abläuft.
Hanselmann: Gibt es Hinweise darauf, wohin sich die DNA-Forschung in Zukunft voraussichtlich entwickeln wird?
Lange: Ich sehe hier auf jeden Fall zwei widerstreitende Bereiche, ich habe sie gerade dargestellt, einmal die synthetische Biologie, die wirklich verändert. Ich glaube, da ist auch noch eine Menge ethische Diskussion notwendig, was will man wirklich verändern, was kann man ohne Risiko verändern. Und das andere ist, was sind die Mechanismen, die die DNA, die das Erbmolekül beeinflussen. Ich glaube, da sind vielleicht sogar noch Durchbrüche zu erwarten, dass wir etwas verstehen, was wir bisher nicht verstanden haben. Also diese Epigenetik ist auf jeden Fall ein ganz wichtiges Forschungsfeld.
Hanselmann: Aber grundsätzlich habe ich auch rausgehört, dass die DNA-Forschung doch etwas überbewertet wurde.
Lange: Ja, das lag vor allen Dingen an dem DNA-Boom in den 90er-Jahren, da hat man gesehen, dass man DNA lesen kann und hat dann wirklich ganze Genome entziffert. Das Humangenom-Projekt ist einigen vielleicht noch in Erinnerung, da wurde in einem großen Wettrennen das gesamte Erbgut des Menschen Buchstabe für Buchstabe entziffert. Und da war einfach ein Hype, wie man heute sagt, da war so viel Schwung, da war so viel Energie, dass man einfach auch zu viel versprochen hat.
Das heißt nicht, dass diese Ergebnisse nichts taugen, dass die falsch sind, aber die Bewertung war sicherlich zu hoch. Das passiert in der Forschung aber immer wieder: Wenn was neues Entdeckt wird, dann geht die Begeisterung mit den Wissenschaftlern durch. Aber noch mal, die Entdeckung ist deshalb nicht falsch, die ist nicht unwichtig, die ist eine sehr wichtige Grundlage für die Biologie bis heute, und das wird sie auch bleiben. Ich sehe überhaupt keinen Anhaltspunkt, dass die Sachen, die damals in den 50ern und frühen 60ern entdeckt wurden, dass die irgendwann zurückgenommen werden. Das definitiv nicht, aber es kommt immer mehr dazu, und das Leben wird auch für die Biologen, für die Molekularbiologen Schritt für Schritt immer wieder ein bisschen komplizierter.
Hanselmann: Anlass unseres Gespräches ist die Veröffentlichung dieses Artikels in "Nature" vor 60 Jahren, ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die beiden Forscher Crick und Watson so lange geschwiegen haben, bis der Artikel endlich rauskam, oder?
Lange: Nein, das waren zwei Plaudertaschen, die auch wirklich schräge Köpfe waren, die sind auch überall angeeckt, wo sie anecken konnten. Also nette Jungs waren sie auch nicht, und sie waren wahrscheinlich sogar auch noch sehr faul. Die haben da gebastelt in ihrer Stube in Cambridge, und als sie auch dieses Molekül hatten, diese Doppelhelix, da waren sie auf einen Schlag so begeistert, dass sie wirklich gesehen haben: Das muss es sein, das ist so schön, das muss die Antwort auf unsere Fragen sein. Sie sind in ihre Stammkneipe gegangen und haben dort im "Eagle" in Cambridge wirklich jedem, der es hören wollte, und auch denen wahrscheinlich, die es nicht hören wollten, gesagt: Wir haben das Geheimnis des Lebens entdeckt. Und alle, die da saßen und Bier tranken, haben auf jeden Fall den Kopf geschüttelt und haben gesagt: Jetzt sind sie völlig durchgedreht.
Hanselmann: So was soll es ja heute auch noch geben. Danke schön, Michael Lange, Wissenschaftsjournalist, über die DNA, von der die Öffentlichkeit heute vor 60 Jahren zum ersten Mal erfuhr. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Lange: Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Herr Lange, einer der Entdecker, der Biologe Francis Crick, hat damals an seinen zwölfjährigen Sohn geschrieben: Wir sind sehr aufgeregt. Wir haben wahrscheinlich eine sehr wichtige Entdeckung gemacht. Wie wichtig war diese Entdeckung wirklich?
Lange: Ja, wenn man diesen Brief, der jetzt kürzlich versteigert wurde, wenn man den weiter liest, dann ist da drin auch der entscheidende Satz, und zwar spricht Francis Crick da von einem Code, also da ist irgendwas verschlüsselt in diesem Molekül. Man wusste schon, dass die DNA möglicherweise ein wichtiges biologisches Molekül ist, aber bis dahin war es eigentlich nur so eine klebrige Paste, die man aus Zellkernen gewinnen konnte.
Und Watson und Crick haben mit den Daten ihrer Kollegen sozusagen herumgespielt und gebastelt und haben dann eine Struktur entwickelt und haben herausgefunden, wie dieses Molekül aussieht. Und von diesem Aussehen konnten sie tatsächlich schließen, dass es nicht nur irgendein Molekül ist, das irgendeine Form hat, sondern dass in diesem Molekül Information steckt, und zwar, wie die Wissenschaftler heute sagen, in den Basen. Das sind also wirklich einzelne kleine Teile dieses Moleküls, die sich wirklich von vorne nach hinten lesen lassen. Und das war in der Tat eine Überraschung, dieser Kern des Lebens, der war ja bis 1953, bis vor 60 Jahren, nicht zugänglich, und der war jetzt auf einmal zugänglich, und dann ließ sich damit sehr viel erforschen.
Hanselmann: Und das alles in Form der berühmten Doppelhelix, die man immer mal wieder sehen kann. Der wohl populärste Zweck, den diese Entdeckung heute erfüllt, ist die DNA-Analyse zu kriminalistischen Zwecken: Täter hinterlassen einen genetischen Fingerabdruck, selbst, wenn sie auch nur eine einzige Zelle ihres Körpers hinterlassen, zum Beispiel einen Hautpartikel. Aber das ist natürlich nur ein kleiner Teil dessen, was sich im Zusammenhang mit der DNA in den vergangenen 60 Jahren entwickelt hat. Was sind denn für Sie die wichtigsten Errungenschaften?
Lange: Also das ist durchaus eine wichtige Errungenschaft, die Identifizierung, dass sich Menschen an ihren Erbmolekülen, die sie überall hinterlassen, identifizieren lassen. Mindestens genau so wichtig, für die Forschung natürlich noch wichtiger ist die Verwandtschaftsanalyse. Das heißt, man kann herausfinden, wer ist mit wem verwandt, am bekanntesten sind ja die Vaterschaftstests. Aber für Evolutionsforscher hat sich da auch etwas ganz Wichtiges aufgetan. Man konnte tatsächlich herausfinden, wer sind unsere Vorfahren, wie hat sich die Menschheit entwickelt, wie ist diese ganze Evolution überhaupt abgelaufen.
Und als man dann immer genauer hinschaute, hat man tatsächlich entdeckt, das, was Charles Darwin vorhergesehen hat, das hat tatsächlich auf molekularer Ebene stattgefunden. Wissenschaftshistoriker sagen heute, da wurden zwei Linien verknüpft, einmal die von Charles Darwin, der die Evolution vorhergesagt hat, und Gregor Mendel, der die Gesetze der Vererbung erkannt hat. Und plötzlich wusste man genau, wie das funktioniert, und dann ließen sich Verwandtschaften wirklich untersuchen. Also man kann ja jetzt – man kriegt immer wieder neue Ergebnisse – herausfinden, wer waren unsere Vorfahren, wie hat sich die Menschheit entwickelt, welche Völker stammen von anderen Völkern ab, all das lässt sich jetzt untersuchen.
Und das Gleiche gilt eben auch für Krankheitsrisiken, was trage ich in meinem Erbgut mit mir herum, was könnte irgendwann mal für mich gefährlich werden, habe ich ein besonders erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder vielleicht auch für Alzheimer oder für Krebs. Das sind immer noch Angaben, die nicht eindeutige Ja-Nein-Angaben sind. Man kann definitiv nicht ganz klar in die Zukunft schauen, aber man erhält Informationen über die Risiken, die man von seinen eigenen Vorfahren ererbt hat.
Hanselmann: Auf welchem Stand der Forschung sind wir heute, und woran wird im Bezug auf die DNA aktuell gearbeitet?
Lange: Also im Grunde gibt es zwei wichtige Entwicklungen. Und wenn man sich das genau anschaut, sind das eigentlich zwei Entwicklungen, die gegenläufig laufen: Da ist zum einen die synthetische Biologie, die geht einfach davon aus, wenn unsere Baupläne des Lebens genau analysierbar sind – und das sind sie ja, man kann ein gesamtes Erbgut, ein Genom, heute entschlüsseln, eine Art nach der anderen wird entschlüsselt –, dann können wir so etwas auch aufbauen, wir können Lebewesen nach unseren Wünschen konstruieren, die Anfänge dieser neuen Forschungsrichtung, die laufen derzeit. Mikroorganismen werden in der synthetischen Biologie konstruiert am Reißbrett quasi, das ist die eine Entwicklung.
Und die andere Entwicklung – vielleicht noch interessanter –, die hat herausgefunden, der Code der DNA, die Information, die da drinsteht, ist zwar richtig, aber sie ist nicht alles. Gene, also unser Erbgut, wird aktiviert, inaktiviert, und zwar nicht … da ist das nicht aus der DNA ablesbar. Das heißt, der Code, der da gelesen wird, der sagt nicht alles. Es gibt so kleine Schalter im Erbgut, die auf die Außenwelt reagieren. Das heißt, wenn wir zum Beispiel höhere Temperaturen haben, aber auch wenn wir Stress haben zum Beispiel, dann ändert sich die Aktivität unseres Erbgutes. Und Forscher, die immer nur starr auf die DNA geschaut haben, die haben das lange übersehen.
Und da entwickelt sich auch in den letzten Jahren eine ganz neue Forschungsrichtung, die Epigenetik, man sieht immer mehr, wie groß die Bedeutung dieser kleinen Schalter am Erbgut ist, und das führt natürlich auch die Bedeutung des Vererbten mit der Natur, mit unserem Verhalten zusammen. Also das sind wirklich alte wissenschaftliche Diskussionsbereiche, die jetzt auf dieser Basis neu diskutiert werden müssen.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Wissenschaftsjournalisten Michael Lange über den 60. Geburtstag einer der größten Entdeckungen der Wissenschaft, nämlich der Desoxyribonukleinsäure, der DNA, die am 25. April 1953 erstmals bekannt gegeben wurde, durch einen Artikel in "Nature". Herr Lange, einige Forschungsergebnisse und Versuche waren und sind ja auch in der Kritik. Was sind die Hauptkritikpunkte? Ich denke da an Dinge wie Gentechnik oder Präimplantationsdiagnostik, die Früherkennung von zum Beispiel Erbkrankheiten und solche Dinge.
Lange: Ja, das ist ganz klar in diesem Fall. Hier haben wir neues Wissen. Wir wissen etwas, was wir früher nicht wussten, erfahren mehr über uns selbst, und das beinhalte natürlich immer auch die Versuchung, da einzugreifen, da wirklich zu sagen, wir haben das jetzt verstanden und wollen versuchen, das nach unseren Wünschen zu prägen, zum einen in der Gentechnik, indem wir Pflanzen oder Mikroorganismen oder auch Tiere verändern, so, wie wir sie gerade brauchen, oder eben indem wir Dinge versuchen an uns zumindest zu erkennen und richtig vorherzusagen.
Das alles hat immer auch das Risiko der Überinterpretation, dass man wirklich glaubt, etwas verstanden zu haben, und gerade die genetische Forschung zeigt eigentlich in den letzten Jahren sehr schön, dass man nicht immer alles, was man glaubt, verstanden zu haben, auch wirklich verstanden hat. Das heißt, man geht natürlich immer auch Risiken ein. Man entdeckt Dinge, die man nicht vorhergesehen hat, und das kann natürlich zumindest zum Beispiel wenn die Umwelt oder wenn Menschenleben gefährdet sind, durchaus auch von Bedeutung sein.
Das ändert aber nichts daran, dass natürlich die Erkenntnis eine ganz klare ist, und dass es wirklich eine wichtige Information ist über uns als Menschen, die wir erst mal erfahren. Und wenn wir etwas über uns lernen, denke ich, dann ist das erst mal eine gute Sache, aber dann ist die Frage, was machen wir damit, was machen wir mit der Information, und da kann man natürlich in diesem Fall auch den Schluss ziehen, das ist sehr interessant, das sagt uns etwas, aber wir wissen noch nicht genug, um jetzt wirklich selbst aktiv zu werden, jetzt selbst Lebewesen zu konstruieren. So weit ist es nicht oder noch nicht, vielleicht, aber das Wissen wird eben mehr und man versteht besser, was um uns herum, was in den Lebewesen abläuft.
Hanselmann: Gibt es Hinweise darauf, wohin sich die DNA-Forschung in Zukunft voraussichtlich entwickeln wird?
Lange: Ich sehe hier auf jeden Fall zwei widerstreitende Bereiche, ich habe sie gerade dargestellt, einmal die synthetische Biologie, die wirklich verändert. Ich glaube, da ist auch noch eine Menge ethische Diskussion notwendig, was will man wirklich verändern, was kann man ohne Risiko verändern. Und das andere ist, was sind die Mechanismen, die die DNA, die das Erbmolekül beeinflussen. Ich glaube, da sind vielleicht sogar noch Durchbrüche zu erwarten, dass wir etwas verstehen, was wir bisher nicht verstanden haben. Also diese Epigenetik ist auf jeden Fall ein ganz wichtiges Forschungsfeld.
Hanselmann: Aber grundsätzlich habe ich auch rausgehört, dass die DNA-Forschung doch etwas überbewertet wurde.
Lange: Ja, das lag vor allen Dingen an dem DNA-Boom in den 90er-Jahren, da hat man gesehen, dass man DNA lesen kann und hat dann wirklich ganze Genome entziffert. Das Humangenom-Projekt ist einigen vielleicht noch in Erinnerung, da wurde in einem großen Wettrennen das gesamte Erbgut des Menschen Buchstabe für Buchstabe entziffert. Und da war einfach ein Hype, wie man heute sagt, da war so viel Schwung, da war so viel Energie, dass man einfach auch zu viel versprochen hat.
Das heißt nicht, dass diese Ergebnisse nichts taugen, dass die falsch sind, aber die Bewertung war sicherlich zu hoch. Das passiert in der Forschung aber immer wieder: Wenn was neues Entdeckt wird, dann geht die Begeisterung mit den Wissenschaftlern durch. Aber noch mal, die Entdeckung ist deshalb nicht falsch, die ist nicht unwichtig, die ist eine sehr wichtige Grundlage für die Biologie bis heute, und das wird sie auch bleiben. Ich sehe überhaupt keinen Anhaltspunkt, dass die Sachen, die damals in den 50ern und frühen 60ern entdeckt wurden, dass die irgendwann zurückgenommen werden. Das definitiv nicht, aber es kommt immer mehr dazu, und das Leben wird auch für die Biologen, für die Molekularbiologen Schritt für Schritt immer wieder ein bisschen komplizierter.
Hanselmann: Anlass unseres Gespräches ist die Veröffentlichung dieses Artikels in "Nature" vor 60 Jahren, ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die beiden Forscher Crick und Watson so lange geschwiegen haben, bis der Artikel endlich rauskam, oder?
Lange: Nein, das waren zwei Plaudertaschen, die auch wirklich schräge Köpfe waren, die sind auch überall angeeckt, wo sie anecken konnten. Also nette Jungs waren sie auch nicht, und sie waren wahrscheinlich sogar auch noch sehr faul. Die haben da gebastelt in ihrer Stube in Cambridge, und als sie auch dieses Molekül hatten, diese Doppelhelix, da waren sie auf einen Schlag so begeistert, dass sie wirklich gesehen haben: Das muss es sein, das ist so schön, das muss die Antwort auf unsere Fragen sein. Sie sind in ihre Stammkneipe gegangen und haben dort im "Eagle" in Cambridge wirklich jedem, der es hören wollte, und auch denen wahrscheinlich, die es nicht hören wollten, gesagt: Wir haben das Geheimnis des Lebens entdeckt. Und alle, die da saßen und Bier tranken, haben auf jeden Fall den Kopf geschüttelt und haben gesagt: Jetzt sind sie völlig durchgedreht.
Hanselmann: So was soll es ja heute auch noch geben. Danke schön, Michael Lange, Wissenschaftsjournalist, über die DNA, von der die Öffentlichkeit heute vor 60 Jahren zum ersten Mal erfuhr. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.